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Das nächste New Orleans

Umwelt. - Auch knapp ein halbes Jahr nach der Verwüstung von New Orleans durch Katrina bleibt die Katastrophe weiter Thema, so auch anlässlich der Wissenschaftstagung AAAS in Saint Louis. Ähnliches könnte sich in Kalifornien wiederholen, warnen Forscher.

Von Sascha Ott |
    Gerald Galloway ist wütend. Der inzwischen pensionierte Hochwasser-Experte der University of Maryland sorgt für den wohl zornigsten Auftritt auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Saint Louis. Galloway leitete das Regierungskomitee, das nach der katastrophalen Flut am Mississippi 1993 Vorschläge für einen besseren Hochwasserschutz erarbeitete. Doch umgesetzt wurden die Empfehlungen nicht. Jetzt sitzt Galloway auf der Pressekonferenz zur Nachbereitung der Katrina-Katastrophe und lässt seinem Ärger freien Lauf.

    "Man sieht ja, dass sie jetzt schon in Washington fragen: ‚War was mit New Orleans?’ Sie beginnen, das Interesse zu verlieren. Es braucht Ingenieure, Wissenschaftler und die Öffentlichkeit, die rufen: ‚Wir haben genug! Wir haben die Zerstörungen durch Katrina gesehen und wir sind uns schon lange einig, was geschehen muss.’ Aber bisher ist niemand aufgestanden und hat gesagt: ‚Jetzt ist es an der Zeit, etwas zu tun!’ "

    Die Vorschläge aus den 90er Jahren seien dabei immer noch aktuell: Bestehende Siedlungen in flutgefährdeten Gebieten sollten durch bessere Dämme geschützt werden. Zusätzliche Flutwände sollten wichtige Gebäude wie Krankenhäuser und Polizeistationen absichern. Wenn diese Vorschläge in New Orleans beherzigt worden wären, so Galloway, dann wären die Überflutungen durch Katrina vergleichsweise harmlos ausgefallen. Jetzt fürchten die Wissenschaftler, dass, nachdem der New Orleans-Schock verdaut ist, wieder nichts geschieht. Insbesondere warnen sie, der Ort der nächsten Katastrophe sei schon absehbar: Denn das Mississippi-Delta von New Orleans sei durchaus vergleichbar mit den Gebieten des Sacramento-San Joaquin-Deltas in der Nähe von Los Angeles, erklärt Jeffrey Mount von der University of California.

    "Diese Gebiete sind ganz ähnlich abgesenkt wie im Mississippi-Delta. In manchen Fällen sogar sehr viel stärker, mehr als sechs Meter unter den Meeresspiegel. Es lastet ein unglaublicher Druck auf diesem System. Die Wasserversorgung für 23 Millionen Menschen ist in Gefahr und wird zusammengehalten von einem brüchigen Dammnetz."

    Das Delta ist etwas größer als das Saarland und der Dreh- und Angelpunkt für die Wasserversorgung von Los Angeles. Das ehemals sumpfige Marschland des Deltas wurde in den letzten hundert Jahren systematisch entwässert. 1700 Kilometer Dämme und Kanäle sorgten dafür, dass der Boden trocknete und absank. Es entstand fruchtbares Farmland, das heute für die Landwirtschaft genutzt wird. Aber die Dämme sind alt, niedrig und brüchig und immer häufigere Überflutungen mit salzigem Meerwasser bringen die Süßwasserversorgung in Gefahr. Es musste offensichtlich etwas getan werden. Aber niemand wollte im Delta investieren.

    "Es gab also ein politisches Vakuum. Und wer stößt in Kalifornien in ein solches Vakuum angesichts der Grundstückspreise? Der Städtebau! Und jetzt gibt es tatsächlich den Plan, in dieser Senke 130.000 neue Häuser, ganze Städte zu bauen. Wir erfinden hier Katrina noch einmal neu."

    Erst am Donnerstag hatten Gletscherforscher belegt, dass durch die schmelzenden Eismassen auf Grönland mit einem schnelleren Anstieg des Meeresspiegels zu rechnen ist – noch schneller als die drei Millimeter pro Jahr, von denen man heute ausgeht. Der Druck auf die Dämme in Küstennähe wird zunehmen. Man könne nicht länger auf Dämme vertrauen, betont Jeffrey Mount, die vor Jahrzehnten gebaut wurden, um das nächste Jahrhunderthochwasser aufzuhalten.

    "Dem liegt eine Annahme zugrunde, die fundamental falsch ist: Und zwar, dass die Wasserwissenschaft der Vergangenheit die Zukunft vorhersagt. Alle unsere Forschungsergebnisse zeigen: Das stimmt einfach nicht."

    Hinzu kommt eine weitere Gefahr: Das Sacramento-Delta in Kalifornien gehört zu den Gebieten mit dem höchsten Erdbebenrisiko weltweit. Ein kräftiger Stoß könnte die altersschwachen Dämme hinwegfegen. Die Forscher haben abgeschätzt: Die Gefahr, dass die Senke durch ein Erdbeben oder eine Sturmflut in den nächsten 50 Jahren voll läuft, liegt bei über 60 Prozent. Der Hochwasser-Veteran Gerald Galloway kann nur schulterzuckend resümieren:

    "Die Forschung liegt vor. Jetzt muss gehandelt werden."