Kathrin Hondl: Der Staat soll sich nicht in die Literatur einmischen und Kultur ist keine staatliche Institution – so hieß ein Wahlslogan von Mir Hussein Mussawi, dem aussichtsreichsten Herausforderer von Mahmud Ahmadinedschad bei den iranischen Präsidentschaftswahlen. Doch bei der Herausforderung ist es offenbar geblieben. Der neue alte Präsident der islamischen Republik heißt Mahmud Ahmadinedschad. Er wurde gestern mit einer deutlichen Mehrheit wiedergewählt, so die amtlichen Angaben, die der Herausforderer Mussawi allerdings anzweifelt. Er spricht von einer Inszenierung und Unregelmäßigkeiten. Auch auf Teherans Straßen kam es heute zu Protesten gegen den Wahlsieg von Ahmadinedschad und zu Solidaritätsbezeugungen für Mussawi. Auch viele Intellektuelle und Künstler hatten im Wahlkampf dazu aufgerufen, für Mussawi zu stimmen, besonders mit seiner Ankündigung, die Zensurgesetze im Iran zu beenden, hatte Mussawi Schriftsteller, Künstler und Filmemacher auf seine Seite gebracht. Im Studio ist die Publizistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, Frau Amirpur, in Interviews mit iranischen Intellektuellen oder Schriftstellern, da blitzte in den letzten Tagen oft große Hoffnung auf. Der Schriftsteller Mahmud Doulatabadi sagte zum Beispiel, jetzt kommt ein Zitat: "Entweder bekommt Iran einen neuen Präsidenten, der versuchen wird, die Kultur zu fördern und das Land kulturpolitisch zu öffnen, oder der jetzige Präsident wird wiedergewählt." Tja, und das ist nun passiert. Bedeutet der Wahlsieg von Ahmadinedschad, Frau Amirpur, eine Niederlage für das kulturelle Leben im Iran?
Katajun Amirpur: Wenn es tatsächlich so ist, dass Ahmadinedschad einen wirklichen Sieg hat einfahren können, dann, glaube ich, bedeutet das in der Tat eine große Niederlage, aber da ist man sich ja im Moment noch nicht so ganz sicher. Es wird im Moment sehr stark angezweifelt, ob Ahmadinedschad wirklich in so starkem Maße gewonnen hat, wie es jetzt im Moment aussieht. Im Moment ist die Rede von 62 Prozent, sehr viele zweifeln das an und sagen, da ist sehr viel Wahlfälschung im Spiel. Ich glaube, schon im Vorfeld hat man gesagt und gedacht, dass Ahmadinedschad möglicherweise mehr Stimmen auf sich vereinigen wird können als sein Herausforderer Mussawi, aber man ist eigentlich davon ausgegangen, dass beide so um die 40 Prozent liegen und dass es dann eventuell zu einer Stichwahl kommen könnte. Sollte das jetzt anders sein, sollte es tatsächlich so viele Menschen gegeben haben, die sich aufgerafft haben – denn das war eigentlich die große Hoffnung, die man im Vorfelde hegte, ... Im Vorfelde hieß es: Wahrscheinlich gibt es eine geringe Wahlbeteiligung und das sei dann wiederum gut für Ahmadinedschad. Es hat sich herausgestellt: Es gab eine sehr, sehr hohe Wahlbeteiligung, und die hätte sich wiederum positiv ausgewirkt für Mussawi. Nun ist das eingetreten, womit niemand gerechnet hat: Es gab eine große Wahlbeteiligung und angeblich ist Ahmadinedschad mit großer Mehrheit im Amt bestätigt worden. Das ist alles sehr, sehr merkwürdig. Wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat, dann, muss man sagen, hat die Kultur tatsächlich verloren, denn dann haben sich die Leute offensichtlich gegen Kultur entschieden.
Hondl: Aber Sie bezweifeln offensichtlich auch, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat?
