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"Das ist auf Dauer nicht gesund"

DGB-Chef Michael Sommer beklagt die Zunahme von Zeitarbeitsverhältnissen. "Ich habe den Eindruck, dass es viele Arbeitgeber gibt, die das Instrument der Zeitarbeit missbrauchen, um in Deutschland so etwas einzuführen wie Kern- und Randbelegschaften", sagte Sommer. Möglicherweise sei dieser Trend nur durch eine Gesetzesänderung zu stoppen.

Moderation: Birgid Becker |
    Birgid Becker: Prägendes Thema, Herr Sommer, der vergangenen Woche war ja der G8-Gipfel in Heiligendamm, der einerseits Treff der Mächtigen der Welt war, andererseits aber auch ein Forum für diejenigen darstellte, die gegenüber der Globalisierung kritisch eingestellt sind. Wo war da der DGB, und wo war der DGB-Chef?

    Michael Sommer: Der DGB-Chef war vielfach unterwegs um die Vorbereitung des Gipfels mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus den G8-Staaten. Wir hatten eine große Konferenz der Arbeitsminister in Dresden, an der wir teilgenommen haben, zum Thema "gute Arbeit", wo ja auch Teile des Abschlussdokumentes vorbereitet wurden. Wir waren bei der Bundeskanzlerin, wo wir insbesondere mit ihr über drei Themen geredet haben, nämlich die Anerkennung von Kernarbeitsnormen weltweit, die Frage sozialer Sicherungssysteme für die Entwicklungsländer, insbesondere für Afrika, und zum Dritten die Frage, wie man Hedgefonds regulieren kann – alles Themen, die auf dem Gipfel eine Rolle gespielt haben, wo es zu Verabredungen gekommen ist, die leider unkonkret sind, aber das ist nun mal bei einem Treffen dieser Art so. Aber insgesamt haben wir dort eine Wirkung erzielt im Vorfeld – politisch. Und unsere Kolleginnen und Kollegen waren auch bei denjenigen, die demonstriert haben für eine andere Welt, für eine bessere Welt, für eine soziale Gestaltung der Globalisierung.

    Wir haben nur von Anfang an auch in der Vorbereitung unserer Aktionen, insbesondere auch der Gewerkschaftsjugend, Wert darauf gelegt, dass wir, soweit es überhaupt menschenmöglich ist, Gewaltfreiheit sicherstellen. Und ich glaube auch, dass der überwiegende Teil insbesondere der jungen Menschen, die dort in Heiligendamm und Umgebung waren, dass es denen darum geht, friedlich die Welt zu verändern und eben nicht militant, und dass die schlimmen Auswüchse, die es gegeben hat bei den Demonstrationen, sich wirklich konzentrieren auf ein paar tausend Chaoten. Die gibt es leider, aber die sind nicht gleichzusetzen mit dieser Bewegung, die eine sozial gerechte Globalisierung will.

    Becker: Ist es nicht dennoch so, dass der DGB als Gewerkschaftsdach wie auch die Einzelgewerkschaften sich recht schwer tun, einen Platz zu finden in dieser ja doch zugegeben bunten Truppe an Globalisierungskritikern? Ist es nicht schwer für Sie, sich da einzusiedeln und einzuordnen? Wollen Sie nicht, oder klappt es nicht?

