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"Das Gericht hat eine historische Entscheidung getroffen"

Gerhart Rudolf Baum, Sonderbeauftragter der UNO für Menschenrechte im Sudan und früherer Bundesinnenminister, hat den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gegen den sudanesischen Präsidenten al-Bashir als einen Meilenstein bezeichnet. Jetzt seien internationale Bemühungen gefragt, um den Friedensprozess in Gang zu bringen. Afrika habe nun die Chance, sich auf die Seite des Rechts zu stellen.

Gerhart Rudolf Baum im Gespräch mit Gerd Breker | 05.03.2009
    Bettina Klein: Skeptiker hatten das bereits befürchtet. Nach dem gestrigen Erlass eines internationalen Haftbefehls gegen Präsident al-Bashir hat der Sudan mehrere Hilfsorganisationen des Landes verwiesen. Nach Angaben der Vereinten Nationen in New York wurde bis zu zehn Organisationen die Erlaubnis für ihren humanitären Einsatz entzogen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte gegen al-Bashir gestern wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen in der westsudanesischen Krisenregion Darfur diesen Haftbefehl erlassen. Es ist der erste solcher Art gegen einen amtierenden Staatspräsidenten; dies ist der große Unterschied. -

    Mein Kollege Gerd Breker sprach gestern Abend mit dem Sonderbeauftragten der UNO für Menschenrechte im Sudan und früheren Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum. Seine erste Frage an ihn war, ob dieser Haftbefehl denn nun tatsächlich eher schädlich ist für die Friedensbemühungen im Sudan?

    Gerhart Rudolf Baum: Keineswegs! Es gibt ja überhaupt keine Friedensbemühungen, die diesen Namen wirklich verdienen. Die Sache ist vollkommen festgefahren. Schlimmer als es jetzt ist, kann es nicht werden. Seit sechs Jahren werden die Menschen, über zweieinhalb Millionen, in den Lagern gehalten. Sie haben große Nahrungssorgen, sie werden gesundheitlich nicht versorgt, sie sind bedroht. Es hat sich für die Menschen nichts geändert. Alle Bemühungen um Frieden sind von Bashir und seiner Regierung untergraben worden.

    Gerd Breker: Allerdings muss jetzt erst einmal in Kauf genommen werden, dass die Hilfe für die Menschen in Darfur erschwert wird?

    Baum: Ja. Es wird jetzt Verschärfungen geben, aber das wird, meine ich, nur ein vorübergehender Prozess sein, denn jetzt ist die Stunde der Politik gekommen. Das Gericht kann ja nicht Politik ersetzen. Das Gericht hat eine historische Entscheidung getroffen. Das hat heute ja auch der Nobelpreisträger Tutu gesagt, der die afrikanischen Staaten auffordert, jetzt dem Recht oder Gerechtigkeit zu folgen und nicht den Gerichtshof anzugreifen. Also jetzt muss Politik gemacht werden. Das heißt, auch unsere Regierung ist aufgefordert, Friedensbemühungen in Gang zu setzen für das ganze Land. Es muss ein umfassender Frieden für den Sudan vereinbart werden, am besten eine Nationalkonferenz aller Regionen. Das wird im Moment schwierig sein, weil sich die Regierung versteifen wird und auch die Afrikaner und die muslimischen Staaten, aber schon der Antrag des Haftbefehls hat unglaubliche diplomatische und politische Bewegungen ausgelöst. Also ich bin eher positiv gestimmt als negativ.

    Breker: Um allerdings, Herr Baum, diesen Haftbefehl auch auszuführen, hat das Gericht keine Polizeimacht und im Sudan wird al-Bashir mit Sicherheit nicht verhaftet werden, denn die sudanesische Regierung erkennt den Gerichtshof nicht an und lehnt natürlich auch eine Auslieferung ab. Also wäre der Sicherheitsrat in New York gefragt.

