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Das Schämen und die Liebe für die polnische Mutter

Als Teenager unter verklemmten Schweden mit einer lautstark-direkten polnischen Mutter hatte es Emmy Abrahamson schwer. Sie wollte eigentlich nur so sein wie die anderen schwedischen Jugendlichen. In ihrem Buch schreibt sie autobiografisch darüber.

Emmy Abrahamson im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: Bücher für junge Leser – im Studio ist Katja Lückert. Heute ist die schwedische Schriftstellerin Emmy Abrahamson zu Gast, herzlich willkommen!

    Emmy Abrahamson: Danke schön!

    Lückert: Sie sind, Emmy Abrahamson, in Schweden geboren, haben aber in Russland, in Amsterdam, in England und in Wien gelebt. Deshalb sprechen Sie auch Deutsch. Können Sie noch sagen, in welcher Sprache Sie sich am stärksten beheimatet fühlen – Sie schreiben auf Schwedisch?

    Abrahamson: Ja, ich würde sagen, erst Schwedisch und dann Englisch und dann Polnisch. Ich spreche fließend Polnisch, aber ich kann Polnisch nicht lesen oder schreiben, weil ich Polnisch nur mit meiner Mutter spreche. Schwedisch ist meine stärkste Sprache. Aber ich liebe Deutsch, ich liebe es Deutsch zu sprechen, ich liebe deutsche Musik. Ich wünschte, ich könnte besser sprechen, aber ich tue es so gut, wie ich kann.

    Lückert: Das können Sie schon sehr gut. Der Roman "Widerspruch zwecklos oder wie man eine polnische Mutter überlebt" ist gerade auf Deutsch erschienen. Auf Schwedisch klingt der Titel noch ein wenig anders, nämlich- wollen Sie ihn einmal nennen?

    Abrahamson: "Min pappa är snäll och min Mamma är utlänning", und das heißt: "Mein Papa ist lieb und meine Mutter ist eine Ausländerin". Und das ist ein Satz, den ich geschrieben habe, als ich acht Jahre alt war. Das war eine Hausaufgabe und ich sollte meine Familie beschreiben und dann habe ich halt geschrieben: Mein Papi ist lieb, aber meine Mutter ist eine Ausländerin. So habe ich meine Welt gesehen. Mein Vater war dieser nette Schwede und meine Mutter war nur diese peinliche polnische Frau. Eine ganz lange Zeit habe ich mich geschämt, dass meine Mutter aus Polen kommt. Als Teenager möchte man nun mal nicht anders sein und ich habe unfairerweise meine Mutter dafür verantwortlich gemacht, dass ich anders war und ich fand es peinlich, dass sie mit einem polnischen Akzent sprach, dass sie sich anders kleidete, dass wir zu Hause anders aßen und sie immer damit herausplatzte, was sie dachte. Ich wollte lieber eine stille, normale, schwedische Mutter, die jeden Abend Fleischklößchen machte.

    Lückert: Jetzt haben sie ja im Grunde schon ganz viel verraten im Grunde auch über die autobiografischen Wurzeln dieses Romans. Es geht um die Familie der 15-jährigen Alicja, der Hauptfigur in Ihrem Roman. Sie lebt auf dem Land in den Nähe von Stockholm. Alicja hat einen schwedischen Vater, der berufsbedingt wenig zu Hause ist und eine recht dominante polnische Mutter – mit einer weitläufigen Familie, die pausenlos anruft oder zu Besuch kommt – und irgendwie anders ist, als die schwedischen Familien ihrer Freundinnen. Ständig gibt es schwedisch-polnische Konflikte, könnte man sagen?

    Abrahamson: Absolut und das geht auf eigene Erfahrung zurück. Ich fand meine Mutter so peinlich und ich wollte doch nur hundertprozentig schwedisch sein. Und das war nicht möglich.

    Lückert: Erzählen Sie doch noch ein bisschen, Ihr Vater war Auslandskorrespondent?

    Abrahamson: Ja, er arbeitet immer noch für den schwedischen Rundfunk.

    Lückert: Sie sind selbst also ein wenig radioaffin?

    Abrahamson: Ja, ich bin mit dem Radio aufgewachsen und das ist mein liebstes Medium.

    Lückert: Sie sind sehr viel von Land zu Land umgezogen?

    Abrahamson: Als Tochter eines Auslandskorrespondenten verlies ich Schweden, als ich zehn Jahre alt war, und verbrachte meine Jugend in der ehemaligen Sowjetunion, in Österreich und in England.