Amirpur: Nun, es klingt insgesamt sehr merkwürdig, dass auf einmal so viele Menschen, die vorher gar nicht vorhatten, zu wählen, die wirklich gesagt haben, wir gehen nicht wählen, was soll das denn, es ist ein abgekartetes Spiel, man kann hier sowieso nichts bewirken, selbst wenn ein Reformer ins Amt gewählt wird, dann kann der nichts machen, ... Das waren so die Zitate, die man gehört hat. Ich war vor zwei Monaten im Iran, das war eigentlich das, was man von jedem, den man traf, gehört hat, dass sie sagten: Wir machen hier nichts mehr, das bringt alles nichts. Und dann findet eine Mobilisierung statt in massivem Ausmaße: In den letzten Wochen war es unglaublich, wie viele Leute sich aufgerafft haben, die wieder politisch interessiert waren. Man wurde hier in Deutschland als Iraner wirklich zugetextet mit E-Mail-Nachrichten, wo es dann hieß: Es gibt eine grüne Welle, es gibt eine Bewegung zur Aufweckung der schlafenden Stimmen, so nannte sich das. All das ist passiert in den letzten Wochen, und dann sollen all diese Menschen auf einmal hingehen und den Amtsinhaber wählen? Das scheint mir nicht wirklich logisch. Und was auch sehr merkwürdig ist, ist, dass ein anderer Herausforderer Ahmadinedschads, das ist der Reformer Mehdi Karroubi, und der soll gerade mal 200.000 Stimmen auf sich vereinigt haben. Das ist extrem wenig – auch das riecht nach Unregelmäßigkeit.
Hondl: Worauf gründeten eigentlich die Hoffnungen, die die Kulturleute – die interessieren uns ja vor allem in "Kultur heute" – mit dem Herausforderer Mussawi und den anderen oppositionellen Kandidaten verbanden?
Amirpur: Mussawi ist selber ein Mann der Kultur, er war von 1980 bis '88 Ministerpräsident im Iran und danach hat er sich aus der Politik zurückgezogen und hat gemalt. Er ist ein relativ anerkannter Maler in Iran. Seine Frau ist Universitätsdekanin gewesen und hat sich einen sehr guten Ruf als Bildhauerin erworben. Allein schon aufgrund der Tätigkeit von den beiden haben alle gedacht: Das sind einfach Leute der Kultur und das sind Leute, die in diesem Bereich etwas tun werden. Dann wiederum hat Mussawi sich sehr stark eingesetzt für Frauenrechte, auch das wieder durch seine eigene Frau. Er ist immer aufgetreten mit seiner Frau bei den ganzen Wahlkampfveranstaltungen, sie hat die Vorrede gehalten, sie ist ein sehr charismatischer Typ, sehr mitreißend im Gegensatz zu ihm, er ist eher professoral und etwas trocken. Aber auch da war immer die Rede von Öffnung, von Liberalität, von Frauenrechten, von Öffnung auch in Richtung Westen, und Ahmadinedschad steht ja nun gerade dafür, dass er da die Schotten absolut dichtmachen wollte und keinerlei Kultur, keinerlei Öffnung, nichts Westliches mehr zulassen wollte.
Hondl: Auch auf den Titelseiten vieler Zeitungen sind ja heute vor allem Frauen zu sehen, die da in Massen in die Wahllokale strömen im Iran. Ja, wenn ich Sie richtig verstehe, wären wohl auch viele Frauen im Iran sicher froh gewesen, wenn Ahmadinedschad abgewählt worden wäre. Bedeutet also sein Wahlsieg, wenn er denn nun tatsächlich gewonnen hat, auch einen Rückschlag für die iranischen Frauen, für die iranischen Frauenrechtlerinnen?
Amirpur: Nun, auf jeden Fall. Er hat die Frau von Mussawi, die sich eben im Wahlkampf sehr stark ausgesprochen hat für Frauenrechte, massiv angegriffen dafür. Es gab TV-Duelle, wo er ganz klar gesagt hat: Was diese Frau da propagiert, das geht nicht, das wollen wir alles überhaupt gar nicht haben. Deswegen kommt einem das ja auch alles so merkwürdig vor, denn das war alles etwas, was das Volk gehört hat. Das waren Dinge, die an keinem spurlos vorübergegangen sind.
Hondl: Wir können jetzt nur spekulieren, aber was meinen Sie: Wird jetzt aus dieser grünen Welle, aus diesem Aufbruch von vor allem ja jungen Leuten im Iran, die jetzt so aktiv waren in den letzten Wochen – wird die nun verplätschern, diese grüne Welle? Was meinen Sie?
