So erzählt der Berliner Theaterregisseur und Autor Jörg Aufenanger einen eher zufälligen Besuch in der lippischen Residenzstadt:
Und ich erinnerte mich dann daran, dass Grabbe dort geboren ist, in die Welt gegangen ist, wieder zurückkommen musste nach Detmold, was ja das Schlimmste ist, was einem passieren kann, wenn man in die große Welt geht und dann in eine Kleinstadt wieder zurückkehrt. Und wusste natürlich auch, dass er dann dort gestorben ist und zwar ein großes Werk geschaffen hat, aber eigentlich ein ganz unglücklicher Mensch gewesen ist. Man wollte seine Stücke nicht spielen, man wollte sie nicht lesen, man wollte sie im Grunde auch nicht drucken. Und es ist ja nur durch einen Zufall passiert, dass seine Stücke überhaupt der Nachwelt überliefert worden sind, dadurch, dass ein Studienfreund dann Verleger wurde und seine Stücke gedruckt hat.
Auf 186 Schritte hat Jörg Aufenanger den Weg von Grabbes Geburtshaus in der Bruchstraße zum Sterbehaus Unter der Wehme gemessen. Dazwischen ein ganzes Leben und ein beachtliches dramatisches Werk. Gespielt werden Grabbes Stücke kaum, bekannt und oft als geflügeltes Wort zitiert eigentlich nur "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung". Aber immerhin existieren eine sechsbändige Werkausgabe, etliche Einzelausgaben, unter anderem die seiner Briefe, und eine Reihe von Studien über den Dramatiker. Ergänzt wird die Grabbe-Literatur aus Anlass seines 200sten Geburtstags um ein Grabbe-Lesebuch mit Texten von und über Grabbe im Satzwerk Verlag Göttingen, den Sammelband "Grabbes Welttheater" mit Studien zu Grabbes Werk im Aisthesis-Verlag und die Biographie "Das Lachen der Verzweiflung. Grabbe. Ein Leben" von Jörg Aufenanger. Dort ist etwa aus einem Brief Grabbes zu lesen:
Bester Freund! (...) Was ich treibe? Wo ich bin? Was ect? (...) ICH und JETZT, ein Fisch im Morast, der noch nicht stirbt, sondern sich durchdrängt.
Am 4. Mai 1827 antwortet eben dieser Christian Dietrich Grabbe auf einen Brief seines Studienfreundes Kettembeil aus Frankfurt.
Ich stehe erträglich und verdiene auch erträglich - aber ich bin nicht glücklich, werde es wohl auch nie wieder sein. Ich glaube, hoffe, wünsche, liebe, achte, hasse nichts, sondern verachte nur noch immer das Gemeine; ich bin mir selbst so gleichgültig, wie es mir ein Dritter ist;
Grabbe ist gerade sechsundzwanzig Jahre alt - und sein Lebensgefühl hat einen Tiefpunkt erreicht. Als Sohn des Zuchtmeisters Adolph Henrich Grabbe und seiner Frau Dorothea war er 1801 in der bäuerlichen Residenz eines der kleinsten der deutschen Fürstentümer geboren. In fast plebejischen Verhältnissen aufgewachsen, hat er mit neunzehn Jahren die Heimat verlassen, in Leipzig und Berlin Geschichte und Recht studiert, seine ersten Dramen geschrieben und sich ein Leben im Glanz von Erfolg und Ruhm erträumt. Als gebrochener Mensch kehrt er aber 1823 nach Detmold zurück. Statt ein großer Künstler zu werden, muss er notgedrungen sein juristisches Examen ablegen und kann froh sein, als Advokat und Militärrichter am lippischen Hof unterzukommen. Alkoholische Exzesse und Skandale begleiten seine Arbeit, die er - nüchtern - zunächst allerdings zur vollsten Zufriedenheit ausführt. Und plötzlich dieser Brief von Kettembeil, der Hoffnungen weckt und den er - Grabbe hatte sich längst daran gewöhnt, sein Unglück auch noch übertrieben zu inszenieren - im Tonfall der Verzweiflung beantwortet:
Der Mensch ist in facto nichts; er ist nur Erinnerung oder Hoffnung, was man Gegenwart nennt, ist ein hässliches Ding, und kaum kann man es bemerken. Meine Seele ist tot, was jetzt noch unter meinem Namen auf der Erde sich hinschleift, ist ein Grabstein, an welchem Tag für Tag weiter an der Grabschrift gehauen wird; dein Brief kommt auch darauf.