    Lückert: Und wie hat Sie das beeinflusst? Immer wieder neue Freunde, eine neue Schule. Und besonders eine Sprache? Wie wirkte das? Fühlen Sie sich anpassungsfähiger?

    Abrahamson: Ja, das glaube ich schon. Ich glaube auch, dass ich selbstständiger bin. Man muss sich halt schnell anpassen in einem neuem Land und die dort geltenden Regeln lernen. Wie macht man das hier in der ehemaligen Sowjetunion oder in Österreich oder auch in England? Aber ich glaube auch, dass das zu einer Einsamkeit geführt hat. Ich habe keine Freunde aus meiner Kindheit.

    Lückert: Es ging dann nicht so in die Tiefe, die Freundschaften blieben oberflächlicher, weil man immer wieder wegging?
    Abrahamson: Das stimmt. Wir lebten alle drei Jahre in einem anderen Land und damals gab es kein Facebook und E-Mails. Wir haben natürlich Briefe geschrieben, aber das war schon alles.

    Lückert: Ist Ihnen gewissermaßen der "fremde Blick" zur Gewohnheit geworden und vielleicht auch das Gefühl von Fremdsein?

    Abrahamson: Absolut. Ich glaube, ich bin eine Beobachterin geworden. Da ich immer so eine Outsiderin gewesen bin, habe ich eben die Leute beobachtet. Ich wollte wie alle anderen sein und habe sie deshalb immer genau beobachtet. Ich wollte sehen, was sie machen, wie sie sprechen, denn ich wollte wie sie sein. Ich habe mein ganzes Leben lang Tagebuch geschrieben, das war auch eine Hilfe für mich.

    Lückert: Sie sind ausgebildete Schauspielerin, unter anderem haben Sie in dem holländischen Film "Nederlands voor beginners" mitgespielt, in dem es auch wieder um das Fremdsein – das Anderssein – das Ausländersein geht. Damals allerdings war es die Annäherung an die holländische Kultur mit Sprachkursen und Verwechslungsgeschichten aller Art. War Ihnen die Rolle auf den Leib geschrieben?

    Abrahamson: Ich glaube, ich war die einzige Schauspielerin, die fließend englisch, polnisch und holländisch sprach und deshalb mussten sie mir diese Rolle geben. Und es hat sehr viel Spaß gemacht, diesen Film zu drehen. Aber leider hat niemand diesen Film gesehen, ich glaube drei Personen.

    Lückert: Ich habe ihn gesehen, habe ihn allerdings vielleicht nicht ganz verstanden, weil ich nicht so gut holländisch spreche.

    Abrahamson: Wirklich? Die Regisseurin Ursula Antoniak ist eine sehr begabte Frau. Sie hat es wirklich super beschrieben, wie es ist, in einem anderen Land zu sein und diese rassistischen Untertöne, die es auch gibt, zu erleben. Übrigens auch zwischen Ausländern, in diesem Film zwischen der Frau, die ich gespielt habe und Fama, einer Frau aus Ghana.

    Lückert: Es gibt in Ihrem Buch: "Widerspruch zwecklos oder wie man eine polnische Mutter überlebt einige, komische, lustige Szenen, die durch die Spannung zwischen den Kulturen entstehen – offenbar haben interkulturelle Konflikte für Sie ein großes humoristisches Potenzial?

    Abrahamson: Absolut. Ich glaube, Humor ist für die verschiedenen Nationalitäten etwas sehr Unterschiedliches. Die Polen können zum Beispiel nicht so gut über sich selbst lachen. Ich glaube, die Engländer können das schon. Als jemand, der sein ganzes Leben im Ausland verbracht hat, finde ich diese Unterschiede sehr lustig.

    Lückert: Es gibt ja auch Sprachverwechslungen, zwischen dem polnischen "Tak" und dem schwedischen "Tak", etwa.

    Abrahamson: Ja, "Tak" bedeutete auf Schwedisch "Danke" und auf Polnisch "ja". Meine schwedischen Freunde haben immer gefragt, warum ich mich pausenlos bei meiner Mutter bedanke, aber ich habe immer nur "ja" gesagt.

    Lückert: Zu Beginn des Buches –geht es um klassische Teenagerprobleme - nämlich um Pickel – Sie werden nun ein wenig daraus vorlesen.

