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Das Grauen fürs Bruttosozialprodukt

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Christiane Wagemann und Thomas Spang |
    Lang lebe Afrika, doch wie lange noch leben seine Menschen? AIDS ist das Problem schlechthin auf diesem Kontinent. Experten haben errechnet, dass AIDS in diesem Jahrzehnt mehr Menschen töten wird als alle Kriege des 20. Jahrhunderts. AIDS ist die soziale und wirtschaftliche Herausforderung schlechthin. Südafrika ist eines der Länder, die am stärksten betroffen sind von der schnellen Ausbreitung von AIDS. Jeder neunte im Land ist mit dem HIV-Virus infiziert, insgesamt 4,7 Millionen Menschen. Epidemiologen sagen voraus, dass Südafrika 2010 zwischen 12 bis 40.000 AIDS-Tote beklagen wird. Vor allem unter den Jugendlichen breitet sich die Krankheit immer schneller aus. UNICEF geht davon aus, dass die Hälfte der heute 15-jährigen in Südafrika das Erwachsenenalter nicht erreichen werden. Das hat unglaubliche Konsequenzen für die Wirtschaft. Ihr fehlen im Schnitt 15 Jahre produktiven Arbeitslebens. Und täglich infizieren sich 1.700 Menschen neu. 15 bis 30 Prozent der Arbeitskräfte gehen wegen AIDS verloren. Horst Jaeckel, Geschäftsführer des Verbands deutschsprechender Unternehmen hält diese Angaben noch für konservativ:

    Ich glaube, man weiß überhaupt nicht genau, wie schlimm die AIDS-Geschichte in Südafrika ist. Wir haben uns auch mit vielen Unternehmern unterhalten, die nach meiner Meinung auch die Gefahr unterschätzen. Wenn wir mal davon ausgehen, dass nur zehn Prozent der Arbeitnehmerschaft HIV positiv ist, dann heißt das, dass wir in den nächsten fünf Jahren zehn Prozent der Arbeitnehmer verlieren. Die müssen aber alle wieder angelernt werden und das wird und muss in den nächsten Jahren zu erheblichen Schwierigkeiten in den Unternehmen führen

    Die lange Krankheitszeit kostet die Unternehmen viel Geld. Das Gesundheitssystem ist ohnedies schon überlastet und mit dem AIDS-Problem offenbar überfordert. Also nehmen sich einige Unternehmen der ungeheueren Verantwortung an und sorgen für ihre kranke Unternehmerschaft. Das können sich aber prinzipiell nur wirtschaftlich stabile und große Betriebe leisten. Wie zum Beispiel Daimler-Chrysler. Der Weltkonzern produziert im südlichen Afrika jährlich 50.000 Autos. Beschäftigt sind 4.445Arbeitnehmer in drei Standorten. Davon sind vorsichtigen Schätzungen zufolge etwa zwanzig Prozent mit dem HIV-Virus infiziert. Hilfe tut sprichwörtlich Not. Und deshalb stellt Daimler-Chrysler Gelder bereit für die Prävention und für die Pflege der Erkrankten, sagt Dr. Andrea Knigge von der GTZ, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die für das Unternehmen ein AIDS-Programm ausgearbeitet hat.

    Ja, das Projekt besteht hauptsächlich aus drei Komponenten. Das ist ein Ansatz im Rahmen der Gesundheitserziehung und Aufklärung . Die zweite Komponente ist ein umfassendes Gesundheitsprogramm, wo man sich hauptsächlich um die Therapie von opportunistischen Erkrankungen bemüht und die dritte Komponente ist hauptsächlich die Umstrukturierung der Versicherungssystem. Hier wird ein wesentlicher Wert darauf gelegt, dass man versucht dem Betrieb entstehende Kosten durch Umshiften und Umwandlung einzelner Versicherungssysteme im Gesundheitsbereich abzuändern

    In den Betrieben werden eigens Leute ausgebildet, die die Arbeitnehmerschaft informieren, an die sie sich wenden kann, ohne dass die Betriebsleitung notwendigerweise davon erfährt. Viele Arbeitnehmer gehen das AIDS-Hilfsprogramm jedoch noch zögerlich an, weil sie fürchten, sie könnten gefeuert werden, ist erst einmal bekannt, dass sie AIDS haben. Doch das geht nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen.

