Lob über das neue Buch aus England kommt im Rathaus von ganz oben. Von Ingolf Roßberg, Dresdens Oberbürgermeister.
Ausgerechnet ein Brite hat es unternommen, die Frage "Warum Dresden?" neu aufzuwerfen. Ein Brite, der die Deutschen und ihre Mentalität kennt. Frederick Taylor studierte deutsche Geschichte, in Deutschland. Er hat Romane geschrieben und die Goebbels-Tagebücher ins Englische übersetzt. Als Frederick Taylor Ende Januar Dresden besuchte, traf er bei der Buchpräsentation im Rathaussaal viele Bekannte wieder. Zeitzeugen, die er befragt hatte, deren Erinnerungen sein Buch durchweben. 540 Seiten stark, mit dem Titel "Dresden Dienstag 13. Februar 1945. Militärische Logik oder blanker Terror?" Die Frage soll jeder Leser für sich selbst beantworten, schreibt Taylor, und das kann man auch schaffen. Weil Frederick Taylor ausgewogen alle maßgeblichen Quellen zu den Bombenangriffe befragt, Quellen von allen beteiligten Seiten. Dennoch gilt in Dresden: Taylor polarisiert. Unter den rund 400 Zuhörern im Rathaus sind auch etwa 80 Skinheads und Rechte, für die Taylor ein Skandalautor ist, der das angloamerikanische Bombardement als gerechte Strafe darstelle. Das tut Taylor nicht. Vielmehr nimmt er eine sehr differenzierte Haltung zur Rolle der Engländer im Krieg ein, eine Haltung, die – wie er glaubt, auch der Mehrheitsmeinung der Briten entspricht:
ie Mischung aus: Ja, wir haben einen gerechten Krieg gewonnen. Wir als Engländer können stolz darauf sein. Oh, gut. Aber auch: Die Methoden, die wir benutzt haben, sind doch fraglich. Da können wir nicht sagen, das war nötig und das war´s dann. Das erkennen die meisten Engländer an.
Er wird nie anmaßend, beleuchtet das Thema von allen Seiten und in seiner ganzen Vorgeschichte. Überdies ist er – das beweist ein Blick in den umfangreichen Fußnotenanhang – auf der Höhe des Forschungsstandes.
Klarheit verschafft hat Taylor insbesondere bei der Frage nach der strategischen Bedeutung Dresdens. Er beschreibt es als Etappe, als Durchgangsstation für Flüchtlinge – nicht als deren Auffangort. Das ist wichtig bei der Diskussion um die Opferzahl am Ende des Buches. Er beschreibt es als Verkehrsknoten für Truppenverlegungen und als Rüstungszentrum für militärische Präzisionsteile. Das hat auch OB Roßberg überzeugt:
Dresden war eines der verbliebenen wichtigen Rüstungszentren, die es damals im dritten Reich noch gegeben hat. Das war eben nicht die unschuldige Kunst- und Kulturstadt, wie man es öfters mal im Hinterkopf bei dem einen oder anderen im Hinterkopf findet. Das ist eine völlig richtige Sichtweise. Völlig neu ist eben: Wie wurde das im Generalstab bewertet und wie ging vor allem dann Churchill damit um mit der Sicht auf Dresden vorher und nachher – da muss man einfach sehr deutlich sagen: Das sind Innensichten, die ich bisher nicht gekannt habe beziehungsweise in dieser Dichtheit nicht gelesen habe.
Die Schilderung der britischen Seite hat ihren Schwerpunkt bei Airmarschall Arthur Harris. Der Hauptverfechter des so genannten Moral Bombing kommt mit vielen Äußerungen vor. Bomberharris hatte die volle Rückendeckung Churchills, wie sie Frederick Taylor in analytischer Distanz beschreibt:
Das gehört dazu: Terror. Das heißt: Abschreckung, das heißt, die Moral der Bevölkerung zu unterwühlen. Das gehört dazu. Das war von allen Mächten, die Flugzeuge für Angriffe auf Städte, insbesondere Großstädte benutzt haben, das war ein Teil des Kalküls, und das hat Churchill anerkannt.
Packend wird der Stimmungsumschwung bei Churchill nach der Zerstörung Dresdens geschildert. Ein internes Memorandum des Premierministers von Ende März 45 hatte für großen Wirbel gesorgt, weil Churchill gegenüber dem Generalstab Angriffe wie auf Dresden als – Zitat - bloße Terrorakte und zügellose Zerstörung beschrieben hatte und stattdessen die Konzentration auf militärische Ziele und Hydrierwerke zur Treibstoffgewinnung gefordert hatte.
