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Das Rauschen im deutschen Blätterwald

Wer morgens die Zeitung aufschlägt oder am Abend die Nachrichten schaut, kommt an ihnen schon seit Monaten nicht vorbei: die Gesichter von Barack Obama und Hillary Clinton. Täglich wird in Dutzenden Artikeln und Berichten in Deutschland über die Vorwahlen in den USA berichtet. Wer ist im Vorteil, wer hat das nötige Standing, wer holt wo die nötigen Punkte? Leicht vergisst man dabei, dass es tatsächlich um Politik geht.

Von David Goeßmann |
    Für Clemens Wergin, Ressortleiter für Außenpolitik bei der Tageszeitung "Die Welt”, steht fest: Die Vorwahlen in den USA sind in diesem Jahr etwas Besonderes, voller Elektrizität. Insbesondere der Zweikampf zwischen den demokratischen Bewerbern sei diesmal spannend wie nie zuvor.

    "Mit Hillary Clinton die erste Frau, die lange Zeit so aussah, als könnte sie tatsächlich die erste Frau im Präsidentenamt sein. Und dann ist natürlich auch der zweite Mitbewerber um das Präsidentenamt bei den Demokraten eine sehr faszinierende Person. Er wäre der erste Schwarze im Präsidentenamt. Sehr intelligent. Strahlt wie Kennedy damals eine gewisse Coolness aus. Auch in seinen Bewegungen. Inspiriert die Jugend in Amerika."

    Nach den langen Bush-Jahren nun das Versprechen nach "Wandel”. Es sind die biografischen Profile, die außergewöhnlichen Personenkonstellationen, die die Medien auch hier in Deutschland faszinieren. Der demokratische Zweikampf hat dabei in den letzten Monaten fast alles andere überdeckt. Die ehemalige First Lady gegen den jungen charismatischen Wilden. Der Underdog gegen die Etablierte. Der Messias gegen die Realistin.

    ""Anders als in Europa ist auch das Private politisch in den USA. Das heißt, es gibt eine Tradition in den amerikanischen Medien, Kandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen und abzuklopfen. Ihre gesamte Biografie abzuklopfen.”"

    Von den Kieler Nachrichten bis zur Mittelbayerischen Zeitung, vom Spiegel bis zum Focus will man wissen: Wie steht es um Obamas afroamerikanische Wurzeln, und was verbirgt sich hinter der Unerbittlichkeit der weiblichen Mitbewerberin. Oft gleitet die Berichterstattung dabei ins Nebensächliche. Mal ist es Clintons kleine Bosnien-Lüge oder Obamas amerikakritischer Pastor, die zu Wendepunkten der Wahlschlacht stilisiert werden. Als Hillary Clinton mit den Tränen ringt während einer Veranstaltung in New Hampshire, wird das, den amerikanischen Medien folgend, zur Hauptnews.

    Nach dem Auftritt rauscht es im deutschen Blätterwald. "Tränen der Rührung” oder "Clinton wird emotional” prangen die Schlagzeilen. Thomas Meyer, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Dortmund und Autor des Buches "Mediokratie”:

    ""Was mich diesmal wieder besonders gewundert hat, ist dieser große Widerspruch. Da wird von einigen Journalisten gesagt, die amerikanischen Bürger hätten diesmal mehr als je zuvor die Gelegenheit, die politischen Vorstellungen der Kandidaten bis in die kleinsten Einzelheiten kennenzulernen. Aber von dieser Chance bekommt man von der Berichterstattung hier, und ich vermute auch in der Medienberichterstattung der USA, fast nichts mit. Wenn man dann nach den Differenzen in den Politikdetails fragt, dann findet man so gut wie gar nichts.”"

    Tatsächlich steht das sogenannte "horse race”, das Wettrennen um Delegiertenstimmen, im Vordergrund. Die strategischen Schlagworte der Wahlkampfkampagnen werden in Synopsen abgehakt, aber kaum differenziert befragt. Personen statt Programme, Tränen statt Politik: Die deutschen Medien sind den amerikanischen dabei bereitwillig gefolgt. Noch einmal Clemens Wergin von der "Welt”:

    ""Ich glaube, man muss als deutsches Medium seinen Leser nicht unbedingt mit den Details der Gesundheitsreform in Amerika plagen. Ich glaube auch nicht, dass in Amerika selbst im Wahlkampf die Details der jeweiligen Gesundheitsreform tatsächlich die große Rolle spielen bei der Entscheidung, ob jemand sich für Clinton, Obama oder McCain entscheidet.”"