    Es muss sich niemand testen lassen, und wenn das Testresultat vorliegt hat der Arbeitgeber kein Recht, Zugang zu dem Testresultat zu erzwingen oder sich das Testresultat anzusehen.

    Der Betriebsführung wird nur ein statistischer Wert mitgeteilt, keine individuellen Angaben. Der Arbeiter kann nach seinem positiv verlaufenden AIDS-Test sowohl den internen als auch den externen Gesundheitsdienst in Anspruch nehmen. Er kann sich psychologisch betreuen lassen und außerdem gilt:

    Wenn ein Arbeitnehmer eine kranke Frau hat, wird die auch in den Genuss kommen, Zugang zu den Medikamenten zu haben, ebenso ihre Kinder.

    Auch deshalb ist der Aufbau einer Infrastruktur und eines externen Gesundheitsdienstes und die Zusammenarbeit mit den Kommunen so wichtig.

    Im Werk ist vorgesehen, dass wir 153 Personen ausbilden, Daimler-Chrysler hat sich bereit erklärt, Medikamente - antivirale Medikamente - zur Verfügung zu stellen und in dem gleichen Maße auch die logistische Infrastruktur zu gewährleisten. Das ist eigentlich die Hauptaufgabe und das ist auch das Teuerste.

    Nicht die Medikamente selbst, die kosten im Vergleich dazu noch das Geringste. Wichtig ist, dass die Medikamente auch zu den Menschen kommen können. Und da baut nun Daimler Chrysler erst einmal eine Infrastruktur auf.

    Es fehlt an Wegen, an Lagermöglichkeiten, an Kühlhäusern für die Medikamente, es fehlt am medizinischen Personal, das regelmäßig kontrolliert, ob die verabreichten Mittel überhaupt eingenommen werden. Die Regierung hält sich äußerst bescheiden zurück mit Eigenleistungen und klagt die Verantwortung der Großunternehmen ein. Wir stellen euch die Arbeiterschaft, damit ihr schöne Autos bauen könnt, jetzt sorgt auch für sie. Dass die Machthaber sehr gut von den hohen Steuereinnahmen leben, bleibt gänzlich unerwähnt oder etwa, dass die Regierung eine Fürsorgepflicht hat. Dabei stand und stehen noch viele Unternehmen dem AIDS- Problem hilflos gegenüber. Es gibt keine Erfahrungen, keine ausgearbeiteten Programme , wie mit dem Problem umgegangen werden kann. Es wurde überhaupt erst dadurch wahrgenommen, weil auffallend viele Arbeiter sich immer wieder frei meldeten, um zu einer Beerdigung gehen zu können. So viele Tote, so viele Arbeitsausfälle, was ist da los? Der Grund: AIDS. So ist ein wichtiges Anliegen des Unternehmens, das selbst ein HIV-positiv infizierterer Arbeiter gesundheitlich so gut versorgt wird, dass er über einen längeren Zeitraum arbeitsfähig und seine relative Lebensqualität erhalten bleibt. Und das wird dadurch erreicht, dass die in Folge der Immunschwächekrankheit auftretenden sogenannten opportunistischen Erkrankungen behandelt werden, wie zum Bespiel Hirnhaut- und Speiseröhreninfektionen oder Tuberkulose. Ohne eine entsprechende Behandlung verlaufen sie meist tödlich. Noch bezahlt Daimler Chrysler diese Medikamente aus seinem Gesundheitsbudget, doch so Andrea Knigge:

    Es ist vorgesehen, dass wir uns im Rahmen der Bestellung von Medikamenten mit den Pharmafirmen zusammensetzen, um da ein standardisiertes Vorgehen bei der Bestellung von Medikamenten zu gewährleisten.

    Damit kämen etwa folgende Kosten auf die Firma zu:

    Pro Arbeiter ist vorgesehen, dass die Behandlung 1 bis 2 Dollar kostet.