    Sommer: Es geht für uns um den Punkt, dass wir gestalten wollen. Und zum Gestalten gehört sicherlich auch der Protest, und da haben die durchaus unsere Sympathie, und unsere Gewerkschaften sind ja auch mitten dabei, das ist überhaupt nicht die Frage. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass wir diese Art von Doppelstrategie, auf der einen Seite reden, auf der anderen Seite dagegen demonstrieren, natürlich auf Dauer nicht durchhalten können und auch nicht durchhalten wollen. Und von daher nehmen wir auf beide Seiten Einfluss und nehmen an beiden Seiten teil. Wenn Sie so wollen, sind wir da so ein Weltkind in der Mitten. Aber ich glaube, es geht auch nicht anders. Und im übrigen sind ja einige der Initiatoren dieser Bewegung ja doch auch durchaus desillusioniert worden, was die Gewaltbereitschaft von den Chaoten anbetrifft. Wir haben das von Anfang an so eingeschätzt, dass es ganz schwierig wird. Ich kann mich erinnern, der erste Auftritt des schwarzen Blockes war in Krefeld, als Reagan noch US-Präsident war, und seitdem wächst die Zahl der Militanten, und mit denen haben wir nun wirklich nichts zu tun und wollen auch nichts zu tun haben mit denen.

    Becker: Weg von der vergangenen Woche, blicken wir auf diese neue Woche. Und dabei kommen wir natürlich stärker zum Tagesgeschäft: Tarifkonflikt Telekom: Vier Wochen des Streiks liegen hinter ver.di und dem Konzern. In dieser Woche sind neue Verhandlungen angesetzt. Was erwarten Sie?

    "Die Telekom ist in großen Schwierigkeiten"
    Sommer: Ich erhoffe mir, dass sich das Management endlich bewegt und einsieht, dass es nicht geht, dass man ein Unternehmen aus der Krise damit führen kann, dass man die Beschäftigten schädigt. Die Telekom ist in großen Schwierigkeiten, das ist, glaube ich, mittlerweile allgemein bekannt. Ihr rennen die Kunden mittlerweile zu Hunderttausenden weg aus den verschiedensten Gründen. Und da ist vieles zu tun, aber die Ursachen dafür liegen nun nicht in der Arbeitsleistung der Beschäftigten, die übrigens die so genannte 34-Stunden-Woche mit Lohnverzicht bezahlt haben. Das ist ja nicht so, als ob da nichts passiert wäre in der vergangenen Zeit. Und die wehren sich dagegen, dass man ihnen die Arbeitszeit verlängern und die Löhne kürzen will. Und das ist völlig gerechtfertigt.

    Übrigens wäre das Management auch gut beraten endlich einzulenken, weil sie die Krise der Telekom insbesondere an der Kundenfront nur gewinnen können mit den Beschäftigten und nicht mit Leuten, die man einschüchtert und demotiviert. Die werden sich nicht das Bein für diese Firma ausreißen lassen. Und ich kenne so und so viele Menschen bei der Telekom, ich komme ja selber aus dem Bereich, von denen ich weiß, dass denen das Herz blutet, wenn die sehen, wie die Telekom an öffentlichem Ansehen verliert. Sie sind es allerdings auch leid, den Kopf hinzuhalten für Managementversagen. Das hat es massenhaft gegeben in der Vergangenheit. Und wenn man da aufräumen will, dann muss das Management besser arbeiten und die Leute mitnehmen.

    Becker: Was gibt es an Gesprächen oder was gibt es an Einflussnahmen hinter den Kulissen? Mehrheitseigner der Telekom ist ja nach wie vor der Bund, und der DGB-Chef sitzt im Aufsichtsrat des Unternehmens. Was können oder wollen Sie tun, um diese verfahrene Situation ein wenig zu entzerren?

    Sommer: Das ist relativ einfach. Der Arbeitskampf wird von meiner Gewerkschaft geführt, nämlich von ver.di, in der in Mitglied bin. Und ich habe den Kolleginnen und Kollegen gesagt: Dort, wo Ihr meine Unterstützung braucht, kriegt Ihr sie - öffentlich und nicht öffentlich. Und wo Ihr sie nicht braucht, seid Ihr am Zug. Und Sie können davon ausgehen, dass in diesem Feld der DGB-Vorsitzende auch arbeitet, ohne öffentlich darüber zu sprechen. Das werde ich auch heute nicht tun.

    Becker: Aber anders herum gefragt: Wie viel Streik kann sich die Telekom noch leisten, wie viel Streik kann ver.di von den Beschäftigten verlangen?

