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"Das hat halt was mit Mephisto zu tun"

Dienstagmorgen, kurz nach acht. Im Deutsch-Leistungskurs in der Jahrgangsstufe zwölf an der Erich-Fried-Gesamtschule in Wuppertal steht Goethes Werther auf dem Lehrplan. Zum Einstieg bekommen die 16 Schülerinnen und Schülern eine Kopie mit einer Professorenrede von 1932.

Von Armin Himmelrath |
    Das ist eine Rede von Friedrich Gundolf zum 100. Todestag von Goethe.

    Und was steht da so drin?

    Ja, zum Beispiel, wie sie angeschrieben hat: Mit dem Satanisten, das bezieht sich auf die Bücher von Goethe, einmal zum Werther und einmal zum Faust. Und daraus erschließt sich dann eben, dass er einen Glanz von Satan hat.

    Kannst du das nachvollziehen?

    Ein bisschen schon, ja. Ich habe zwar die Bücher nicht richtig gelesen, weil wir das erst noch lesen werden, aber ich habe da zwar schon etwas drüber gehört, und da steht halt drin - das hat halt was mit Satan zu tun und mit Mephisto und so.


    In der Rede wird Goethe als Stürmer und Dränger gewürdigt. Die Schüler schreiben die wichtigsten Textaussagen auf die Tafel. Wer etwas weiß oder wer die Notizen eines Klassenkameraden ergänzen möchte, geht einfach nach vorne, nimmt sich ein Stück Kreide und schreibt drauflos. Auf der Tafel entsteht so schnell eine bunte Sammlung von Hinweisen, Ideen und Stichworten. Mind Mapping heißt diese Methode, erläutert Deutschlehrer Werner Stochay.

    Das ist das Verfahren, was ich für notwendig halte. Wir hatten Ferien, die Schüler sind draußen, und das ist die erste Stunde nach den Ferien: sie zum Thema zurückzuführen, sich zu erinnern, was wir bisher an Lyrik gemacht haben vom Sturm und Drang bis zur Klassik. Vor allem Goethe, nur in einem Fall ein Schiller-Gedicht. Auf die Art und Weise überhaupt erst einmal zu fokussieren auf das, was Thema ist - das ist Sinn der Sache im Moment.

    Und einer der Klassiker im Original wäre zu heavy in der ersten Stunde nach den Ferien?

    Das dachte ich mir, das wäre zu heavy. Das ist der Grund, warum ich also seicht, wenn man so will, anfangen wollte.

    Aber nicht nur mit den Feriennachwirkungen muss Werner Stochay kämpfen, auch der Lehrplan hält für den bekennenden Goethe-Fan Probleme bereit. Denn für eine komplette Textlektüre etwa von Goethes Werther reicht die Zeit einfach nicht aus.

    Die Richtlinien für Deutsch sehen vor, dass wir exemplarisch arbeiten. Ich finde das natürlich etwas schade. Nun ist das natürlich so: Wir haben einen Leistungskurs, der fünfstündig in der Woche statt findet, dass wir da schon mehr die Möglichkeit haben, an der Literatur zu arbeiten, aber nie vollständig.

    Werther gibt es also nur in Auszügen, Faust wird auf kleinere Einheiten reduziert, Schillers Räuber müssen ebenfalls abspecken.

    Natürlich haben sie zusätzlich die Aufgabe, den Rest dann selbständig zu lesen und zu erarbeiten, aber im Unterricht behandeln wir das Thema nur in Auszügen, exemplarisch.

    Bei solchen Beschränkungen wird es mitunter schwierig, Begeisterung zu wecken.

    Wie findest du denn Goethe als Autor?

    Michael : Ich weiß nicht, ob man das so direkt sagen kann. Er hat natürlich Geschichte geschrieben. Er ist berühmt - in Anführungszeichen - halt als Klassiker, und hat durch seine Werke Gefühle ausgedrückt. Es gibt andere Leute, die ich schlimmer finde. Bei ihm finde ich das noch verständlich, das kann man nachvollziehen.

    Das richtige Lesealter hält Lehrer Werner Stochay für entscheidend, wenn es darum geht, Schülerinnen und Schüler für die klassischen Autoren zu begeistern. Oder ihnen zumindest eine Ahnung davon zu geben, dass es sich lohnen könnte, diese Autoren zu kennen.

    Ich kann mich erinnern an ein Streitgespräch mit einer unserer Dezernentinnen vor einigen Jahren, die meinte, man könnte den Faust genauso gut in der Jahrgangsstufe zehn lesen, wenn man dazu die Verfilmung von Gründgens zeigt. Ich halte da nichts von, weil ich denke, die Schüler brauchen ein gewisses Wissen. Sie brauchen auch eine gewisse Reife, um überhaupt an das ranzukommen, was eben für mich das Wesentliche an den Klassikern ist: Dass sie einfach aus einer Weltanschauung, aus einer Haltung heraus schreiben und auch gelebt haben. Und dass, denke ich mir, kann man Schülern erst zeigen, wenn sie eine gewisse Reife erlangt haben. Deswegen bin ich dafür, Goethe tatsächlich erst in Jahrgangsstufe zwölf zu machen und nicht schon in der Zehn.