    In diesem Betrag von 1 bis 2 Dollar täglich sind aber noch nicht eingerechnet der Aufbau einer Infrastruktur, das zusätzliche Gesundheitspersonal in den Betrieben, Ausfall an Arbeitsstunden, Anlernen neuer Arbeitskräfte, die gesundheitliche Versorgung auch der Familienangehörigen und die Arbeit mit den Kommunen, aus denen die Arbeiter kommen - 20 Prozent steuert die GTZ, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit bei, sprich das Entwicklungshilfeministerium mit 400.000 DM, die 80 Prozent kommen von Daimler Chrysler.

    Gemeinsam mit den Gewerkschaften haben die Unternehmen des Landes zu freiwilligen AIDS-Tests aufgerufen. Nicht immer bricht die Immunschwäche-Krankheit sofort aus. Oft erst nach fünf bis zehn Jahren. Bis dahin könnte einiges getan werden mittels medikamentöser Hilfe. Gravierend ist das Problem bei an AIDS erkrankten schwangeren Frauen. Jede vierte Frau zwischen 20 und 30 Jahren ist HIV-positiv. In einem von drei Fällen wird das Virus von der Mutter auf das Kind übertragen. In Kapstadt hat die regierende Oppositionspartei Demokratische Allianz ein Projekt für schwangere Frauen gestartet. Im Township Kyalitscha werden die notwendigen Medikamente umsonst ausgegeben. Dort hat man gute Erfolge erzielt.

    Shella Camerer von der Demokratischen Allianz und Parlamentsabgeordnete fordert darum:

    Was wir erwarten von der Regierung ist ein praktikabler Plan diesen Prozentsatz zurückzuschrauben. Aber er ist nicht auf den Tisch gelegt worden. Ich muss sagen, die 'antiretroviral drugs' für schwangere Frauen haben erstaunliche Erfolge gezeigt, dass mehr als 60 Prozent dieser Kindern frei sind von AIDS sind.

    Die zuständige Gesundheitsministerin Mantu Tschbalala Msimang - selbst Ärztin - greift aber nicht entsprechend durch. Sie hält es mit Aufklärung, freiwilligem AIDStest und der Verteilung von Kondomen und dann, sagte sie, könne jeder selbst entscheiden, was er zu tun gedenke mit seinem Leben.

    Doch Zackie Achmed, Sprecher des TAC, der Tratment of Action Campagn, einer Allianz aus 300 Nicht-Regierungs-Organisationen, beklagt, dass es mit der notwendigen Aufklärung in diesem Land hapert, dass gerade mal 10 Prozent der über 4 Millionen HIV-Infizierten überhaupt wissen, dass sie die Immunschwächekrankheit haben. Ein Grund dafür ist Stigma, ein anderer wesentlicherer ist, sie wissen nicht, was sie für ihre eigene Gesundheit tun können.

    Viele Verantwortliche in der Regierung sind zu verunsichert, um klar Stellung zu beziehen. Der Grund dafür sind die umstrittenen Äußerungen des Präsidenten Thabo Mbeki. Er leugnet den unmittelbaren Zusammenhang von HIV und AIDS.

    Das sei unglaublich, empört sich Stanley Mogabe, Präsident der Pan-Afrikanischen Partei. AIDS sei eine Frage der Armut, meint Mbeki und er hat für viel Geld seine These vermeintlich wissenschaftlich bestätigen lassen.

    Der Prozess der Pharmakonzerne gegen die südafrikanische Regierung wegen unerlaubten Imports und der Herstellung von billigen Nachahmerpräparaten - sogenannten Generika -, hat die Gesundheitspolitik der Regierung unversehens auf den Prüfstand gestellt. Zugleich wurde auch klar, welche Verantwortung die Pharmakonzerne zu tragen haben. Sie mussten sich vor der Weltöffentlichkeit fragen lassen: Was kommt zuerst - der Kommerz oder der kranke Mensch? Denn während in einer Woche in Afrika 5.000 Menschen an AIDS gestorben sind, haben in genau dieser einen Woche die fünf größten Pharmaunternehmen 560 Million Dollar Profit gemacht. Da ist es moralische Pflicht, AIDS-Medikamente zu bezahlbaren Preisen an die Menschen zu verteilen, meint David Cameron, selbst AIDS-krank und einer der Obersten Richter des Landes:

    Von den Pharmakonzernen erwarten wir jetzt akzeptable Preise. Und von unserer Regierung fordern wir die Selbstverpflichtung, Taten, das notwendige Engagement, sofort einen umsetzbaren Plan zu erstellen, so dass ein praktikabler Handlungsrahmen vorliegt.