    Ich finde das klingelnde Telefon unter einer Tüte mit alten Socken.

    "Hallo, Alicja hier."

    Es herrscht Stille, als hätte die Person am anderen Ende nicht damit gerechnet, dass jemand drangeht.

    "Alicja?"

    Ich höre an Aussprache und Stimme, dass es eine der sieben Schwestern meiner Mutter sein muss. Schon ihre absurd große Zahl sollte sie zu der Einsicht bringen, dass sie sich besser mit Namen melden würden, trotzdem tun sie es nie. Stattdessen spielen wir das Rate-welche-Tante-dran-ist-Spiel.

    "Jadwiga", frage ich, auf die Schwester tippend, die meiner Mutter nach ihrer Lieblingsschwester Halina am nächsten steht.

    Jadwiga lebt in Deutschland und ist mit Klaus-Günter verheiratet, der unter einer Bazillenphobie leidet und keine Türklinke ohne Taschentuch anfassen kann. Als sie uns das letzte Mal besucht haben, wollte er nicht mit mir im selben Zimmer bleiben, weil ich erkältet war.

    "Alicja, kochana."
    Kochana heißt auf Polnisch "meine Liebste" und lässt mich erstarren. Ich habe das Mitleid in ihrer Stimme gehört und weiß, dass unser Gespräch zu nichts Gutem führen wird.

    "Co u was stycha?" - "Was gibt's Neues bei euch", frage ich in dem verzweifelten Versuch, das Fürchterliche, das unweigerlich kommen wird, noch etwas hinauszuzögern.

    Stille am anderen Ende. Und dann wieder Tante Jadwigas Stimme: "Urin."

    Ich sage nichts.

    "Ich habe von deinem Problem gehört", fährt Tante Jadwiga auf Polnisch fort.

    "Welchem Problem", frage ich leise.

    In einem rasenden Gedankenwirbel gehe ich die tausend Dinge durch, die Mutter ihrer Schwester erzählt haben könnte.

    "Dass deine Haut so schlecht ist."
    Ich spüre, wie ich rot werde. Stimmt, ich habe ein paar Pubertätspickel, aber Tante Jadwiga klingt, als wäre ich der Elefantenmensch.

    "Quatsch, bei mir ist alles in Ordnung", sage ich mit einem etwas zu lauten Lachen. Ich habe versucht, so normal wie möglich und vor allem wie jemand mit seidenglatter Haut zu klingen. Es kann doch nicht so schwer sein, zu verstehen, dass ich darüber nicht reden will, mit ihr nicht und auch mit sonst niemandem.

    Ich höre Jadwiga seufzen.

    "Marek hat auch Pickel. Sein Gesicht sieht aus, als wäre er in Erdbeermarmelade gefallen." Marek ist mein gleichaltriger Cousin in Polen. "Das Einzige, das wirklich Einzige, was hilft, ist, das Gesicht mit Urin zu waschen."

    "Mhm", antworte ich.

    "Einmal morgens und einmal abends, bevor du schlafen gehst."

    "Mmh"

    "Mindestens einen Monat lang."

    "Moment ..." Ich tue so, als hörte ich etwas im Zimmer nebenan.

    "Aber du darfst es nicht vergessen. Wenn du es auch nur ein Mal vergisst, nutzt es gar nichts."

    "Ja ...?"Ich tue so, als antwortete ich jemandem im Zimmer nebenan.

    "Jemand ruft nach mir", sage ich. "Tut mir leid. Aber danke für den Rat. Und grüß Onkel Klaus-Günter! - Pa!"

    Ich halte das Telefon in der Hand und spüre, wie alles in mir kocht. Im Geist notiere ich mir eine weitere Regel, die hilft, eine polnische Mutter zu überleben:

    234 Akzeptiere, dass steinalte und deinen normalen Mitmenschen vollkommen unbekannte polnische Hausmittel besser sind als alle noch so wissenschaftlich erprobten Heilmittel, die du in der Apotheke kaufen kannst.


    Lückert: Emmy Abrahamson las aus ihrem Roman: "Widerspruch zwecklos oder wie man eine polnische Mutter überlebt". Das Buch stand übrigens auf unserer Deutschlandfunk-Bestenliste: die besten sieben Bücher für junge Leser im März.

    Alicia stellt ja Regeln auf, Sie haben sie auch schon vorgelesen, Frau Abrahamson, die ihr helfen sollen, ihre polnische Mutter auszuhalten. Aber sie liebt sie auch und trotzdem ist eine Geschichte einer Befreiung, also von Pubertät?