    Sommer: Ver.di verlangt von den Beschäftigten keinen Streik. Die Beschäftigten verlangen von ver.di, dass gestreikt wird. Da hat es eine Urabstimmung gegeben mit einer ganz großen Mehrheit. Ver.di wird das lange durchhalten können, nur muss man natürlich auch sehen, dass der Streik auch irgendwann zu Ende gehen wird mit einem Punkt, der hoffentlich so die Beschäftigten zufrieden stellt. Dann haben wir die Situation, dass man wieder miteinander reden muss und sich ins Auge blicken können muss. Das ist der Teil. Ich glaube, es kommt sehr darauf an, dass nicht weiter vom Management Öl ins Feuer gegossen wird, sondern wirklich nach Lösungsvorschlägen gesucht wird.

    Becker: Es soll in der darauffolgenden Woche einen neuen Verhandlungstermin der Koalitionsspitzen zum strittigen Thema Mindestlöhne geben. Das vergangene Treffen in dieser Angelegenheit Ende Mai brachte ja kein Ergebnis. Sind Sie vor diesem Hintergrund schon bescheidener geworden, also keine Forderung mehr von Ihrer Seite nach einem allgemeinen Mindestlohn von 7,50 Euro?

    Sommer: Nein, das sind wir nicht, weil die Forderung an sich richtig ist, sie entspricht den sozialen Notwendigkeiten. Wir haben 2,5 Millionen Menschen in diesem Land, die zu Armutslöhnen arbeiten, die liegen deutlich unter 7,50 Euro, Vollzeitarbeit. Und das ist eine soziale Situation, die wir nicht hinnehmen können und auch nicht hinnehmen wollen. Deswegen haben wir uns nach langer interner Debatte dazu durchgerungen, als ergänzendes Instrument zur Tarifautonomie den gesetzlichen Mindestlohn zu fordern und auch hoffentlich durchzusetzen. Von der Regierung erwarte ich, dass sie endlich zu Potte kommt. Ich will daran erinnern, dass es geplant war, dass die Ergebnisse der sogenannten Arbeitsgruppe Niedriglohn der Koalition im November kommen sollten. Wir haben jetzt Juni. Das wird geschleppt, und noch mal geschleppt, und noch mal geschleppt, und irgendwann wird die Schindmähre dahingetrieben sein, bis nichts mehr rauskommt. Das ist nicht im Interesse der Menschen.

    Becker: Aber liegt das nicht auch an Ihrer Seite, weil die Gewerkschaften ja nun auch, oder Sie als DGB-Chef, relativ stur sagen 7,50 Euro, und drunter und anders soll es nicht funktionieren. Dabei gibt es ja durchaus Spielbälle, die sogar von der CDU ins Rennen gebracht werden, etwa vom CDU-Arbeitnehmerflügel, der mit einer Ausweitung des Entsendegesetzes auf die eine oder andere Branche argumentiert. Ist das nichts, was Sie auch annehmen müssten, um die Diskussion weiter zu bringen?

    Mitarbeiter der Deutschen Telekom protestieren in Köln.
    Mitarbeiter der Deutschen Telekom protestieren in Köln. (AP)
    Mindestlohn: "Niemandem ist mit faulen Kompromissen gedient"
    Sommer: Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen würde helfen, aber sie würde das Problem nicht lösen, weil Sie sehen müssen, dass auch nach dem Entsendegesetz die Tarifverträge, die dann für allgemein verbindlich erklärt werden sollen, natürlich bestimmten Kriterien entsprechen müssen, zum Beispiel bundesweit, flächendeckend und repräsentativ. Und in vielen Branchen gibt es diese Tarifverträge überhaupt nicht, von daher geht das Entsendegesetz ins Leere. Es ist nicht überall, aber es geht in weiten Bereichen ins Leere. Und wenn Sie sich zum Beispiel die Debatte um die Bezahlung bei den Postdiensten angucken, dann haben wir einen flächendeckenden, bundesweit gültigen Tarifvertrag, den nämlich ver.di mit der Post AG geschlossen hat. Der hat nur einen Nachteil: Das ist kein Branchentarifvertrag, das ist ein Haustarifvertrag. Und dafür müssten auch gesetzliche Regelungen gesucht werden.