    Baum: Darauf kommt es aus meiner Sicht auch gar nicht an, dass jetzt Bashir festgenommen wird. Die Tatsache, dass ein amtierender Staatschef zum ersten Mal in der Geschichte des Völkerrechts mit einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs überzogen wird, das ist das Entscheidende und diese Tatsache wird eine politische Wirkung auslösen. Ich finde, dass dieser Tag heute ein guter Tag ist für die Durchsetzung der Menschenrechte. Der Gerichtshof hat seine Pflicht getan, hat seinem Auftrag gemäß gehandelt. Es war und ist ein guter Tag auf mittlere Sicht, bin ich überzeugt, für die Menschen in Darfur und deshalb ist keinerlei Befürchtung an diese Entscheidung zu knüpfen, sondern eher Hoffnung.

    Breker: China und USA zum Beispiel erkennen den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht an. Welche Rolle spielt denn das?

    Baum: China hat sich bei der Einsetzung des Gerichtshofs in Sachen Darfur - das war ja eine Entscheidung des Sicherheitsrates - der Stimme enthalten, also konnte sich der Dynamik der damaligen Situation, die ja die heutige ist - daran hat sich ja nichts geändert -, nicht entziehen. Deshalb wird auch, meine ich, China jetzt eine Schlüsselrolle haben, wie im Übrigen auch die USA, die immer eine Schlüsselrolle im Sudan hatten, und auch die Europäer. Die Bundesregierung sollte jetzt wirklich initiativ werden, um einen neuen Friedensprozess anzustoßen. Der ganze Friedensprozess zwischen dem Nord- und dem Südsudan steht ja auch auf tönernen Füßen. In diesem Jahr sollten die ersten freien Wahlen im Sudan stattfinden. Kein Mensch glaubt daran, dass das geschehen kann. Das heißt, wenn wir nicht aufpassen, bricht dieser Staat wieder auseinander. Jetzt sind also gemeinsame Anstrengungen gefordert. Wenn sich der Staub über die Entscheidung gelegt hat, dann wird Politik notwendig sein, und sie ist dringend notwendig. 2003 war ich in Darfur, ich habe die Regierung in Khartum beschworen, keine militärische Lösung anzustreben, sondern auf Frieden hinzuarbeiten. Alles war vergebens, alle Appelle waren bisher vergebens, alle Resolutionen wurden nicht befolgt. Es ist wirklich jetzt das letzte Mittel, und dieses Mittel hat es in sich. Der Haftbefehl gegen Bashir wird seine Wirkung erzielen.

    Breker: Allerdings hat al-Bashir noch im Ausland viele Verbündete, vor allen Dingen - Sie haben es angedeutet - in der muslimischen Welt und auch in Afrika. Gerade in Afrika hat man sehr große Bedenken gegen den Internationalen Strafgerichtshof, denn dort sind im Moment hauptsächlich Afrikaner angeklagt. Kann ihm das nicht helfen, einen Ausweg zu finden?

    Baum: Er wird das versuchen, aber 30 afrikanische Staaten sind dem Gerichtshof beigetreten und drei Staaten, die Zentralafrikanische Republik, Kongo und Uganda, haben diesen Gerichtshof angerufen, um gegen Kriegsverbrechen von Milizen und anderen Gruppen in ihren eigenen Ländern vorzugehen. Das heißt, sie haben den Gerichtshof nicht nur anerkannt, sondern sie haben um Hilfe gebeten durch den Gerichtshof. Das kann nicht ungeschehen gemacht werden und das wird auch nicht ungeschehen gemacht werden. Ich sage noch einmal: Der Nobelpreisträger Tutu, also der Südafrikaner, hat gesagt, jetzt ist wirklich eine Chance für Afrika, sich auf die Seite des Rechts zu stellen.

    Klein: So weit also ein optimistischer Gerhart Rudolf Baum im Gespräch gestern Abend mit meinem Kollegen Gerd Breker über die Wirkungen des internationalen Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten al-Bashir.