    Abrahamson: Genau. Ich wollte eine Art 'survival guide' schreiben. Eine Art Überlebensstrategie für Andere, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind. Ich habe das Buch zu einem guten Teil auch als Liebeserklärung an meine Mutter geschrieben. Unglücklicherweise konnte sie es nicht so sehen. Als sie das Buch zum ersten Mal gelesen hatte, wollte sie drei Monate nicht mehr mit mir reden. Sie sagte, dass ich die polnischen Leute beschmutzt hätte, doch das war absolut nie meine Absicht. Inzwischen ist alles wieder gut zwischen uns.

    Lückert: Verstehen Sie Ihr Buch eigentlich dezidiert als Jugendbuch, oder ist es ein All-Age-Roman?

    Abrahamson: Das ist ein All-Age-Roman, das ist ein Buch für Alle. Ich wollte ein witziges Buch, das auch intelligent ist, schreiben. Ich finde, dass es zu wenige solche Bücher gibt. Es sollte ein Buch sein, das ein Mädchen zur Hauptfigur hat, ein Mädchen, das witzig ist und einen guten Humor hat, das über sich selbst lachen kann und dabei auch noch klug ist. Das wollte ich ändern.

    Lückert: Obwohl Sie ja aus dem Land komme, was das witzigste Mädchen erfunden hat – die Pippi Langstrumpf?

    Abrahamson: Das stimmt. Pippi ist ein Vorbild. Sie ist meine Heldin.

    Lückert: Die Perspektive der 15-jährigen Alicja ist ja doch schon erstaunlich reflektiert. Sie weiß sich zu beherrschen und kann meist in einem humorvoll-ironischen Ton von ihren Alltagssorgen berichten, sodass man den Eindruck hat, die Perspektive ist nicht die eines Kindes?

    Abrahamson: Ja und das Wichtige ist, dass Alicia versteht, dass man mit Humor alles überleben kann, sogar eine polnische Mutter.

    Lückert: Alicjas Mutter kann nichts wegwerfen. Alles könnte ja noch mal zu etwas gut sein und sogar schimmligen Käse verarbeitet sie in der Lasagne. Außerdem mischt sich in alles ein. Und dann kommen auch noch ihre Schwester Silvja und deren Tochter Celestina zu Besuch. Die beiden wollen sich in Zukunft in Schweden eine neue Existenz aufbauen. Doch eigentlich möchte Alicja nur angenehme Sommerferien am Strand und mit ihren Freundinnen und ihrem neuen Freund Ola verbringen. Alicja, so viel darf man wohl verraten, verliebt sich – auch das geht mit ihrer Mutter im Hintergrund nicht ganz störungsfrei vonstatten. Und während sie sich gerade schön machen und auf ein Treffen mit Ola vorbereiten will, werden Küche und Bad von zwei schwarzarbeitenden Polen renoviert, die dauernd die Stromleitungen anbohren und sonstigen Murks anstellen. Diese ziemlich amüsante Passage werden Sie nun vorlesen.

    Diesmal dauert es nicht lange, bis der orange-weiße Kastenwagen der Elektrizitätswerke auf den Hof fährt. Es sind dieselben blauäugigen Jungs, die schon mal hier waren. Ich tue so, als hätte ich die Frage nicht gehört, und führe sie in die Küche. Ich zeige auf die Stelle, wo Pan Boguslaw die Stromleitung getroffen hat.

    "Und was ist diesmal passiert", fragt der Größere mit einem Seufzer.

    "Das sieht man doch wohl", sage ich ein bisschen irritiert von seinem Ton. "Ich wollte in die Wand bohren. Und da da muss ich auf die Leitung gestoßen sein."

    Ich verschränke die Arme vor der Brust und stelle mich so breitbeinig hin wie Männer, wenn sie miteinander über technische Dinge reden.

    "In Lockenwicklern?"

    "Verzeihung?"

    "Du bohrst mit Lockenwicklern in den Haaren", fragt der Größere.

    "Ja", antworte ich und schaue ihm furchtlos in die Augen.
    Schweigen. Dann der Kleinere: "Und warum hast du in die Wand gebohrt?"

    "Warum bohrt man in die Wand", antworte ich. "Um ein Loch zu machen."

    Ich sehe, wie der Kleinere sich das Chaos im Zimmer ansieht.

