3. Mai 2000 – Frühlingsstimmung an der altehrwürdigen Londoner Börse London Stock Exchange LSE, dem größten Wertpapiermarkt Europas mit rund 2300 notierten Werten, einem Kapitalisierungswert von rund drei Milliarden Euro und dem weltweit größten Devisenhandelsplatz. Auf einer groß aufgezogenen Pressekonferenz geben die Deutsche Börse AG und der London Stock Exchange ihre Absicht bekannt, sich zum größten Aktienmarkt Europas zusammenzuschließen. Da der geplanten Fusion zur neuen europäischen Superbörse iX bereits im Juli 1998 die Bildung einer strategischen Allianz der Börsenplätze London und Frankfurt vorangegangen war mit dem Ziel, die deutschen und britischen Märkte für die wichtigsten Wertpapiere zu harmonisieren und auch eine gemeinsame elektronische Handelsplattform zu entwickeln, war niemand in der Londoner City überrascht, als schließlich der konkrete Fusionsplan vorgelegt wurde.
Die neue Börse iX sollte ihren Sitz in London haben, wie der – seinerzeit noch designierte - Chef der Londoner Börse, Don Cruikshank, stolz bekanntgab, der den Vorsitz des iX – Verwaltungsrates übernehmen sollte. Zugleich war er bemüht, Bedenken der Anteilseigner der Deutschen Börse AG über die künftige Aufgabenverteilung zu zerstreuen. Don Cruikshank am 3. Mai in London:
Don Cruikshank Frankfurt bleibt der Wachstumsmarkt, der, wie Sie wissen, ein großes Potential hat. Und Frankfurt behält auch den Terminhandel mit Finanztiteln EUREX, und das ist immerhin der weltweit größte Futures-Markt. Wir planen also eine Arbeitsteilung, die sich anbietet, die fair ist und die vorteilhaft ist für Investoren, Emittenten und Vermittler.
Überrascht zeigte sich die Londoner Finanzwelt dabei lediglich über die Ankündigung, die neue Börse iX werde gemeinsam mit der US-Technologiebörse Nasdaq eine Gesellschaft für Wachstumswerte mit Sitz in Frankfurt gründen. Dies sollte den britischen Tech-Markt und den Neuen Markt an der Frankfurter Börse zu einem gemeinsamen Handelsplatz zusammenschließen. Die Realisierung einer grandiosen Vision schien in greifbare Nähe gerückt – eine pan-europäische Börsengesellschaft mit einem Anteil von über 50 Prozent am europäischen Aktienmarkt, dazu in Verbindung mit Nasdaq ein globaler Wachstumsmarkt.
Die Pläne stießen in der Londoner City zunächst auf die Zustimmung der großen Investmentbanken und der institutionellen Anleger, die seit langem größere Börsenmärkte in Europa forderten, um die grenzüberschreitenden Handelskosten zu verringern, die etwa zehn Mal höher sind als in den USA. Und für die Londoner Börse, die älteste der Welt, schien das Projekt iX den Höhepunkt einer traditionsreichen Geschichte zu bilden.
Am 1. Mai dieses Jahres wurde die bisher vom London Stock Exchange vorgenommene Börsennotierung in Abstimmung mit der Labour-Regierung auf die neu geschaffene Finanz-Aufsichtsbehörde FSA übertragen. Damit war der Weg frei für die vorerst letzte Veränderung des London Stock Exchange, den eigenen Börsengang, dem die 298 Gesellschafter auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 15. März mehrheitlich zugestimmt hatten. Am 24. Juli wurde der Handel mit LSE-Aktien aufgenommen. Am heutigen Mittwoch wurden sie für knapp 30 Pfund gehandelt, was einem LSE-Wert von etwa 870 Millionen Pfund entspricht, umgerechnet also fast 2,8 Milliarden Mark.
Trotz der Zustimmung der LSE-Großaktionäre zum Projekt iX gab es von Anfang an auch Kritik an diesem Plan. Naserümpfend wurde in der Londoner City angemerkt, dass die Zukunft der beiden edelsten europäischen Aktienmärkte nun in der Hand der Outsider Werner Seifert und Don Cruikshank liege, die nicht in der Börsen- und Finanzwelt groß geworden sind, sondern beide ihre Lehr- und Wanderjahre unter anderem bei der Unternehmensberatung McKinsey verbrachten.