    Nein, wir brauchen beides. Wir brauchen sowohl die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen, seine Anwendung zum Beispiel bei der Zeitarbeit, wo die Tarifverträge vorliegen seit Mai vergangenen Jahres beim zuständigen Arbeitsminister und bis heute nicht entschieden worden ist. Und das wäre ein Minimum dessen, was man tun könnte. Und das wäre auch unsere Forderung: flankieren, aber nicht ersetzen. Und ich sage Ihnen, wir werden so lange für diese Forderung nach einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn fighten, bis wir ihn haben. Ich hoffe, das geht schnell. Am liebsten wäre es mir, es käme am 18. Juni raus. Nun kenne ich auch die Haltung der CDU in der Frage, von daher bin ich da auch ein bisschen illusionsfrei. Aber eines ist klar: Wir werden die Auseinandersetzung weiterführen, bis wir das durchgesetzt haben, denn das ist elementar für die Leute hier in diesem Land, die wirklich arm sind und arbeiten. Und ich finde es auch einfach ungerecht, diesen Menschen keinen gerechten Lohn zu geben. Und deswegen wird es beim Thema bleiben, und im Übrigen sage ich Ihnen auch: Vor zwei Jahren war noch die stehende Meinung von Deutschland: Wir brauchen eine Ausweitung des Niedriglohnsektors. Heute hat sich die Debatte völlig gedreht. Die Forderung nach einem Mindestlohn, nach einem gesetzlichen Mindestlohn, ist richtig populär auch in der Bevölkerung. Und wir werden auf dieser Welle weiter reiten, keine Sorge.

    Becker: Und konkret noch mal nach dem 18. Juni gefragt, dem Termin für das nächste Koalitionstreffen in Sachen Mindestlöhne: Was erwarten Sie? Dass die Geschichte in der Koalition zunächst einmal beerdigt wird?

    Sommer: Ich erhoffe mir, dass wir weiterkommen. Und ansonsten gehöre ich nicht zur Fraktion der Hellseher, ich kenne nur die unterschiedlichsten politischen Äußerungen seitens der SPD und auch seitens der CDU. Und ich sage, niemandem ist mit faulen Kompromissen gedient, aber niemand ist auch damit gedient, dass nichts passiert. Deswegen geht meine Erwartung an den Arbeitsminister schon und an den SPD-Teil der Großen Koalition, dass die sagen: Die Union muss endlich springen.

    Becker: Wie dicht sehen Sie überhaupt die SPD an Ihrer Seite? Da gibt es ja auch schon Rechenmodelle, vorgebracht etwa vom Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, denen zufolge ein Mindestlohn von 7,50 Euro in keinem Fall zu erwarten ist.

    Sommer: Ich kenne diese Rechenmodelle auch und sage auch in aller Eindeutigkeit: Sie reichen nicht aus. Die machen das ja fest an Hartz IV plus 25 Prozent. So. Da liegen sie weit unter 7,50 Euro die Stunde, und das ist nicht das, was wir brauchen. Auch die Debatte, die geführt wird um das sogenannte Bofinger-Modell, dass man Zuschüsse zur Sozialversicherung bezahlt für Menschen, die wenig verdienen, heißt ja nur, wenn ich das mal mache am Beispiel "Jemand verdient 800 Euro im Monat brutto", wir reden ja immer über Bruttogehälter, und selbst, wenn das aufgehen sollte, was einige Leute im Arbeitsministerium planen, nämlich da einen Zuschlag von 25 Prozent drauf zu machen, also das hoch zu subventionieren auf 1.+000 Euro – erstens ist das ein Teil von direkter Lohnsubvention zugunsten der Arbeitgeber, das muss man auch wissen, ob man das im Kapitalismus will oder ob das eher in der DDR früher üblich war, aber das ist ein anderes Thema, und zum Zweiten reichen diese 1000 Euro auch hinten und vorne nicht. Unsere Forderung nach 7,50 Euro heißt übersetzt ein Brutto-Monatslohn von ungefähr 1350 Euro. Das ist das, was wir an Minimum brauchen. Alles da drunter hilft den Menschen nicht wirklich weiter.