Amirpur: Es könnte durchaus sein, dass sie verplätschert, dass sich viele gesagt haben, wir haben uns wieder einmal aufgerafft und haben versucht, uns in die Politik einzumischen und mal wieder hat es nichts gebracht, mal wieder sind wir nur betrogen worden, und dass sich die Leute jetzt mal wieder stark ins Private zurückziehen. Das war so der Eindruck, den man hatte in den letzten Jahren. Das wäre eine Alternative. Es kann natürlich auch sein, dass sich dieser ganze Frust jetzt entlädt in den nächsten Tagen und Stunden, dass die Leute auf die Straße gehen und sagen, so haben wir nicht gewählt, das haben wir nicht gewollt und wir haben uns hier für was ganz anderes eingesetzt, und jetzt wandeln wir das, was friedliche Demonstrationen waren noch vor einigen Tagen mal um in Schlägereien. Auch das könnte passieren. Und dann ist natürlich mit massiver Gegenwehr von staatlicher Seite zu rechnen.
Hondl: Frustration, Resignation und Irritationen nach der Präsidentschaftswahl im Iran. Vielen Dank, das war die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
Katajun Amirpur: Wenn es tatsächlich so ist, dass Ahmadinedschad einen wirklichen Sieg hat einfahren können, dann, glaube ich, bedeutet das in der Tat eine große Niederlage, aber da ist man sich ja im Moment noch nicht so ganz sicher. Es wird im Moment sehr stark angezweifelt, ob Ahmadinedschad wirklich in so starkem Maße gewonnen hat, wie es jetzt im Moment aussieht. Im Moment ist die Rede von 62 Prozent, sehr viele zweifeln das an und sagen, da ist sehr viel Wahlfälschung im Spiel. Ich glaube, schon im Vorfeld hat man gesagt und gedacht, dass Ahmadinedschad möglicherweise mehr Stimmen auf sich vereinigen wird können als sein Herausforderer Mussawi, aber man ist eigentlich davon ausgegangen, dass beide so um die 40 Prozent liegen und dass es dann eventuell zu einer Stichwahl kommen könnte. Sollte das jetzt anders sein, sollte es tatsächlich so viele Menschen gegeben haben, die sich aufgerafft haben – denn das war eigentlich die große Hoffnung, die man im Vorfelde hegte, ... Im Vorfelde hieß es: Wahrscheinlich gibt es eine geringe Wahlbeteiligung und das sei dann wiederum gut für Ahmadinedschad. Es hat sich herausgestellt: Es gab eine sehr, sehr hohe Wahlbeteiligung, und die hätte sich wiederum positiv ausgewirkt für Mussawi. Nun ist das eingetreten, womit niemand gerechnet hat: Es gab eine große Wahlbeteiligung und angeblich ist Ahmadinedschad mit großer Mehrheit im Amt bestätigt worden. Das ist alles sehr, sehr merkwürdig. Wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat, dann, muss man sagen, hat die Kultur tatsächlich verloren, denn dann haben sich die Leute offensichtlich gegen Kultur entschieden.
Hondl: Aber Sie bezweifeln offensichtlich auch, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat?
Amirpur: Nun, es klingt insgesamt sehr merkwürdig, dass auf einmal so viele Menschen, die vorher gar nicht vorhatten, zu wählen, die wirklich gesagt haben, wir gehen nicht wählen, was soll das denn, es ist ein abgekartetes Spiel, man kann hier sowieso nichts bewirken, selbst wenn ein Reformer ins Amt gewählt wird, dann kann der nichts machen, ... Das waren so die Zitate, die man gehört hat. Ich war vor zwei Monaten im Iran, das war eigentlich das, was man von jedem, den man traf, gehört hat, dass sie sagten: Wir machen hier nichts mehr, das bringt alles nichts. Und dann findet eine Mobilisierung statt in massivem Ausmaße: In den letzten Wochen war es unglaublich, wie viele Leute sich aufgerafft haben, die wieder politisch interessiert waren. Man wurde hier in Deutschland als Iraner wirklich zugetextet mit E-Mail-Nachrichten, wo es dann hieß: Es gibt eine grüne Welle, es gibt eine Bewegung zur Aufweckung der schlafenden Stimmen, so nannte sich das. All das ist passiert in den letzten Wochen, und dann sollen all diese Menschen auf einmal hingehen und den Amtsinhaber wählen? Das scheint mir nicht wirklich logisch. Und was auch sehr merkwürdig ist, ist, dass ein anderer Herausforderer Ahmadinedschads, das ist der Reformer Mehdi Karroubi, und der soll gerade mal 200.000 Stimmen auf sich vereinigt haben. Das ist extrem wenig – auch das riecht nach Unregelmäßigkeit.