Der 13. Februar 1945 – Militärische Logik oder blanker Terror? Zwar beschreibt Frederik Taylor in aller Ausführlichkeit die Rüstungsindustrie in Dresden, weist nach, dass fast jeder Betrieb gegen Kriegsende für die Wahrmacht produzierte. Warum am 13. und 14. Februar das Stadtzentrum zerstört, nicht aber diese Betriebe und die zahlreichen Kasernen bombardiert wurden – darauf findet Taylor auch keine Antwort als den Mechanismus eines bedingungslos geführten Krieges.
Ein eigenes Kapitel widmet Taylor der Frage nach Tieffliegerangriffen auf Zivilisten an den Elbwiesen am 14. Februar 45 mittags, als die Stadt zum 3. Mal bombardiert wurde, diesmal von amerikanischen Bombern. Sein Fazit: Sie hat es nicht gegeben. Auf keinen Fall als ein kaltblütiges Niedermähen an den Elbwiesen und im Großen Garten so, wie von David Irving geschildert. Dieser hatte ein Buch über die Zerstörung Dresdens geschrieben zu einem Zeitpunkt als er noch nicht ins rechtsextreme Lager abgedriftet war. Der für Irvings These in Haftung genommene Jagdfliegerverband – so weist Taylor nach – war zur fraglichen Zeit in Prag und nicht in Dresden. Außerdem – so Taylor - sei es nahe an der brennenden Innenstadt schlicht zu heiß gewesen für die kleinen Maschinen, um in Bodennähe zu kommen. Dass sich mindestens drei amerikanische Flugzeuge am 14. Februar ein Scharmützel mit wenigen deutschen Flugzeugen in Dresden in Bodennähe geliefert haben könnten, schließt auch Taylor nicht aus.
Ebenso der Buchautor einer weiteren Neuerscheinung hält nichts von der Tieffliegergeschichte. Matthias Neutzner hat zusammen mit Oliver Reinhard das vor einer Woche erschienene Buch "Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg" geschrieben. Als Vorsitzender der Dresdner Interessengemeinschaft 13. Februar 1945 hat der Publizist über 400 Zeitzeugenerinnerungen gesammelt, aufgearbeitet und dem Stadtarchiv überlassen. Direkte Schilderungen von Tieffliegerangriffen sind dort – so Neutzner - Fehlanzeige.
Ich kann nur sagen, aus der Perspektive der Dokumente die uns vorliegen ist das eher unwahrscheinlich, dass es zumindest diese berichteten Massaker an wehrlosen Bombenflüchtlingen auf den Elbwiesen und wo auch immer gegeben hat. Ich denke, das wird so nicht gewesen sein. Das heißt nicht, dass nicht diese Erzählungen irgendwo auch einen Kern an Wahrheit haben, aber zumindest in dieser dramaturgischen Zuspitzung des Hinschlachtens, was ja auch immer persönliche Mordgier der Ausführenden impliziert, denke ich, wird es nicht stimmen. Dafür sind mir keine historischen Belege bekannt.
Matthias Neutzners und Oliver Reinhards Buch liefert ein Bündel Zeitzeugenschilderungen in Briefen ebenso wie ein Kapitel über das Gedenken und auch die Instrumentalisierung des 13. Februar für Propaganda in den vergangenen 60 Jahren. Während Taylors neues Standardwerk über Dresdens Zerstörung mit dem Erblühen der Residenzstadt in den Jahrhunderten zuvor aufmacht, beginnen Neutzner und Reinhard mit einer Geschichte des Bombenkriegs - von der Idee von Abwürfen aus Zeppelinen vor über 100 Jahren bis zu Hiroshima. Wollte David Irving noch in seinem Buch "Der Untergang Dresdens" die Opferzahlen weit über die von Hiroshima stellen, so geht Matthias Neutzner in seinem Buch von einem Bruchteil der Opferzahl Irvings aus. Die Debatte, ob 350.000 oder 35.000 Tote, hält er in Fachkreisen für erledigt:
Die Militärhistoriker, die Zeitgeschichtler gehen davon aus, dass die Dimension irgendwo zwischen 25.000 und 35.000 wohl am nächsten kommt. Wir haben einfach das Problem, dass diese starke Symbolisierung, die diese starke Zerstörung Dresdens erfahren hat, bereits im Jahr 1945 und bereits durch die NS-Propaganda benutzt, immer auch mit wesentlich höheren Zahlen verknüpft war. Das heißt seit dem 20. Februar 1945 sind in der Welt Zahlen von 100.000, 200.000 und mehr in Umlauf. Die sind über all die Jahrzehnte hinweg kolportiert, geschrieben, berichtet worden. Das ist so im kollektiven Bewusstsein der Weltöffentlichkeit manifest, dass man es eben als Fachhistoriker sehr schwer hat dagegen anzuhalten. Es wird eben einfach nicht geglaubt.