    Becker: Wo sie nun deutlich nicht Seite an Seite marschieren, also SPD und Gewerkschaften, das war und ist beim Thema "Rente mit 67". Jetzt fällt es aber auf, dass SPD-Politiker die im Gesetz verankerte Bestandsprüfungsklausel so mit einiger Fantasie auf einmal besehen, die Klausel also, nach der die Regierung ab 2010 alle vier Jahre über die Arbeitsmarktlage für Ältere berichten muss. Wie interpretieren Sie das? Kommt es doch dazu, dass die Sozialdemokratie allmählich bereit ist, Abschied von der Rente mit 67 zu nehmen, wenngleich es deutliche Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat für dieses Projekt gab?

    Sommer: Die Mehrheiten, da sollte man sich nicht täuschen lassen, die haben sehr viel damit zu tun, dass Fraktionsdisziplin verlangt wurde und auch erteilt wurde. Da gibt es Geschichten, die mir Abgeordnete erzählt haben, die teilweise nicht sehr viel mit dem freien Mandat zu tun haben. Aber wie gesagt, das müssen diese Abgeordneten, die ja frei gewählte Volksvertreter sind, mit sich selber ausmachen. Es ist natürlich schon ein Punkt, dass man erst ein Gesetz verabschiedet und anschließend eine Arbeitsgruppe einsetzt, die dann dieses Gesetz wieder verändern soll. Nichtsdestotrotz, wenn die Einsicht in der SPD gewachsen ist, dass deutlich nachgebessert werden muss, dann ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Der Richtigste wäre zu sagen, wir verzichten auf das Projekt "Rente mit 67". Da spielt diese Beschäftigungsklausel eine große Rolle. Die haben wir immer gefordert, und wir fordern auch ihre Anwendung. Aber es geht um mehr. Es geht um eine Nachfolgeregelung für die Altersteilzeit, die ganz wichtig ist insbesondere in Großkonzernen, wo Personal abgebaut wird, um das sozialverträglich hinzukriegen. Es geht um eine Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, und es geht auch um sogenannte Teilrenten.
    Wenn Sie mich nach einer Rentenvision fragen würden, müssten wir eigentlich ein System finden, wo wir den flexiblen Übergang individuell gestalten können mit einer sozialen Absicherung für die Betroffenen. Aber davon sind wir weit entfernt. Im Übrigen, was die Arbeitsgruppe anbetrifft, habe ich den Kolleginnen und Kollegen der SPD gesagt, dass wir nicht offiziell an dieser Arbeitsgruppe teilnehmen, dass wir unseren Fach- und Sachverstand zur Verfügung stellen in Unterarbeitsgruppen, aber mehr auch nicht. Und im Übrigen habe ich auch am 1. Mai angekündigt, und bei der Ankündigung bleibe ich, wenn sich nicht materiell etwas ändert, werden wir das Thema "Rente mit 67", also Abschaffung der Rente mit 67 und Wiedereinführung der Rente mit 65, zum Wahlkampfthema im Jahre 2009 machen. Wir werden von uns aus Themen bestimmen, an denen wir die Parteien messen und nicht umgekehrt.

    Becker: Statt nach Visionen zu fragen, hätte ich es auch gerne eins kleiner: Was konkret an Maßnahmen oder Veränderungen oder Korrekturen an der Rente mit 67 würde Sie denn zufriedener machen?

