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"Das Märchen vom Zaren Saltan"

Keine der großen Bühnen der Republik hat für 2008 - zum 100.Todestag - eine Nikolai Rimsky-Korsakov-Premiere angesetzt. Kurz vor Jahresende hat da das Gärtnerplatztheater in München diese Lücke gefüllt: Dort war die Oper "Das Märchen vom Zaren Saltan" zu sehen. Obwohl schon mehr als hundert Jahre alt, gelang Bühnenbildnerin Marianne Hollenstein und Regisseurin Blankenship eine gelungene Mischung aus Naturalismus und Stilisierung.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Weihnachtszeit - Märchenoperzeit ... und wenn das Werk auch noch "Das Märchen vom Zaren Saltan ... " heißt, dann könnte man vermuten, dass Münchens anderes Opernhaus erfreulicherweise mal "Hänsel und Gretel" im Märchenwald gelassen hat. Doch das ist nur ein Aspekt der rundum bejubelten Neuproduktion. Hinzu kommt: Keine der großen Bühnen der Republik hat für 2008 - zum 100.Todestag - eine Nicolai Rimsky-Korsakov-Premiere angesetzt. Schön, dass da das Gärtnerplatztheater diese Lücke füllt - und dann auch noch mit einer Münchner Erstaufführung.

    Wenn der interessierte Opernfreund dann noch im gut gemachten Programmheft liest, dass Harry Kupfer die hierzulande gut verständliche Spielfassung erstellt hat, dann wird klar, dass es zwar um einen märchenhaft entrückten Stoff geht, dass die Handlung aber wohl mit unserem Handeln zu tun hat. Genau da setzt das durchweg weibliche Bühnenteam um Regisseurin Beverly Blankenship an - und sie alle treffen durchweg die Mischung aus zauberisch märchenhaften Bildwirkungen und ganz aktuellen Bezügen.

    Alles beginnt mit einem kleinen Jungen, der trotz Teddy im Arm nicht einschlafen kann. Drei rotbärtige Narren tauchen im dunklen Raum auf, beginnen eine Geschichte anzudeuten und lassen dazu - Zeichen an Chefdirigent David Stahl im Graben - Musik erklingen. Eine bühnenweite Wasserfläche wird erkennbar: wohlige Ursubstanz, gefährliches Element, Weite und Sehnsucht, Ferne und Traum. Da wird die Mutter des Jungen - im Traum zurück eine liebevolle Tochter - zwar vom Zaren erwählt, aber von der bösen Tante und zwei neidisch-eifersüchtigen Schwestern verleumdet. Der in seinen Gefühlswallungen ungebremste Zar lässt Zarin und Zarewitsch in einer Tonne ins Meer werfen. Doch nach Hunger, Durst und Todesangst werden beide an eine Zauberinsel gespült. Dort finden sie das Ideal der "Weißen Stadt", wo man in Frieden und Freude wohnt.

    Den zum Mann gereiften jungen Gwidon bezaubert ein singendes Schwanenmädchen. Sie verwandelt ihn in eine Hummel, die ins Reich des unglücklichen Zaren fliegt und das Unrechtssystem der Tante und Cousinen erlebt. Die Erzählungen von seiner Zauberinsel lassen den Zaren aufbrechen. Als alle dort zusammentreffen, führen Reue und Demut zu Verzeihen und neuer Gemeinsamkeit. Am Ende verwandelt gar noch Gwidons uneigennützige Liebe das Schwanenwesen in ein Zarenmädchen. Da kann der kleine Junge glücklich einschlafen ...

    All das verlangt nach fließenden Szenenwechseln - und da haben Bühnenbildnerin Marianne Hollenstein und Regisseurin Blankenship auf der Wasserfläche eine gelungene Mischung aus Naturalismus und Stilisierung getroffen. Da wird das Zarenreich mit roten Fahnen, modernen Uniformen, Schlagstöcken und Gewehren als Gewaltsystem erkennbar. Da wehen Stoffbahnen wie Schwanenflügel - und eine einzelne Feder schwebt im dunklen Raum und verbreitet Zauber. Da ist das Schwanenmädchen eine Ballerina, die sehr diesseitig in Gummistiefeln durchs Wasser tänzelt. Da lässt das Gelächter der weißen Inselbewohner die Aggressivität der zaristischen Besucher einfach albern erscheinen. Und zu all dem wird auch noch von den Männern gut, von den Damen sehr gut gesungen.

    Ja, wenn dann nicht nur das ganze Märchen von Alexander Puschkin im Programmheft steht - zum späteren Vorlesen! - sondern wenn von der Bühne herab klar wird, dass wir aus diesen alten Geschichten für diese unsere Welt mehr lernen können als aus den bisher verklärten Bibeln der Ökonomie - dass nämlich trotz Not und Verzweiflung ein "gelingendes Leben" möglich ist! Ja dann hat dann die gute, alte Oper wieder einmal ihre Daseinsberechtigung im 21.Jahrhundert bewiesen: durch einen einfach "wundervollen" Musiktheaterabend.