Dazu Frederick Taylor:
Ich glaube, der Herr Reichert vom Stadtmuseum hat ziemlich ausführlich die ganzen Friedhoflisten durchgekämmt. Und ich glaube, 25.000 ist wahrscheinlich zu wenig und mehr als 35.000 ist wahrscheinlich zu viel. Mehr wahrscheinlich nicht. Das sind viele tote Menschen.
Auch ein drittes neues Buch zum Thema geht von nicht mehr als 35.000 Toten aus. Das von dem Journalisten Matthias Gretzschel geschriebene "Als Dresden im Feuersturm versank". Es ist großformatig, im Textumfang aber mager. Dafür lässt es umso mehr Fotos von Bombenangriffen und Ruinen sprechen. Der Abdruck von Suchanzeigen vermisster Kinder von Dresdnern und Flüchtlingen geht unter die Haut. Gretzschel wendet den Blick von Dresden auch einmal ab, richtet ihn auf Hamburg und untersucht hier wie dort die verheerende Wirkung des Feuersturms, den die Kombination aus den verwendeten Spreng- und Stabbrandbomben hervorgerufen hat. Vergleicht man die Herangehensweise der drei Bücher an den 13. Februar 1945, fällt auf: Bei den Deutschen sind es Bombenkriegsgeschichte und Feuersturm-Physik – bei dem Briten ist es eine Liebeserklärung an das alte Elbflorenz. Der Engländer Taylor hat sie an die alte Kulturstadt Dresden und die Dresdner geschrieben, voller Mitgefühl mit den Opfern der Angriffe seiner Landsleute. Die Zusammenfassung der Katastrophe erzählt Frederick Taylor in dem Ton, den auch sein Buch bestimmt. Er komponiert mit seiner Erzählweise eine bislang nicht erreichte Synthese: Von distanzierter Draufsicht auf die militärischen Akteure samt ihrer Logik und zugleich einer dem Leser sehr nahe gehenden Innensicht voller Herzenswärme und Mitgefühl mit Dresdens mit seinen Dresdnern. Dass die Bombardierung zutiefst unmoralisch war, daraus macht Frederick Taylor keinen Hehl:
Das war eine kaltblütige Kalkulation. Das war eine gut erhaltene Altstadt mit viel Zündstoff. Keine Fliegerabwehr. DA hatte man vor einem Monat die letzten Flakgeschütze rausgezogen. Die gingen an die Ostfront oder ins Ruhrgebiet. Und dann dazu die ganz schlechten Luftschutzmaßnahmen und auch die Unerfahrenheit der Dresdner mit Bombenangriffen. Und auch das Wetter war außerordentlich gut für die Jahreszeit. Februar. DA ging alles zusammen an diesem furchtbaren Schicksalsschlag. Und da verschwand eine schöne und weltweit berühmte Stadt in einer Nacht. Ich meine, da gibt es Leute, die sagen, Dresden war doch nicht schlimmer als anderswo. Aber, aber. Sowas, das hat so eine Tragik an sich, das Schicksal Dresdens. Wir können es nie vergessen. Wie könnten wir es vergessen? Das ist wirklich wie ein tragisches Schauspiel.
Henning Hübert stellte Ihnen drei Bücher zum Dresdner Bombeninferno vor 60 Jahren vor. Die Titel im einzelnen:
Frederick Taylor: Dresden, Dienstag , 13. Februar 1945. Militärische Logik oder blanker Terror ? Die deutsche Ausgabe ist erschienen im C. Bertelsmann Verlag München, umfasst 540 Seiten und kostet 26 Euro. "Als Dresden im Feuersturm versank" ist der Titel des Buches von Matthias Gretzschel, verlegt bei Ellert und Richter in Hamburg, 151 Seiten für 19 Euro 95. Und schließlich "Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg" von Matthias Neutzner und Oliver Reinhard. erschienen in der Edition SZ der Sächsischen Zeitung Dresden, 368 Seiten zum Preis von 22 Euro und 90 Cent.