    Die Pharmakonzerne haben der südafrikanischen Regierung wiederholt Angebote zur Zusammenarbeit gemacht, sagt Eric Noehrenberg von der Internationalen Vereinigung der Pharmaunternehmen.

    Nun ist die südafrikanische Regierung am Zug. Sie ist durch den Prozess um billige AIDS-Medikamente unter Druck geraten, endlich eine aktive AIDS-Politik zu betreiben. Und dafür die nötigen finanziellen Mittel und die Infrastruktur bereitzustellen.

    Der plötzliche Rückzug des Pharmakonsortiums aus dem Prozess gegen den Import von Generika nach Südafrika kommt für Insider der Branche in den USA alles andere als überraschend. Vielmehr erkennen Experten des Pharmamarktes den Beginn einer neuen Strategie. Der Geschäftsführer eines nordamerikanischen Pharmaunternehmens, der unter dem Pseudonym Walter Moncure zitiert werden möchte, weil er aktiv in die gerichtliche Auseinandersetzung um Patente verstrickt ist, erklärt den Sinneswandel rein ökonomisch.

    Egal ob es sich um Marken- oder Generika-Hersteller handelt: der Kampf zwischen beiden geht immer um einen Markt, nicht um eine Krankheit. Niemand kümmert sich um eine Krankheit, die nur ein paar 1.000 Leute haben oder auf dem nichts zu verdienen ist. Geht es aber um einen Milliardenmarkt, dann kümmern sich alle und es gibt mehr als genug Mittel.

    Weltweit gibt es nach einer groben Schätzung Moncures etwa 200 Krankheiten, die nicht behandelbar sind. Viele enden tödlich. Da sie die Industrienationen nicht betreffen und der Markt nicht genügend Rendite verspricht, investieren die Pharmaunternehmen in vielen Fällen nicht einen einzigen Cent in die Forschung. Theoretisch ist das bei AIDS anders. 36 Millionen HIV-Positive weltweit versprechen ein lukratives Geschäft. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass mehr als neun von zehn AIDS-Kranken in den Ländern des Südens leben. Dort aber kann sich nur ein Bruchteil der Bevölkerung die teuren Pillen leisten: in Afrika nur ein Prozent.

    Der Löwenhappen der rund eine Milliarde US-Dollar, die in diesem Jahr mit den drei wichtigsten AIDS-Medikamenten AZT, 3TC und Combivir verdient werden, stammt also nicht aus den Ländern, in denen mehr als 90 Prozent der Betroffenen leben, sondern aus den reichen Industrienationen. Den Pillendrehern in den USA geht es nach Einschätzung von Pharma-Manager Moncure deshalb darum, diese "goldene Gans" nicht durch eine weitergehende Debatte über Patente und Generika zu gefährden.

    Die Interessen der Entwicklungsländern und der Industrieländer sind in diesem Punkt so verschieden, dass sie nicht einmal die gleiche Sprache finden, sie zu diskutieren. Das Geschäft ist das Eine, Politik und Moral etwas anderes.

    Eine nüchterne Bilanz, die in der Industrie zu dem Bemühen geführt hat, die Medikamente auf dem Weltmarkt zu unterschiedlichen Preisen an den Mann zu bringen. Die neue Formel lautet "abgestufte Preispolitik". So verkauft Glaxo Wellcome beispielsweise "Combivir" im Senegal für einen Bruchteil des Preises, den es in den USA erzielt. Die Hauptsorge gilt nun der Abschottung des eigenen Marktes vor Re-Importen günstiger Medikamente. Außerdem sollen Dritthersteller daran gehindert werden, ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Neben Indien und Thailand hat die amerikanische Pharmaindustrie dabei vor allem Brasilien im Auge, das seit 1997 sieben Patente wirksamer AIDS-Präparate kopiert hat.