Hondl: Worauf gründeten eigentlich die Hoffnungen, die die Kulturleute – die interessieren uns ja vor allem in "Kultur heute" – mit dem Herausforderer Mussawi und den anderen oppositionellen Kandidaten verbanden?
Amirpur: Mussawi ist selber ein Mann der Kultur, er war von 1980 bis '88 Ministerpräsident im Iran und danach hat er sich aus der Politik zurückgezogen und hat gemalt. Er ist ein relativ anerkannter Maler in Iran. Seine Frau ist Universitätsdekanin gewesen und hat sich einen sehr guten Ruf als Bildhauerin erworben. Allein schon aufgrund der Tätigkeit von den beiden haben alle gedacht: Das sind einfach Leute der Kultur und das sind Leute, die in diesem Bereich etwas tun werden. Dann wiederum hat Mussawi sich sehr stark eingesetzt für Frauenrechte, auch das wieder durch seine eigene Frau. Er ist immer aufgetreten mit seiner Frau bei den ganzen Wahlkampfveranstaltungen, sie hat die Vorrede gehalten, sie ist ein sehr charismatischer Typ, sehr mitreißend im Gegensatz zu ihm, er ist eher professoral und etwas trocken. Aber auch da war immer die Rede von Öffnung, von Liberalität, von Frauenrechten, von Öffnung auch in Richtung Westen, und Ahmadinedschad steht ja nun gerade dafür, dass er da die Schotten absolut dichtmachen wollte und keinerlei Kultur, keinerlei Öffnung, nichts Westliches mehr zulassen wollte.
Hondl: Auch auf den Titelseiten vieler Zeitungen sind ja heute vor allem Frauen zu sehen, die da in Massen in die Wahllokale strömen im Iran. Ja, wenn ich Sie richtig verstehe, wären wohl auch viele Frauen im Iran sicher froh gewesen, wenn Ahmadinedschad abgewählt worden wäre. Bedeutet also sein Wahlsieg, wenn er denn nun tatsächlich gewonnen hat, auch einen Rückschlag für die iranischen Frauen, für die iranischen Frauenrechtlerinnen?
Amirpur: Nun, auf jeden Fall. Er hat die Frau von Mussawi, die sich eben im Wahlkampf sehr stark ausgesprochen hat für Frauenrechte, massiv angegriffen dafür. Es gab TV-Duelle, wo er ganz klar gesagt hat: Was diese Frau da propagiert, das geht nicht, das wollen wir alles überhaupt gar nicht haben. Deswegen kommt einem das ja auch alles so merkwürdig vor, denn das war alles etwas, was das Volk gehört hat. Das waren Dinge, die an keinem spurlos vorübergegangen sind.
Hondl: Wir können jetzt nur spekulieren, aber was meinen Sie: Wird jetzt aus dieser grünen Welle, aus diesem Aufbruch von vor allem ja jungen Leuten im Iran, die jetzt so aktiv waren in den letzten Wochen – wird die nun verplätschern, diese grüne Welle? Was meinen Sie?
Amirpur: Es könnte durchaus sein, dass sie verplätschert, dass sich viele gesagt haben, wir haben uns wieder einmal aufgerafft und haben versucht, uns in die Politik einzumischen und mal wieder hat es nichts gebracht, mal wieder sind wir nur betrogen worden, und dass sich die Leute jetzt mal wieder stark ins Private zurückziehen. Das war so der Eindruck, den man hatte in den letzten Jahren. Das wäre eine Alternative. Es kann natürlich auch sein, dass sich dieser ganze Frust jetzt entlädt in den nächsten Tagen und Stunden, dass die Leute auf die Straße gehen und sagen, so haben wir nicht gewählt, das haben wir nicht gewollt und wir haben uns hier für was ganz anderes eingesetzt, und jetzt wandeln wir das, was friedliche Demonstrationen waren noch vor einigen Tagen mal um in Schlägereien. Auch das könnte passieren. Und dann ist natürlich mit massiver Gegenwehr von staatlicher Seite zu rechnen.
Hondl: Frustration, Resignation und Irritationen nach der Präsidentschaftswahl im Iran. Vielen Dank, das war die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.