    Sommer: Die Wiedereinführung der Rentengrenze mit 65 - Punkt eins. Punkt zwei: eine wirklich gute Altersteilzeitregelung, die wir brauchen. Und zum Dritten sonstige Instrumentarien wie zum Beispiel Teilrente doch wesentlich verbessern. Das würde, glaube ich, den Menschen in diesem Land helfen. Es würde übrigens auch der Rentenversicherung an sich helfen. Und das Grundübel aller sozialen Sicherungssysteme, wenn die in die Krise geraten, ist die Massenarbeitslosigkeit. Also ist das wichtigste Thema immer noch die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Da sind wir momentan Gott sei Dank einen Schritt weiter. Ich hoffe sehr, dass sich das verstetigt.

    Becker: Wo sehen sich die Gewerkschaften überhaupt im Moment in der Position zur Großen Koalition? Ist die Tonlage im Moment nicht geradezu auffällig sanft den Gewerkschaften gegenüber, Ihnen gegenüber, wenn etwa die Kanzlerin Dumping-Methoden im Niedriglohnbereich anprangert oder, wie schon erwähnt, die SPD ja immerhin diese Arbeitsgruppe zur Rente mit 67 ins Leben ruft? Im Moment ist man ja freundlicher zu Ihnen, als man das seit Anbeginn der Großen Koalition überhaupt jemals war.

    Sommer: Ich glaube, die haben schon erkannt in der Großen Koalition, dass es Ursachen gab für den Wahlausgang 2005, nämlich dass die Menschen doch eine deutliche Hinwendung zu einer sozialeren Politik wollen. Alleine, Sie müssen ja zwei Sachen sehen: Die Tonlage und die Professionalität der gemeinsamen Arbeit ist die eine Seite, die Ergebnisse sind die andere Seite. Und da ist gegen die Gewerkschaften die Rente mit 67 durchgesetzt worden, da ist gegen die Gewerkschaften und viele, viele Fachleute die Gesundheitsreform durchgesetzt worden, und da ist jetzt die Unternehmenssteuerreform durchgesetzt worden. Also, von da her, was die Ergebnisse anbetrifft, stehen die im diametralen Verhältnis zu dem, was da teilweise an Tonlage geschildert wird. Andererseits sage ich Ihnen auch, es gibt ein besseres Arbeitsverhältnis zur Bundesregierung in Themen, die für Arbeitnehmer auch nicht ganz uninteressant sind wie zum Beispiel die Frage der Regulierung von Hedgefonds oder auch, wie man die Mitbestimmung erhalten kann und ähnliches mehr. Da hat sich wirklich manches Positive getan. Aber täuschen wir uns nicht, zum Schluss messen die Menschen auch die Regierung an ihren Taten und nicht an der Frage, wie freundlich sie mit dem einen oder anderen umgehen.

    Becker: Jetzt habe Sie das recht spröde "besseres Arbeitsverhältnis" genannt, Ihre Beziehung zur Großen Koalition. Aber ist Ihnen diese Art von Gesinnungswandel nicht auch ein bisschen verdächtig? Könnte die neue Tonlage nicht irgendetwas mit dem Wahlerfolg der Linkspartei in Bremen zu tun haben?

    Sommer: Ich glaube, wir müssen es ganz nüchtern sehen, dass sich in Deutschland ein Fünf-Parteien-System etabliert, was in sich seine Wirkungen hat, wo wir dann neben der Großen Koalition eigentlich nur die Variante von Dreierkoalitionen haben, die natürlich dazu führt, dass insgesamt das politische Kräfteverhältnis oder Kräfteparallelogramm sich verändert. Die Existenz der Linkspartei führt sicherlich dazu, dass über soziale Themen nicht hinweggegangen werden kann. Andererseits muss man der Linkspartei sagen, wer nicht gestalten will und reine Oppositionspolitik betreibt, hat natürlich auch nur beschränkten politischen Einfluss. Wenn Sie fragen, sind Sie der Meinung, dass man andere Koalitionen bräuchte, dann kann man theoretisch sagen ja, aber praktisch nein, denn es wird auf absehbare Zeit wegen des teilweise hysterischen Verhältnisses zwischen Linkspartei und SPD da eine Zusammenarbeit nicht geben können.