Der Freund hat die Verlags-Buchhandlung seines Vaters übernommen und will Grabbes frühe Dramen drucken, die er aus gemeinsamen Leipziger Tagen kennt: Herzog Theodor von Gothland, das monströse und blutrünstige Erstlingswerk, in dem die Figuren sich gegenseitig abschlachten, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, die Komödie, in der ein leibhaftiger Teufel auf der Erde wandelt und sich als Kirchenmann ausgibt - Himmel und Hölle, sind sie nicht austauschbar? Und Nanette und Maria, ein Stück, das in der Tradition romantischer Rührstücke beginnt, die Idylle dann jedoch umso wirkungsvoller zerstört. Zwei Bände bringt Kettembeil noch 1827 heraus, versehen mit einer kleinen Abhandlung "Über die Shakespearo-Manie", einer Abrechnung mit dem zeitgenössischen Theaterbetrieb, vor allem mit Tieck, auf den er große Hoffnungen gesetzt hatte und der ihn hatte abblitzen lassen. Grabbe schöpft Hoffnung, blüht noch einmal auf, schreibt weiterer Stücke, bricht erneut aus Detmold auf nach Frankfurt und Düsseldorf, um Anschluss ans geistige Leben in Deutschland zu finden. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1836 kehrt er ein zweites Mal als gebrochener Mann, vom Alkohol zerstört, in die Heimat zurück. Schon dieses Leben, erlitten, aber auch inszeniert im "Lachend er Verzweiflung", bietet Stoff für einen Roman oder einen Film, wie "Grabbes letzter Sommer" von Thomas Valentin eindrucksvoll bewiesen hat. Aber auch als Dramatiker ist Grabbe ein Solitär, gerade als Dramatiker hat er das Interesse von Jörg Aufenanger geweckt:
Ich war aber ursprünglich ausgegangen von diesem Stück "Herzog Theodor von Gothland", diesem Stück, das er mit 17, 18, 19 Jahren geschrieben hat, was für mich eines der großen Stücke der Theaterliteratur grundsätzlich ist und ich sage immer: Es ist ein Theater der Grausamkeit vor Artaud. Lange bevor Artaud ein Theater der Grausamkeit theoretisch und praktisch entwickelt hat, gab es doch das. Und Grabbe hat natürlich an Shakespeare angesetzt und an der Griechischen Tragödie und möglicherweise auch an der deutschen Barockdichtung, die ja auch ein grausames Theater initiiert hat auf der Bühne. Das war eigentlich der Ausgangspunkt, die Theaterstücke von Grabbe, und dann habe ich eben versucht zu erzählen, wie kommt das zusammen, Grabbes Leben, und wieso schreibt der solche grausamen Stücke mit so einer pessimistischen Weltsicht, mit so einem Nihilismus im Grunde von Anfang an, als Schüler schon. Mit 17 Jahren hat er diesen Gothland begonnen und es ist ein Stück von einem solchen tiefen tiefen Pessimismus und Nihilismus wie es kaum ein Zweites in der deutschen Theaterliteratur gibt.
Die Erde ist von heilgem Blut gerötet Und ein geschminkter Tiger ist der Mensch!
So spricht der Herzog Theodor von Gothland. Er betet inständig darum, dass ihm der Glaube an die Menschheit nicht genommen wird, doch alles ist vergeblich:
Der Mensch erklärt das Gute sich hinein, Wenn er die Weltgeschichte liest, weil er Zu feig ist, ihre grause Wahrheit kühn Sich selber zu gestehn! (...) Der Mensch Trägt Adler in dem Haupte Und steckt mit seinen Füßen noch im Kote! Wer war so toll, dass er ihn schuf?
