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Das Leben ist eine Achterbahn

Biologie. - Das alte Bild vom Jäger und Gejagten ist für Mikrobiologen und Ökologen aktuell wie eh und je. Unter welchen klimatischen Schwankungen Räuber oder Beute profitieren, haben jetzt finnische Biologen untersucht. Ihre Ergebnisse haben sie im schwedischen Uppsala auf dem Treffen der Europäischen Gesellschaft für evolutionäre Biologie vorgestellt.

Von Michael Stang |
    Dass Finnen nicht nur sprachbegabt sind, sondern generell vielseitig talentiert sind, belegt Ville Petri Friman. Der Biologe hat nicht nur mit seinen Forschungen an Mikroorganismen Erfolg, sondern verfolgt neben seiner Arbeit als Wissenschaftler noch eine Karriere als Gitarrist in der bekannten Metal-Band Insomnium. Nicht weniger kämpferisch als seine Gitarrenriffs sind die Protagonisten seiner Experimente an der Universität Helsinki. Friman:

    "Ich wollte herausfinden, wie bestimmte Ressourcen - Nährstoffe, Temperatur und Sauerstoff – die Evolution von Räuber-Beuteverhältnissen in mikrobiellen Ökosystemen beeinflussen. Bei meinen Experimenten habe ich diese Ressourcen permanent verändert und geschaut, wer die Oberhand behält, die Beute oder die Räuber. Dabei wollte ich sehen, welche ökologische Dynamik hinter diesem Prozess steht.”"

    Ville-Petri Friman baute dazu in seinem Labor kleine aquatische Ökosysteme, in denen sich Bakterien als Beuteorganismen gegen räuberische Wimperntierchen wehren mussten. Da beide Mikroorganismen in kurzer Zeit viele Generationen durchlaufen, konnte er in regelmäßigen Zeitabständen einfach nachzählen, wer mit den veränderten Bedingungen besser zu Recht kam. Er wollte herausfinden, ob es den Räubern gelingt, ihre Beute vollständig auszurotten. Aber die Bakterien waren zäher als erwartet. Friman:

    ""Dabei sahen wir, dass sich die Beutepopulation immer wieder unglaublich schnell erholte, sobald die Bedingungen im Ökosystem besser wurden. Binnen kurzer Zeit haben die Bakterien viel Energie in ihre Verteidigung gesteckt. Weil sie dadurch nicht weiter dezimiert wurden, konnten sie sich wieder vermehren. Während sie von den besser werdenden Bedingungen schnell profitierten, konnten die räuberischen Wimperntierchen aus den verbesserten Umweltbedingungen keine Vorteile erzielen.”"

    Mehr als 1300 Generationen hat Ville-Petri Friman die Schwankungen beobachtet. Es sieht so aus, als können sich die Gejagten schneller als ihre Jäger an die veränderten Bedingungen anpassen. Friman:

    "”Wir haben herausgefunden, dass die Veränderungen in einem Ökosystem die Evolution der Beutepopulation stark beeinflussen. Die Beute ist jedoch so flexibel, dass sie sich, sobald die Bedingungen besser werden, schnell formieren und stark wachsen kann. Selbst wenn Räuber in großer Zahl anwesend waren, konnten sie sich ohne große Verluste schnell vermehren."

    Warum sich die Beute ausgerechnet in stabilen Ökosystemen erholte und nicht von den ausgehungerten Räubern dezimiert wurde, kann Ville-Petri Friman noch nicht sagen. Das sollen weitere Experimente klären. Eine Anwendung seiner Grundlagenforschung kann sich der musikalische finnische Biologe aber schon vorstellen:

    "”Ich glaube, dass die Möglichkeit, mithilfe verbesserter Bedingungen dezimierten Populationen zu helfen, eine wichtige Erkenntnis in der Ökologie sein könnte. Die Art und Weise, wie sich die Bakterien regeneriert haben, könnte vielleicht bei größeren marinen Ökosystemen ein neuer Ansatzpunkt sein.”"

    Mit größeren marinen Ökosystemen meint Ville-Petri Friman zum Beispiel die dezimierten Fischbestände. Lassen sich seine Labor-Beobachtungen auf die Weltmeere übertragen, dann könnten sie sich schon durch maßvolle Schutzmaßnahmen erholen.