    Becker: Sie empfinden es als teilweise hysterisch? An welchen Stellen?

    Ein Fensterputzer putzt Scheiben im Regierungsviertel vor dem Bundeskanzleramt in Berlin
    Ein Fensterputzer putzt Scheiben im Berliner Regierungsviertel. (AP)
    Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel beim DGB-Bundeskongress in Berlin.
    Sommer und Bundeskanzlerin Angela Merkel. (AP)
    "Wir brauchen keine Gewerkschaftspartei"
    Sommer: Ja, das Verhalten von Oskar Lafontaine seiner alten Partei gegenüber ist ja nun nicht wirklich geprägt von Verständnis oder gar von der Frage, wie man miteinander zusammenarbeiten kann. Die sehr hysterischen Reaktionen auch auf der SPD-Seite gegen die Gründung dieser Partei, die kann ich nachvollziehen. Aber ich glaube, wir tun alle gut daran, die Existenz dieser Partei als Normalität zu betrachten. Und dann muss man sie behandeln wie jede andere Partei auch. Ich sage immer, weder hysterisch noch euphorisch. Auch dazu werden wir Arbeitsverhältnisse herstellen, aber ich muss auch sehen, dass Gewerkschaften dazu da sind, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Und das ist unsere Hauptaufgabe. Und da muss man auch gestalten. Das kann man nicht aus der Opposition heraus machen. Im Übrigen, wer immer meint, die Linkspartei sei eine Gewerkschaftspartei, dem kann ich nur sagen: Wie die sich selber darstellen, ist ihre Geschichte. Wir brauchen keine Gewerkschaftspartei. Wir brauchen Parteien, die die Interessen von Arbeitnehmern wahrnehmen, berücksichtigen und versuchen umzusetzen. Solche Parteien brauchen wir und sonst nichts.

    Becker: Trotzdem kann es ja so etwas wie innere Nähe oder inhaltliche Übereinstimmung geben. Deshalb gefragt: Wie lieb ist Ihnen die Linkspartei?

    Sommer: Ich beantworte Ihnen die Frage andersrum. Ich stehe in der Tradition derer, die nach dem Krieg die Einheitsgewerkschaft aufgebaut haben, parteipolitisch unabhängig, weltanschaulich neutral. Das ist das, wofür ich stehe und wofür der DGB steht. Wir werden nicht zulassen, dass die Gewerkschaften zum Tummelfeld von Parteien werden. Wer immer das probiert, wird auf den Widerstand bei uns stoßen. Wir sind gerne bereit, mit Parteien zusammenzuarbeiten, aber wir lassen es nicht zu, dass wir sozusagen als Rekrutierungsfeld für irgendwelche Parteipolitik missbraucht werden, und schon gar nicht im Wahlkampf.

    Becker: Steht dem nicht entgegen, dass es doch zwischen Linkspartei und Gewerkschaften starke organisatorische, zumindest aber personelle Verflechtungen gibt?

    Sommer: Es gibt auch zwischen der CDU und der CDA und den Gewerkschaften starke personelle Verknüpfungen. Gucken Sie sich nur meine Stellvertreterin an, die ja sogar im CDU-Parteivorstand sitzt. Gucken Sie sich an, welches Verhältnis wir auch teilweise zu den Grünen haben. Nein, nein, ich bleibe dabei: Es gibt keine Lieblings- oder Nicht-Lieblingspartei, es gibt etwas, was mir wirklich lieb und teuer ist, und das sind die Gewerkschaften.