    "Und du hast nicht in den Installationsplan geschaut oder mit einem Detektor kontrolliert, dass da keine Leitung ist, wo du bohrst", fragt der Größere.

    "Klar hab ich das." Meine Stimme wird ein bisschen zu laut. "Der Plan muss nur falsch gewesen sein."

    "Du ...", beginnt der Kleinere und ich sehe, wie er seinem Kollegen einen schnellen Blick zuwirft. "Wir würden schon auch gern mit deinem Vater oder deiner Mutter reden."

    "Die sind nicht hier. Die sind in der Arbeit und kommen erst ganz spät zurück."

    Wieder Schweigen.

    "Also, verstehe ich das richtig, sagt der Größere, "deine Eltern lassen dich Sträucher umpflanzen, die Küche und das Bad renovieren und dabei in die Wände bohren - alles ganz allein, während sie in der Arbeit sind?"

    Im selben Augenblick klingelt das Telefon. Ich war noch nie so froh, dass ein Gespräch unterbrochen wird.

    Erst kann ich das Telefon nicht finden, weil Pan Boguslaw es unter mehreren Zeitungen versteckt hat. Und noch während ich den Hörer abnehme, fluche ich im Stillen über Mutter, ihre verdammten polnischen Handwerker und überhaupt den ganzen Schlamassel, der mich zwingt, andauernd irgendwelche Lügengeschichten zu erfinden.

    "Hallo?"

    "Alicja", fragt eine polnische Stimme. "Mo'wi Sylwia." - "Hier spricht Sylwia."

    Mir bleibt fast das Herz stehen. Seit der Sache mit Celestyna weigere ich mich, mit den beiden zu reden, aber wenn ich jetzt auflege, sieht es vielleicht komisch aus. Wenn ich allerdings nicht auflege, hören die Jungs von den Elektrizitätswerken mich Polnisch reden, was jedenfalls mir wie das Eingeständnis vorkäme, dass hier irgendwelche krummen Geschäfte laufen.

    "Ja", sage ich auf Schwedisch und so neutral wie möglich. "Alicja, ist deine Mutter da", zwitschert Sylwia.

    Ich schiele zu den Jungs, die zu meiner Erleichterung schon anfangen, das Bohrloch in der Wand zu vergrößern, damit sie das Kabel austauschen können.

    "Nie, ona jest wpracy." Ich flüstere so leise wie nur irgend möglich, dass Mutter in der Arbeit ist.

    "Ich kann dich nicht hören", sagt Sylwia. "Ich muss unbedingt mit ihr reden. Ist sie in der Arbeit?"

    Ich merke, dass der Kleinere plötzlich neben mir steht. Jetzt darf ich auf gar keinen Fall Polnisch reden.

    "Tak", sage ich.

    Kurze Lektion in Polnisch: "Tak" heißt auf Polnisch "ja". Es klingt nur fast wie das schwedische "tack", "danke", weshalb meine Freunde lange brauchten, um zu begreifen, dass ich mich nicht ständig bei meiner Mutter bedanke. Jetzt hoffe ich, dass Sylwia ein polnisches "Ja" und die Jungs von den Elektrizitätswerken ein schwedisches "Danke" gehört haben.

    "Ich habe die wunderbarsten Neuigkeiten", fährt Sylwia auf Polnisch fort.

    "Entschuldige", sagt der Kleinere. "Wo war noch mal der Sicherungskasten? Wir müssen an die Hauptsicherung."

    "Tak", sage ich zu Sylwia mit der wahrscheinlich seltsamsten Betonung der Welt und zeige mit der rechten Hand in Richtung Flur.

    "Du wirst nie glauben, was passiert ist", sagt Sylwia. "Deine Mama muss sofort anrufen, wenn sie nach Hause kommt."

    "Okay", sage ich so neutral wie möglich.

    "Danke, Alicja", sagt Sylwia.

    "Tak", sage ich. Dann lege ich auf und denke, dass Zweisprachigkeit schon auch ihre Vorteile hat.