Zu Beginn des Stückes vertritt der schwedische Herzog noch die großen, europäischen Ideale der Menschheit, glaubt er noch, durch die historische Tat die Welt zum Besseren führen, dem Fortschritt bahnbrechen zu können. Berdoa, sein Gegenüber, verkörpert das Schwarze, Böse, Teuflische und erinnert stark an den Schwarzen Aaron in Shakespeares Drama Titus Andronicus. Das Böse erweist sich aber nur als Zerrspiegel, als historisches Produkt des scheinbar Guten. Berdoa ist zum Bösen gemacht worden - durch die Europäer, die ihre menschlichen Ideale nur für ihresgleichen reklamieren und den schwarzen Sklaven erniedrigt und beleidigt haben.
Ich bat, ich schrie, ich wimmerte/ Um Menschlichkeit! Umsonst! (...)/ Die Weißen haben mich für keinen Menschen/ Erkannt, sie haben mich behandelt, wie/ Ein wildes Tier; wohlan, so sei's denn so!/ Ich will 'ne Bestie sein!
Grabbe fühlte sich in Detmold eingesperrt, als Kind schon flüchtete er sich aus der Enge der Verhältnisse, indem er Bücher über vergangene Zeiten und ferne Länder las. "Zu langjährigem Detmold verurteilt", auf diese Formel brachte er später seine Lage in einer Stadt, in der man, so Grabbe, "einen gebildeten Menschen für einen verschlechterten Mastochsen" halte. Doch allein auf seine Kindheitserfahrungen lässt sich seine finstere Weltsicht nicht zurückführen. Jörg Aufenanger:
Er ist in seiner Zeit angeeckt. Sonst wäre dieses Werk gar nicht denkbar gewesen, und es natürlich ein Reflex der napoleonischen Kriege und der Befreiungskriege gegen Napoleon, dass er diese Tragödie geschrieben hat, in der Menschen sich bis aufs Messer bekämpfen. Er ist aber insofern seiner Zeit auch voraus gewesen, weil er das in einer Form gemacht hat, die dem damaligen Theater überhaupt nicht entsprochen hat. Das ist eine lose Form eines epischen Theaters und es ist ja kein Wunder, dass später Brecht und Heiner Müller diese Form des Theaters für ihr Theater genutzt haben und in Grabbe auch einen Vorfahren gesehen haben.
Jeder kämpft gegen jeden, aus Brudermord wächst Völkermord, ganze Heere werden auf der Bühne in die Schlacht geführt. Aus der Erfahrung von Revolution und Restauration, in einer Welt, in der Ideale kein Zuhause haben, wird Grabbe zum "Klassiker ex negativo", wie Olaf Kutzmutz in seiner im Aisthesis-Verlag erschienene Monographie über den Dramatiker entwickelt. Am Ende des "Herzog Theodor von Gothland", dieses Stücks, das Anfang der neunziger Jahre vor dem Hintergrund des Kriegs auf dem Balkan in Stuttgart inszeniert wurde, steht eine totale Apokalypse. Dem Glauben an die Höherentwicklung des Menschengeschlechts setzt Grabbe die Zerstörung entgegen und stellt damit das idealistische Fortschrittskonzept der Aufklärung und der Klassik auf den Kopf. Oder vom Kopf auf die Füße? Liegt darin die provozierende und verstörende Aktualität Grabbes? Aufenanger:
Natürlich besteht in jedem Humanismus auch eine Überstülpung des eigenen Seins durch Ideale. Und wenn Menschen in eine Krisensituation geraten wie durch die Intrige des Berdoa auch Gothland, reagieren sie nicht mehr sozusagen mit der Schutzschicht des Humanismus, sondern diese Zivilisationsschranke, die der Humanismus aufgerichtet hat, bricht dann schnell zusammen. Und das kennen wir ja nun heute auch in vielen Teilen der Welt, dass wenn eine Zivilisationsschranke nicht mehr existiert, dass dann der Mensch zu einer Bestie wird. Und das ist das, was Grabbe wie auch immer, man kann es ja nicht erklären, wie er das erfahren hat, erkannt hat. Und daran ist er natürlich auch zu Grunde gegangen.