    Becker: Wie sehr fühlen sie sich andererseits von der SPD gedrängt, doch möglichst Distanz zu der Linkspartei zu wahren?

    Sommer: Wir werden sehr gedrängt von allen möglichen Seiten. Und meine Antwort darauf ist: Wir setzen unsere Themen, und mit unseren Themen prüfen wir, was die Parteien tun und nicht umgekehrt. Wir werden jetzt auch im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Hessen und in Niedersachsen eigene Anforderungen formulieren, bevor die Parteien ihre Parteiprogramme machen, damit die wissen, was die Menschen von ihnen erwarten. Die sollen sich auf uns beziehen und nicht wir auf sie.

    Becker: Noch so ein Projekt, bei dem es aussieht, als fänden die Gewerkschaften ganz aktuell offenere Ohren, als das noch vor ein paar Wochen der Fall war. Aus der SPD im Saarland kamen Zweifel daran, ob es beim Einsatz von Zeitarbeitern immer mit rechten Dingen zugeht. Sind da auch bei Ihnen Zweifel?

    "Ende mit lustig" bei der Zeitarbeit
    Sommer: Ich habe den Eindruck, dass es viele Arbeitgeber gibt, die das Instrument der Zeitarbeit missbrauchen, um in Deutschland so etwas einzuführen wie Kern- und Randbelegschaften, also Randbelegschaften, die man im Falle einer Krise oder was auch immer sehr schnell wieder loswerden kann. Ich bedauere sehr, dass der positive Beschäftigungsaufbau weitestgehend im Bereich von Zeitarbeit stattfindet. Das ist auf Dauer nicht gesund. Das sehen die seriösen Teile der Branche übrigens auch. Wenn wir bis zu 25 Prozent mittlerweile Zeitarbeiter in Firmen haben, auch in Großkonzernen, dann stimmt da etwas nicht. Wenn jetzt sogar, wie bei der Telekom geschehen, versucht wird, Zeitarbeiter als Streikbrecher einzusetzen, hört es nun wirklich auf. Dann ist ein Ende mit lustig. Und ich glaube, die Zeitarbeitsbranche hat selber, jedenfalls die seriösen Teile, Interesse daran, dass das ein Instrument von Personalflexibilisierung bleibt, aber eines, was nicht überzogen wird, weil sonst die Branche insgesamt kaputt geht. Und mein Appell an die Arbeitgeber lautet: Hört auf, dieses Instrument zu missbrauchen.

    Wir haben mit Wolfgang Clement damals als Arbeitsminister den Weg frei gemacht für Zeitarbeit, indem wir gesagt haben, wir wollen gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen und machen Sonderregelungen tarifvertraglich. Das hat auch dazu geführt, dass große Teile der Branche aus der Schmuddelecke herausgekommen sind, aber wir haben immer noch einige schmutzige Firmen in dem Bereich, mit denen man nicht zusammenarbeiten kann. Und wer die nimmt, um dann insgesamt Belegschaften auch erpressbarer zu machen, der muss wissen, dass er auf unseren Widerstand stößt.

    Becker: Und dennoch gibt es kein Plädoyer von Ihnen für neue gesetzliche, einschränkende Maßnahmen?

    Sommer: Ich glaube, dass wir erst mal gefordert sind, in den Betrieben mit den Instrumentarien des Betriebsverfassungsgesetzes zu arbeiten. Dort, wo das nicht ausreicht, müssten wir möglicherweise ergänzende gesetzliche Maßnahmen machen. Man wird die Praxis jetzt der nächsten Wochen und Monate abwarten müssen. Und dann glaube ich schon, dass man über die Frage der Mitwirkung der Betriebsräte bei der Einstellung von Zeitarbeitern durchaus etwas machen sollte. Und das liegt dann auch an den Firmen, sich entsprechend einzustellen. Und wenn sie das nicht tun, dann muss man tatsächlich über gesetzliche Regelungen nachdenken.