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"Das Gespenst des Deutschtums"

Die Neukonzeption der Ausstellung im Schlesischen Museum in Kattowitz sorgt in der Region für Streit. Kritiker beklagen die Überbetonung der deutschen Eliten in der einst preußischen Provinz.

Von Martin Sander | 03.10.2012
    Die Arbeiten im Betonrohbau laufen auf Hochtouren. Mitten in Kattowitz, der Hauptstadt des oberschlesischen Industriereviers, auf dem Gelände der Steinkohlengrube "Katowice" entsteht ein großer Neubau des Schlesischen Museums. Derzeit residiert das Museum noch eher bescheiden im ehemaligen Grandhotel der Stadt. Im neuen Haus werden ab Sommer 2013 6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung stehen – und zwar unter der Erde liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zum stillgelegten Förderturm und den alten Maschinenhäusern der Kohlengrube. Das neue Museum soll das kulturelle Erbe Oberschlesiens spiegeln und die Besonderheiten dieser Region vorstellen. Deshalb will man neben den vorhandenen Kunstsammlungen auf einem Viertel der Fläche eine völlig neu konzipierte Dauerausstellung zur Geschichte Schlesiens zeigen – fokussiert auf den Zeitraum zwischen 1790 und 1989. Museumsdirektor Leszek Jodliński erläutert:

    "Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Industrialisierung den Transmissionsriemen liefert, auf dessen Grundlage wir alle Themen ausbreiten können. Die Industrialisierung ist das am stärksten multikulturelle und moderne Element."

    Am Anfang der neuen historischen Ausstellung soll die erste Dampfmaschine Schlesiens stehen. 1788 wurde die Maschine in Tarnowitz aufgestellt, 25 Kilometer nordwestlich von Kattowitz. Damals gehörte die Region zu Preußen. 1790 reiste Johann Wolfgang von Goethe nach Tarnowitz, um die Maschine zu sehen. Goethe schrieb auch ein Epigramm an die Bürger von Tarnowitz, das ebenfalls in der Ausstellung vorkommen soll. Goethe und die Dampfmaschine, diese Idee der Ausstellungsmacher hat heftige Reaktionen ausgelöst. Führende Politiker schlugen Alarm und forderten Änderungen, so auch der Vizewojewode der Region Piotr Spyra:

    "Oberschlesien wird im Ausstellungskonzept aus der Sicht der damaligen deutschen Eliten Schlesiens vorgestellt. Meiner Meinung nach sollte man sich aber auf die Entwicklung konzentrieren, die zur Herausbildung der schlesischen Identität führte. Dieser Prozess begann im Völkerfrühling des 19. Jahrhunderts in Opposition zum Deutschtum. Er führte dazu, dass Schlesien polnisch wurde. Und polnische Kulturinstitutionen dürfen das nicht außer Acht lassen – auch nicht im Namen einer deutsch-polnischen Versöhnung."

    Der Vizewojewode Spyra, von Beruf Historiker und Mitglied der liberalkonservativen Bürgerplattform von Premier Donald Tusk, gehört zur Schar jener, denen Goethe und Eichendorff sowie deutsche Bauhaustradition im Ausstellungskonzept zu viel ist. Spyra wünscht sich mehr Platz für die oberschlesischen Aufstände, die dazu beitrugen, dass die Kattowitzer Region Anfang der 1920er-Jahre polnisch wurde.

    "Diese Aufstände weisen darauf hin, dass das Polentum in Schlesien sehr stark verwurzelt war. Die deutschen Historiker sprechen hier von Bürgerkrieg. Das sind einfach verschiedene Perspektiven auf Schlesien. Es ist logisch, dass deutsche Kulturinstitutionen, wie zum Beispiel das Schlesische Museum in Görlitz, eine deutsche Sicht auf Schlesien zeigen. Aber es ist ebenso logisch, dass polnische Institutionen den polnischen Standpunkt in Bezug auf Schlesien präsentieren."

    Museumsdirektor Leszek Jodliński, der aus Kattowitz stammt und unter anderem in Heidelberg und Japan studiert hat, kontert die Angriffe:

    "Wir haben es in den deutsch-polnischen Beziehungen eben mit dem Erbe des Zweiten Weltkriegs zu tun. Und da wird das Gespenst des Deutschtums immer mal wieder aus dem Hut gezogen. Das ist sehr traurig und sehr provinziell. Auf der gesamtstaatlichen Ebene haben wir diese Phobie überwunden, aber hier kommt sie noch zum Vorschein."

    Oberschlesien hat derzeit einen Strukturwandel, vergleichbar mit dem des Ruhrgebiets, zu bewältigen. Darüber hinaus gewinnt in Schlesien die Idee einer größeren Selbständigkeit innerhalb des zentralistisch verwalteten Polen immer mehr Anhänger. 360.000 Menschen, so viele wie nie zuvor, bekannten sich in der letzten Volkszählung ausschließlich als Schlesier, außerdem über 400.000 als Polen und Schlesier zugleich. Für mehr Eigenständigkeit kämpft die in Kattowitz ansässige "Bewegung für schlesische Autonomie". Deren Vorsitzender Jerzy Gorzelik begeistert sich für das neue Ausstellungskonzept des Schlesischen Museums.

    "Für mich ist das eine erste Chance hier in Oberschlesien, eine wirklich moderne Ausstellung der oberschlesischen Geschichte zu haben, die nicht in einem nationalistischen Paradigma steckt, sondern eigentlich eine übernationale Sicht ermöglicht und die auch diesen großen zivilisatorischen Aufschwung zeigen kann, den wir hier in Oberschlesien im 19. und auch in der ersten Hälfte des 20. erlebt haben, natürlich mit allen Konsequenzen. Zu diesen Konsequenzen gehörte auch diese nationale Auseinandersetzung und viele gesellschaftliche Probleme, die zum Vorschein gekommen sind. Aber natürlich war das eigentlich ein Erfolg, eine Erfolgsgeschichte."