Grabbe ist ein maßloses Genie, das für das eigene Leben nur eine Hoffnung kennt: das Theater. Daran glauben kann er nach seinen vielen Niederlagen nicht mehr, also richtet er sich in seinem Unglück ein, übt sich hier in folgenlosem Opportunismus und Biedert sich weiter dem Theaterbetrieb an, den er im Kern ablehnt, übt sich da in wüsten Beschimpfungen von Freund und Feind. Vom "einsamen Sonderling" ist genauso die Rede wie vom "dramatischen Revolutionär". Heinrich Heine nennt Grabbe einfach einen "betrunkenen Shakespeare". In all seinen Widersprüchlichkeiten und extremen Ausprägungen bringt Aufenangers dieses außergewöhnliche Leben und Werk einem breiten Publikum nahe, dieses Leben, das Grabbe in letzter Konsequenz, so Aufenanger, zum Zyniker gemacht hat, dem nichts blieb als ein irrwitziges "Lachen der Verzweiflung":
Ich glaube, wenn man immer mit einer unerfüllten Sehnsucht leben muss, wird man irgendwann zum Zyniker. Da reicht die Ironie nicht mehr aus, auch in seinen Theaterstücken. Da wird man zum Zyniker. Also wenn die ganze Welt um einen herum, wie man meint, einen nicht versteht, wenn man sieht, wie die Menschen miteinander umgehen und wenn man die gesamte Sehnsucht, die ja ursprünglich jeder nun im Herzen trägt, überhaupt nicht erfüllt sieht, kann man glaube ich nur Zyniker werden, es sei denn, man ist so eine starke Person, dass man diese ganzen Verletzungen der Seele auch ertragen kann. Aber das war Grabbe nicht. Er war ein hochsensibler Mensch, der allerdings dann auch gegenüber seiner Umwelt, die ihn so beleidigt hat, sagen wir mal, vehement reagiert hat. Er hat dann irgendwann auch alle Leute beschimpft, die um ihn herum waren und das hat ihn noch einsamer gemacht und noch tiefer in die Verzweiflung und die nicht erfüllte Sehnsucht geführt. Zynismus ist ja auch die Unfähigkeit, mit Freud und Leid umzugehen.
Und ich erinnerte mich dann daran, dass Grabbe dort geboren ist, in die Welt gegangen ist, wieder zurückkommen musste nach Detmold, was ja das Schlimmste ist, was einem passieren kann, wenn man in die große Welt geht und dann in eine Kleinstadt wieder zurückkehrt. Und wusste natürlich auch, dass er dann dort gestorben ist und zwar ein großes Werk geschaffen hat, aber eigentlich ein ganz unglücklicher Mensch gewesen ist. Man wollte seine Stücke nicht spielen, man wollte sie nicht lesen, man wollte sie im Grunde auch nicht drucken. Und es ist ja nur durch einen Zufall passiert, dass seine Stücke überhaupt der Nachwelt überliefert worden sind, dadurch, dass ein Studienfreund dann Verleger wurde und seine Stücke gedruckt hat.
Auf 186 Schritte hat Jörg Aufenanger den Weg von Grabbes Geburtshaus in der Bruchstraße zum Sterbehaus Unter der Wehme gemessen. Dazwischen ein ganzes Leben und ein beachtliches dramatisches Werk. Gespielt werden Grabbes Stücke kaum, bekannt und oft als geflügeltes Wort zitiert eigentlich nur "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung". Aber immerhin existieren eine sechsbändige Werkausgabe, etliche Einzelausgaben, unter anderem die seiner Briefe, und eine Reihe von Studien über den Dramatiker. Ergänzt wird die Grabbe-Literatur aus Anlass seines 200sten Geburtstags um ein Grabbe-Lesebuch mit Texten von und über Grabbe im Satzwerk Verlag Göttingen, den Sammelband "Grabbes Welttheater" mit Studien zu Grabbes Werk im Aisthesis-Verlag und die Biographie "Das Lachen der Verzweiflung. Grabbe. Ein Leben" von Jörg Aufenanger. Dort ist etwa aus einem Brief Grabbes zu lesen:
Bester Freund! (...) Was ich treibe? Wo ich bin? Was ect? (...) ICH und JETZT, ein Fisch im Morast, der noch nicht stirbt, sondern sich durchdrängt.
