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Das Gen für das perfekte Ohr

Medizin. - Wer ein musikalisches Ohr hat, hört Fehler in einer Darbietung sofort, doch das ist noch keine hohe Kunst. Die Besitzer eines absoluten Gehörs indes können gehörte Töne sogar direkt bestimmen. Die faszinierende Gabe zog eine US-Genetikerin in ihren Bann, die dem Phänomen jetzt auf den Grund geht.

Von Kristin Raabe | 03.09.2007
    Über zweitausend Menschen haben sich diese Töne über ihren Computer angehört und sie benannt. Nicht einmal drei Sekunden lässt Jane Gitschier ihren Versuchspersonen, um dem jeweiligen Ton den richtigen Namen zuzuordnen. Als die Wissenschaftlerin von der Universität von Kalifornien in San Francisco alle Daten ausgewertet hatte, war klar: Nur knapp tausend Teilnehmer hatten tatsächlich ein absolutes Gehör. Ihre Testergebnisse schaute Jane Gitschier sich jetzt genauer an.

    "Wir haben uns die Fehler angesehen, die Leute mit absolutem Gehör mit zunehmendem Alter machen. Dabei ist sehr auffällig, dass sie dazu neigen, die Töne höher zu benennen, als sie tatsächlich sind. Ab einem Alter von etwa fünfzig würde jemand mit einem absolutem Gehör, ein "C" also eher als ein "Cis" bezeichnen."

    Möglicherweise verändert sich mit dem Alter die Elastizität der feinen Haarzellen, die in unserem Ohr die Wahrnehmung von Tönen an die Nervenzellen im Hörzentrum weiterleiten. Schließlich wird das Gehör insgesamt mit zunehmendem Alter schlechter. Als Jane Gitschier die Fehler im Test genauer anschaute, fiel ihr noch eine Besonderheit auf, die allerdings nichts mit dem Alter der Versuchspersonen zu tun hatte:

    "Als wir unsere Daten dann mathematisch analysierten, sahen wir, dass die meisten Fehler beim "Gis" auftraten. Das "Gis" schien Fehler geradezu anzuziehen, das konnten wir bei keinem der elf anderen Töne beobachten. Die älteren Studienteilnehmer neigten bei allen Tönen dazu, sie höher zu benennen als sie eigentlich waren. Aber das "Gis" stach doch sehr heraus. Es wurde entweder gar nicht benannt oder fälschlicherweise als "A" benannt."

    Das "A" hat für professionelle und Hobbymusiker eine besondere Bedeutung: Nach dem Kammerton A stimmen Orchestermitglieder ihre Instrumente.

    "Wenn ein Orchester sich auf ein A einstimmt, dann nimmt es nicht unbedingt ein reines A, was einer Frequenz von 440 Hertz entsprechen würde. Vielmehr ist da eine ganze Bandbreite von Frequenzen im Gebrauch. Die Berliner Philharmoniker beispielsweise stimmen sehr hoch ein, bei einer Frequenz von 444 – 446 Hertz. Früher haben Orchester dagegen häufig sehr tief eingestimmt, bei etwa 415 Hertz. 415 Hertz ist aber kein A mehr, das ist ein "Gis". Es könnte gut sein, dass sich Menschen mit absolutem Gehör im Laufe ihrer musikalischen Tätigkeit einfach daran gewöhnt haben, ein ganzes Spektrum von Frequenzen als Kammerton "A" zu bezeichnen."

    Jemand, der gar keine musikalische Ausbildung hat, wird niemals die Fähigkeit erlangen, Töne richtig zu benennen. Dazu fehlt ihm einfach das notwendige Know how, was Musikschüler im stundenlangen Üben von Tonleitern und Etüden erlangen. Aber durch Üben alleine lässt sich ein absolutes Gehör nicht erlangen. Denn dann würde man diese Fähigkeit nach und nach erlangen. Man könnte ein halbwegs gutes absolutes Gehör haben, irgendwann ein gutes und schließlich ein sehr gutes. Aber das scheint nicht der Fall zu sein.

    "Für mich war es wirklich bemerkenswert, zu sehen, dass es in den Daten keine große Bandbreite gab. Entweder jemand besaß ein absolutes Gehör und machte bei unserem Test kaum Fehler oder jemand hatte eben kein absolutes Gehör und seine Testergebnisse sahen so aus, als hätte er bloß geraten."

    Für Jane Gitschier war das eine gute Nachricht. Denn eigentlich dient ihr Internettest dazu, Versuchspersonen für einen Gentest zu rekrutieren. Die Amerikanerin will das Gen für absolutes Gehör finden.

    "Das sagt mir, dass die Fähigkeit zum absoluten Gehör offenbar nicht auf eine Vielzahl von genetischen Variationen zurückzuführen ist, von denen jede einzelne dazu beiträgt, das Gehör ein wenig besser zu machen. Vielmehr scheint es so zu sein, dass lediglich eine Genvariante für das absolute Gehör verantwortlich ist. Nur wer diese genetische Variante besitzt, entwickelt bei entsprechendem musikalischem Training ein absolutes Gehör. Für mich als Genetikerin ist das sehr ermutigend."