    Mit Hilfe der Welthandelsorganisation WTO und der amerikanischen Regierung will die Pharmaindustrie nun Brasilien dazu zwingen, auf die Produktion zweier weiterer AIDS-Pillen zu verzichten. Der in New Jersey ansässige US-Konzern Merck&Co und die Schweizer Hoffman-La Roche Gruppe möchten so den lukrativen Markt für ihre Produkte abschotten. Mit mehr Flexibilität der WTO können dagegen die armen Staaten Afrikas rechnen: In der vergangenen Woche äußerte sich WTO Chef Mike Moore in Genf zuversichtlich über einen möglichen Interessenausgleich zwischen den Urheberrechten der Pharmafirmen und der medizinischen Versorgung der Ärmsten.

    Grundlage des Verfahrens ist das "Trade Related Intellectual Property Rights"-Abkommen, das bei Experten kurz TRIPS genannt wird. Mit Hilfe von TRIPS versuchen US-Unternehmen ihr Verständnis von Patentrecht auf die Weltgemeinschaft zu übertragen. Einziger Pferdefuss in dem Vertragswerk aus Sicht der Industrie ist die Bestimmung, nach der ein Land den Notstand erklären kann, um damit die Umgehung von Patenten zu rechtfertigen. Doch auch in diesem Fall gibt es Wege, Druck auf Regierungen auszuüben. Der amerikanische Pharma-Manager Moncure hat wiederholt studiert, wie die Regierung in Washington TRIPS instrumentalisiert. Dabei würden bewusst Spannungen aufgebaut, um die Verantwortlichen zum Einlenken zu zwingen.

    Diese Spannung zwischen den Regierungen sind einfach zu verstehen: wenn Ihr uns nicht gebt, was wir wollen, bekommt ihr nicht, was ihr wollt. Oder anders gesagt: wenn ihr Medikamente für Eure Leute haben wollt, müsst ihr uns Exklusivität auf Euerm Markt garantieren.

    Grundlage für TRIPS ist das Verständnis des amerikanischen Patentrechts, das darauf abzielt, die Exklusivität für Erfindungen so lange wie möglich aufrecht zu erhalten - egal zu welchem Preis.

    Der mächtigen Pharmaindustrie in den USA gelang es so, den Schutz des geistigen Eigentums zu einem Instrument umzufunktionieren, das der Industrie unliebsame Konkurrenz vom Hals hält. Das wird von der Branche selbst natürlich ganz anders gesehen. So hebt der einflussreichste Lobby-Verband der Pharmaindustrie in Washington hervor, dass in jeder Pille durchschnittlich 500 Millionen US-Dollar Entwicklungskosten steckten. Die willkürliche Handhabung von Patenten sei folglich ein "Innovations-Killer".

    Dieses Argument ist nach Ansicht von Insidern eine vorgeschobene Behauptung, die insbesondere im Fall der Immunschwäche AIDS nicht zutrifft. Viele Entdeckungen der AIDS-Forschung gehen nämlich auf die massive Förderung öffentlicher Institutionen durch den amerikanischen Staat zurück.

    Auch eine andere Zahl zeigt, wo die Prioritäten tatsächlich gesucht werden müssen: So hat die Pharmaindustrie in den USA im vergangenen Jahr mehr für das Marketing ihrer Pillen ausgegeben als für Forschung und Entwicklung. Für den Pharma- Geschäftsführer Moncure kommt solcherlei Erkenntnis nicht überraschend:

    Die Regel für alle Pharmaunternehmen und vor allem, aber nicht nur, die in Amerika lautet: sie müssen einen zweistelligen Gewinn erzielen, um nicht als Loser zu gelten. Patente helfen diese Gewinne zu sichern. Ob ethisch oder nicht: es geht immer um den Profit und der Profit geht zu den Aktienbesitzern und das sind wir.

    Die rund 800 - 900.000 AIDS-Kranken in den USA brauchen sich glücklicherweise nicht um die hohen Kosten für ihre Behandlung zu sorgen. Denn für den Fall, dass keine Versicherung besteht und nicht genügend eigene Mittel vorhanden sind, übernimmt das staatliche MEDICAID-Programm die Kosten. In der robusten amerikanischen Volkswirtschaft machen sich diese Ausgaben kaum bemerkbar. Ein Vorteil für die Pharma-Industrie, die ihre Geschäfte so weitgehend ungestört betreiben kann.