Am 4. Mai 1827 antwortet eben dieser Christian Dietrich Grabbe auf einen Brief seines Studienfreundes Kettembeil aus Frankfurt.
Ich stehe erträglich und verdiene auch erträglich - aber ich bin nicht glücklich, werde es wohl auch nie wieder sein. Ich glaube, hoffe, wünsche, liebe, achte, hasse nichts, sondern verachte nur noch immer das Gemeine; ich bin mir selbst so gleichgültig, wie es mir ein Dritter ist;
Grabbe ist gerade sechsundzwanzig Jahre alt - und sein Lebensgefühl hat einen Tiefpunkt erreicht. Als Sohn des Zuchtmeisters Adolph Henrich Grabbe und seiner Frau Dorothea war er 1801 in der bäuerlichen Residenz eines der kleinsten der deutschen Fürstentümer geboren. In fast plebejischen Verhältnissen aufgewachsen, hat er mit neunzehn Jahren die Heimat verlassen, in Leipzig und Berlin Geschichte und Recht studiert, seine ersten Dramen geschrieben und sich ein Leben im Glanz von Erfolg und Ruhm erträumt. Als gebrochener Mensch kehrt er aber 1823 nach Detmold zurück. Statt ein großer Künstler zu werden, muss er notgedrungen sein juristisches Examen ablegen und kann froh sein, als Advokat und Militärrichter am lippischen Hof unterzukommen. Alkoholische Exzesse und Skandale begleiten seine Arbeit, die er - nüchtern - zunächst allerdings zur vollsten Zufriedenheit ausführt. Und plötzlich dieser Brief von Kettembeil, der Hoffnungen weckt und den er - Grabbe hatte sich längst daran gewöhnt, sein Unglück auch noch übertrieben zu inszenieren - im Tonfall der Verzweiflung beantwortet:
Der Mensch ist in facto nichts; er ist nur Erinnerung oder Hoffnung, was man Gegenwart nennt, ist ein hässliches Ding, und kaum kann man es bemerken. Meine Seele ist tot, was jetzt noch unter meinem Namen auf der Erde sich hinschleift, ist ein Grabstein, an welchem Tag für Tag weiter an der Grabschrift gehauen wird; dein Brief kommt auch darauf.
Der Freund hat die Verlags-Buchhandlung seines Vaters übernommen und will Grabbes frühe Dramen drucken, die er aus gemeinsamen Leipziger Tagen kennt: Herzog Theodor von Gothland, das monströse und blutrünstige Erstlingswerk, in dem die Figuren sich gegenseitig abschlachten, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, die Komödie, in der ein leibhaftiger Teufel auf der Erde wandelt und sich als Kirchenmann ausgibt - Himmel und Hölle, sind sie nicht austauschbar? Und Nanette und Maria, ein Stück, das in der Tradition romantischer Rührstücke beginnt, die Idylle dann jedoch umso wirkungsvoller zerstört. Zwei Bände bringt Kettembeil noch 1827 heraus, versehen mit einer kleinen Abhandlung "Über die Shakespearo-Manie", einer Abrechnung mit dem zeitgenössischen Theaterbetrieb, vor allem mit Tieck, auf den er große Hoffnungen gesetzt hatte und der ihn hatte abblitzen lassen. Grabbe schöpft Hoffnung, blüht noch einmal auf, schreibt weiterer Stücke, bricht erneut aus Detmold auf nach Frankfurt und Düsseldorf, um Anschluss ans geistige Leben in Deutschland zu finden. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1836 kehrt er ein zweites Mal als gebrochener Mann, vom Alkohol zerstört, in die Heimat zurück. Schon dieses Leben, erlitten, aber auch inszeniert im "Lachend er Verzweiflung", bietet Stoff für einen Roman oder einen Film, wie "Grabbes letzter Sommer" von Thomas Valentin eindrucksvoll bewiesen hat. Aber auch als Dramatiker ist Grabbe ein Solitär, gerade als Dramatiker hat er das Interesse von Jörg Aufenanger geweckt:
Ich war aber ursprünglich ausgegangen von diesem Stück "Herzog Theodor von Gothland", diesem Stück, das er mit 17, 18, 19 Jahren geschrieben hat, was für mich eines der großen Stücke der Theaterliteratur grundsätzlich ist und ich sage immer: Es ist ein Theater der Grausamkeit vor Artaud. Lange bevor Artaud ein Theater der Grausamkeit theoretisch und praktisch entwickelt hat, gab es doch das. Und Grabbe hat natürlich an Shakespeare angesetzt und an der Griechischen Tragödie und möglicherweise auch an der deutschen Barockdichtung, die ja auch ein grausames Theater initiiert hat auf der Bühne. Das war eigentlich der Ausgangspunkt, die Theaterstücke von Grabbe, und dann habe ich eben versucht zu erzählen, wie kommt das zusammen, Grabbes Leben, und wieso schreibt der solche grausamen Stücke mit so einer pessimistischen Weltsicht, mit so einem Nihilismus im Grunde von Anfang an, als Schüler schon. Mit 17 Jahren hat er diesen Gothland begonnen und es ist ein Stück von einem solchen tiefen tiefen Pessimismus und Nihilismus wie es kaum ein Zweites in der deutschen Theaterliteratur gibt.
Die Erde ist von heilgem Blut gerötet Und ein geschminkter Tiger ist der Mensch!
So spricht der Herzog Theodor von Gothland. Er betet inständig darum, dass ihm der Glaube an die Menschheit nicht genommen wird, doch alles ist vergeblich:
Der Mensch erklärt das Gute sich hinein, Wenn er die Weltgeschichte liest, weil er Zu feig ist, ihre grause Wahrheit kühn Sich selber zu gestehn! (...) Der Mensch Trägt Adler in dem Haupte Und steckt mit seinen Füßen noch im Kote! Wer war so toll, dass er ihn schuf?
Zu Beginn des Stückes vertritt der schwedische Herzog noch die großen, europäischen Ideale der Menschheit, glaubt er noch, durch die historische Tat die Welt zum Besseren führen, dem Fortschritt bahnbrechen zu können. Berdoa, sein Gegenüber, verkörpert das Schwarze, Böse, Teuflische und erinnert stark an den Schwarzen Aaron in Shakespeares Drama Titus Andronicus. Das Böse erweist sich aber nur als Zerrspiegel, als historisches Produkt des scheinbar Guten. Berdoa ist zum Bösen gemacht worden - durch die Europäer, die ihre menschlichen Ideale nur für ihresgleichen reklamieren und den schwarzen Sklaven erniedrigt und beleidigt haben.
Ich bat, ich schrie, ich wimmerte/ Um Menschlichkeit! Umsonst! (...)/ Die Weißen haben mich für keinen Menschen/ Erkannt, sie haben mich behandelt, wie/ Ein wildes Tier; wohlan, so sei's denn so!/ Ich will 'ne Bestie sein!
Grabbe fühlte sich in Detmold eingesperrt, als Kind schon flüchtete er sich aus der Enge der Verhältnisse, indem er Bücher über vergangene Zeiten und ferne Länder las. "Zu langjährigem Detmold verurteilt", auf diese Formel brachte er später seine Lage in einer Stadt, in der man, so Grabbe, "einen gebildeten Menschen für einen verschlechterten Mastochsen" halte. Doch allein auf seine Kindheitserfahrungen lässt sich seine finstere Weltsicht nicht zurückführen. Jörg Aufenanger:
Er ist in seiner Zeit angeeckt. Sonst wäre dieses Werk gar nicht denkbar gewesen, und es natürlich ein Reflex der napoleonischen Kriege und der Befreiungskriege gegen Napoleon, dass er diese Tragödie geschrieben hat, in der Menschen sich bis aufs Messer bekämpfen. Er ist aber insofern seiner Zeit auch voraus gewesen, weil er das in einer Form gemacht hat, die dem damaligen Theater überhaupt nicht entsprochen hat. Das ist eine lose Form eines epischen Theaters und es ist ja kein Wunder, dass später Brecht und Heiner Müller diese Form des Theaters für ihr Theater genutzt haben und in Grabbe auch einen Vorfahren gesehen haben.