    Lückert: "Widerspruch zwecklos oder wie man eine polnische Mutter überlebt" heißt das Buch von Emmy Abrahamson, die zu Gast im Büchermarkt für junge Leser ist. Es gab ein paar Stellen in Ihrem Buch, Frau Abrahamson, da bin ich ein wenig gestolpert. An einer Stelle hieß es, Alicja würde am liebsten brennende Häuser und Hakenkreuze malen, weil sie gerade so wütend ist. An anderer Stelle, ihr Freund sehe mit seinen blauen Augen und seinen blonden Haaren wie aus der Hitlerjugend entsprungen. Und ihre Mutter liegt auch ähnliches Vokabular leicht auf der Zunge, als ihr Sohn Rafal von einer längeren Reise etwas zerlumpt zurückkommt, ruft sie: "Wie aus dem KZ!" Alicjas Freundinnen beschimpfen sich im Spaß als Neonazischlampen. Ist das sprachliche Realität in Schweden oder unter Polen, haben Sie das abgeschaut?
    Abrahamson: Das kommt von meiner eigenen Familie. Mein Großvater war im KZ und das hat meine Familie natürlich sehr beeinflusst.

    Lückert: Das war der Vater Ihrer Mutter?

    Abrahamson: Ja, der Vater meiner Mutter. Er war in Ausschwitz und das Komische ist, dass wir auch darüber lachen. Man muss darüber lachen, glaube ich, weil es doch so schrecklich war. Ich habe viele Verwandte in Deutschland – ja, ich glaube, das ist einfach schwarzer Humor.

    Lückert: Schwedisch und Polnisch, um noch mal drauf zurückzukommen, sind vielleicht zwei Mentalitäten, die besonders auffällig nicht zusammenpassen, gibt es da besonders viele Reibungspunkte?

    Abrahamson: Ja, weil ich glaube, die Schweden sind ganz ordentlich, die reden nicht über persönliche Dinge und die Polen sind das Gegenteil. In meiner polnischen Familie, da redet man über Alles, nichts ist tabu. Und für mich ist das ein ganz interessanter Unterschied, aus dem man sehr viel Komisches machen kann. Diese verklemmten Schweden und diese polnischen Frauen, die über alles reden können.

    Lückert: Alles im Allen könnte man sagen, dass es doch eine recht versöhnliche Loslösungsgeschichte ist. Alicja geht nicht weg, sie bricht nicht mit ihrer Mutter – sie lernt nur etwas, was eigentlich genau? – und lernt ihre Mutter auch etwas?

    Abrahamson: Nein, ich glaube, die Mutter lernt nichts. Oder doch: Sie kriegt mehr Verständnis dafür, dass Alicia in einem Alter ist, wo man als Mutter ein bisschen vorsichtig sein muss und das Privatleben der Tochter akzeptieren und respektieren muss. Und Alicia lernt, dass es doch gut ist, wenn Menschen verschieden sind. Für mich hat es eine lange Zeit gedauert, bis ich meine eigene Mutter akzeptieren konnte. Jetzt bin ich so stolz auf meine Mutter und ich bin auch so froh, dass ich halb polnisch bin, weil die Polen fantastisch sind; ich bewundere das Land und die Leute.

    Lückert: Das wäre fast schon ein schönes Schlusswort, verraten Sie uns noch, was für neue Projekte in ihrer Schublade liegen?

    Abrahamson: Im Augenblick beende ich gerade mein viertes Buch. Nach "Widerspruch zwecklos" habe ich eine Trilogie begonnen, die in London spielt. Sie handelt von einer 18-jährigen jungen Frau, die dorthin zieht, um sich ihren Traum von einem neuen Leben zu erfüllen. Sie will Alles: eine neues Leben, neue Freunde, eine neue Liebe. Und wie "Widerspruch zwecklos" sind die Bücher komisch, unterhaltsam, mit vielen unerwarteten Wendungen.

    Lückert: Emmy Abrahamson war zu Gast im Büchermarkt für junge Leser. Ihr erster Roman ist im dtv Verlag, in der Reihe Hanser, unter dem Titel "Widerspruch zwecklos oder wie man eine polnische Mutter überlebt" erschienen. Das Buch hat 220 Seiten und kostet 12,95 Euro. Und es gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Fritzi Haberlandt, drei CDs, bei Hörcompany, erschienen kosten 16,95 Euro. Das war der Büchermarkt für junge Leser. Hier am Mikrofon verabschiedet sich Katja Lückert.

    Buchinfos:
    • Emmy Abrahamson: "Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt", Dtv Verlag, Reihe Hanser, ISBN 978-3-423-62548-7, Preis: 12,95 Euro
    • Hörbuch, gelesen von Fritzi Haberlandt, Hörcompany, ISBN: 978-3-942587-52-5, Preis: 16,95 Euro


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.