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Das Milram-Team bangt um seine Existenz

Der einzige verbliebene erstklassige deutsche Radrennstall - das Team Milram - bangt um seine Existenz. Der Hauptsponsor Nordmilch will zum jetzigen Zeitpunkt den Vertrag, der zum Jahresende ausläuft, nicht verlängern.

Von Kerstin Hermes |
    Vielen Milram-Profis muss es wie ein Déjà-Vu-Erlebnis vorkommen. Nach dem Gerolsteiner-Aus wechselten einige Profis, auch der Freiburger Fabian Wegmann, zur letzten erstklassigen deutschen Mannschaft. Nun muss auch sie um ihre Existenz bangen.

    "Klar macht es einem was aus, aber ich fahre die Rennen nicht anders deswegen. Ich will immer gewinnen und will immer meine beste Leistung bringen und von daher – man macht sich halt zu Hause seine Gedanken, wie geht es in Zukunft weiter, sicherlich. Aber im Endeffekt müssen wir gute Rennen fahren und dann auch sehen, dass wir attraktiven Sport bringen, dass die Sponsoren auch wiederkommen."

    Der Vertrag mit dem Hauptsponsor läuft zum Jahresende aus und momentan deutet nichts auf eine Fortsetzung hin, sagt Nordmilch-Sprecherin Gotja Sönnichsen.

    "Wir sind aber im sehr engen Dialog mit dem Herrn van Gerwen und wir haben großes Interesse daran, dass das Team mittel-, langfristig Bestand hat. Das heißt, wir sind da für Denkansätze offen, ob und wie eine weitere Zusammenarbeit über 2010 aussehen kann."

    Auf die Erfolge kommt es dabei gar nicht unbedingt an. Obwohl das Milram-Team das Saisonziel mit 25 geforderten Siegen weit verpasst hat, ist der Sponsor zufrieden mit dem Engagement seit 2006.

    Bereits im zweiten Jahr hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben mit dem Radsport-Sponsoring einen Werbeeffekt für Milram erzielt, der auf konventionellem Weg 40 bis 60 Millionen Euro gekostet hätte. Für das Radsportteam muss Nordmilch knapp 8 Millionen Euro jährlich aufbringen. Geld, das womöglich bald an anderer Stelle gebraucht wird.

    "Nordmilch ist ja ein Unternehmen mit genossenschaftlichen Wurzeln. Das heißt, Nordmilch ist ein Unternehmen der Landwirte. Für die Landwirte ist es momentan eine sehr schwierige Situation. Und wir haben als Nordmilch die Verantwortung, all unsere Mittel so einzusetzen, dass wir die Existenz unserer Landwirte auch mittel- und langfristig unterstützen."

    Milram-Teamchef Gerry van Gerwen versucht, Optimismus zu verbreiten. Ein gutes halbes Jahr gibt er sich noch für die Suche nach neuen Geldgebern.

    "Wir haben das Ding nicht von Italien nach Deutschland geholt, um aufzuhören. Da war zu viel Geld und alles, was da dabei ist. Wir arbeiten uns kaputt, um das weiterlaufen zu lassen. Spätestens am zweiten Ruhetag der Tour de France will ich Bescheid geben, wie es weitergeht."

    Dafür braucht er die Unterstützung seiner Mannschaft. Die besten Argumente sind nun mal Siege. Nur neun Mal standen seine Fahrer vergangenes Jahr oben auf dem Treppchen. Zu wenig, um ausreichend Interessenten für ein millionenschweres Engagement zu finden.

    Deshalb hat van Gerwen die Marschrichtung geändert: Nun gilt Back to basics. Seine Profis waren ihm zu bequem geworden, zu verwöhnt. Der Niederländer will zurück zu den Wurzeln.

    "Warum habe ich angefangen, Rad zu fahren? Weil ich Spaß daran hab. Und da muss ich sagen, ja, ab und zu merke ich, dass der ein oder andere Rennfahrer das vergessen hat, das Spaß haben. Nicht nur ein großes Auto und Geld verdienen, nein es ist ein Grund – back to basics – Spaß haben."

    Dazu verlangt er aber auch mehr Verantwortung von seinen Fahrern – für deren eigene Gesundheit zum Beispiel. Sie sollen arbeiten wie Profis und mehr Teamgeist entwickeln. Dafür schickt er Trainingsgruppen in Selbstverpfleger-Appartements nach Mallorca. Die Fahrer müssen neben den siebenstündigen Trainingseinheiten selbst einkaufen, kochen, putzen, waschen und die Räder warten. Kein Fernseher, kein Internet. Van Gerwen zieht die Zügel an.

    Für Tour de France-Etappensieger Linus Gerdemann kein Problem:

    "Ich glaube, dass es jetzt nicht 365 Tage im Jahr sein muss, weil man sich dann auch aufs Wesentliche, das Radfahren, konzentrieren sollte. Aber, um einfach auch mal wieder vielleicht zu sehen, wie man mit dem Radsport angefangen hat, denke ich, ist das keine verkehrte Sache."

    Mit "Back to basics" hofft Teamchef Gerry van Gerwen in diesem Jahr das Saisonziel zu erreichen – er fordert wieder 25 Siege.

    Erfolg ist allerdings nur ein Faktor, der Sponsoren locken kann. Ein anderer ist im Radsport in Deutschland nach wie vor Vertrauen. Viele Profis haben gelernt, dass es nicht mehr reicht, nur schnell Rad zu fahren. Markus Fothen aus Kaarst zum Beispiel engagiert sich öffentlich mit seiner Initiative "Clean Sport" – sauberer Sport. Als Symbol trägt er ein Armband.

    "Ist ein weißes Band, steht für die Reinheit und draufstehen tut 'Clean Sport'. Man kann es über's Internet beziehen. Der Erlös aus der ganzen Geschichte fließt dem Sport oder der Aufklärung bei. Also, es dient dem sauberen Sport."

    Saisonstart für das Milram-Team ist schon Mitte Januar bei der Tour Down Under in Australien. Dort will Teamchef Gerry van Gerwen ein erstes Ausrufezeichen setzen vor einer entscheidenden Saison.

    "Was uns ein wenig gefehlt hat im letzten Jahr waren Rennfahrer, die das Messer in den Mund nehmen und dann zum Streit gehen."