Jeder kämpft gegen jeden, aus Brudermord wächst Völkermord, ganze Heere werden auf der Bühne in die Schlacht geführt. Aus der Erfahrung von Revolution und Restauration, in einer Welt, in der Ideale kein Zuhause haben, wird Grabbe zum "Klassiker ex negativo", wie Olaf Kutzmutz in seiner im Aisthesis-Verlag erschienene Monographie über den Dramatiker entwickelt. Am Ende des "Herzog Theodor von Gothland", dieses Stücks, das Anfang der neunziger Jahre vor dem Hintergrund des Kriegs auf dem Balkan in Stuttgart inszeniert wurde, steht eine totale Apokalypse. Dem Glauben an die Höherentwicklung des Menschengeschlechts setzt Grabbe die Zerstörung entgegen und stellt damit das idealistische Fortschrittskonzept der Aufklärung und der Klassik auf den Kopf. Oder vom Kopf auf die Füße? Liegt darin die provozierende und verstörende Aktualität Grabbes? Aufenanger:
Natürlich besteht in jedem Humanismus auch eine Überstülpung des eigenen Seins durch Ideale. Und wenn Menschen in eine Krisensituation geraten wie durch die Intrige des Berdoa auch Gothland, reagieren sie nicht mehr sozusagen mit der Schutzschicht des Humanismus, sondern diese Zivilisationsschranke, die der Humanismus aufgerichtet hat, bricht dann schnell zusammen. Und das kennen wir ja nun heute auch in vielen Teilen der Welt, dass wenn eine Zivilisationsschranke nicht mehr existiert, dass dann der Mensch zu einer Bestie wird. Und das ist das, was Grabbe wie auch immer, man kann es ja nicht erklären, wie er das erfahren hat, erkannt hat. Und daran ist er natürlich auch zu Grunde gegangen.
Grabbe ist ein maßloses Genie, das für das eigene Leben nur eine Hoffnung kennt: das Theater. Daran glauben kann er nach seinen vielen Niederlagen nicht mehr, also richtet er sich in seinem Unglück ein, übt sich hier in folgenlosem Opportunismus und Biedert sich weiter dem Theaterbetrieb an, den er im Kern ablehnt, übt sich da in wüsten Beschimpfungen von Freund und Feind. Vom "einsamen Sonderling" ist genauso die Rede wie vom "dramatischen Revolutionär". Heinrich Heine nennt Grabbe einfach einen "betrunkenen Shakespeare". In all seinen Widersprüchlichkeiten und extremen Ausprägungen bringt Aufenangers dieses außergewöhnliche Leben und Werk einem breiten Publikum nahe, dieses Leben, das Grabbe in letzter Konsequenz, so Aufenanger, zum Zyniker gemacht hat, dem nichts blieb als ein irrwitziges "Lachen der Verzweiflung":
Ich glaube, wenn man immer mit einer unerfüllten Sehnsucht leben muss, wird man irgendwann zum Zyniker. Da reicht die Ironie nicht mehr aus, auch in seinen Theaterstücken. Da wird man zum Zyniker. Also wenn die ganze Welt um einen herum, wie man meint, einen nicht versteht, wenn man sieht, wie die Menschen miteinander umgehen und wenn man die gesamte Sehnsucht, die ja ursprünglich jeder nun im Herzen trägt, überhaupt nicht erfüllt sieht, kann man glaube ich nur Zyniker werden, es sei denn, man ist so eine starke Person, dass man diese ganzen Verletzungen der Seele auch ertragen kann. Aber das war Grabbe nicht. Er war ein hochsensibler Mensch, der allerdings dann auch gegenüber seiner Umwelt, die ihn so beleidigt hat, sagen wir mal, vehement reagiert hat. Er hat dann irgendwann auch alle Leute beschimpft, die um ihn herum waren und das hat ihn noch einsamer gemacht und noch tiefer in die Verzweiflung und die nicht erfüllte Sehnsucht geführt. Zynismus ist ja auch die Unfähigkeit, mit Freud und Leid umzugehen.