Insbesondere der LSE-Vorsitzende Don Cruikshank ist der City-Bruderschaft in London suspekt wegen seiner bunt schillernden beruflichen Laufbahn: Der 58-jährige Schotte begann seine Karriere in einem Aluminium-Konzern, wechselte dann zu McKinsey und wurde geschäftsführender Direktor der Times-Zeitungsgruppe und später des Verlagshauses Pearson Longman, bevor er 1984 für fünf Jahre das Ruder der Virgin-Gruppe des Hippy-Milliardärs Richard Branson übernahm, dessen Konzern er an die Börse führte. Anschließend leitete er den staatlichen Gesundheitsdienst in Schottland und die Telekommunikations-Regulierungsbehörde OFTEL. Als Vorsitzender der Londoner Börse wurde er im April dieses Jahres nominiert, nachdem er sich in der Londoner City bereits gründlich unbeliebt gemacht hatte. Auf Wunsch der Labour-Regierung hatte Cruikshank nämlich auch den Vorsitz einer Kommission übernommen, die das britische Bankenwesen kritisch durchleuchten sollte und zu dem Ergebnis kam, dass die britischen Banken ihren Kunden im Jahr fünf Milliarden Pfund zuviel abknöpften.
Bereits kurz nach der Bekanntgabe des Fusionsplans iX setzte in der Londoner City Kritik ein. Kleinere LSE-Gesellschafter und Makler befürchteten, dass iX London den Rang als weltgrößter Devisenmarkt kosten könnte, da der iX-Handel mit einer verbesserten Version des Frankfurter Xetra-Handelssystems abgewickelt werden sollte. Zugleich meldeten Experten umgehend Bedenken wegen der verschiedenen Regulierungssysteme in Großbritannien und Deutschland an, die verschiedene Aufsichtsformen für die einzelnen iX-Märkte zur Folge hätten.
Bei den LSE-Grossaktionären klingelten die Alarmglocken, als am 10. Juli bekanntgegeben wurde, dass die Fusion London – Frankfurt zunächst einmal Kosten in Höhe von 120 Millionen Euro, rund 240 Millionen Mark verursachen würde und Einsparungsergebnisse nicht vor Ende 2002 zu erwarten seien. Zugleich wurde den LSE-Aktionären ein sogenanntes "Informationsmemorandum" überreicht, in dem Cruikshank erneut die Vorteile der Fusion mit der Deutschen Börse auflistete, während die Finanzgruppe Guinness Peat und die Investmentbank USB Warburg ihre LSE-Anteile erhöhten und zugleich öffentlich Widerstand gegen die Fusion ankündigten.
Das Schicksal von iX aus Sicht der Londoner City war besiegelt, als in der vergangenen Woche der Financial Times auch noch eine interne Studie der Investmentbank Merrill Lynch zugespielt wurde, die die Londoner Börse nicht nur berät, sondern auch zu ihren größten Anteilseignern zählt.
Die geplante Fusion der Frankfurter und der Londoner Börse sei kaum praktikabel, heißt es in der von der Financial Times zitierten Merrill-Lynch-Studie, da die Integration beider Handelssysteme und deren Anpassung an die gesetzliche Börsenaufsicht beider Länder kurzfristig nicht erreicht werden könnten. Die geplante Superbörse müsse ferner mit, wie es heißt, "außergewöhnlich hohen Betriebskosten" rechnen. Der von zwei renommierten Anwaltskanzleien erstellte Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die vorgesehene Einrichtung mehrerer verschieden regulierter Märkte in Frankfurt und London zu kompliziert ist und die angestrebten niedrigen Handelskosten nicht bieten könne, falls nicht Einsparungen im Umfang von jährlich 170 Millionen Euro, rund 340 Millionen Mark, gelängen.
Letzter Akt auf der Londoner Bühne des iX-Dramas: Per Larsson, der Chef der schwedischen OM-Gruppe, der die Börse in Stockholm gehört, erscheint an diesem Montag in London und macht Ernst mit seiner schon seit längerem bekundeten Absicht, ein feindliches Übernahmeangebot für den London Stock Exchange zu präsentieren:
Per Larsson: Ich bin zuversichtlich, denn gerade in den vergangenen beiden Wochen haben wir für unsere Strategie und unsere Vision viel Unterstützung erhalten. Jetzt müssen wir mit den Kunden der Börse sprechen und ihnen zuhören.
Für den LSE-Chef Don Cruikshank ein vielleicht willkommener Anlass, nach der Verschiebung der Abstimmung unter den Aktionären der Deutschen Börse über den iX-Plan auf unbestimmte Zeit gestern mit einer knappen Pressemitteilung das Projekt auch in London formell zu beerdigen. Während der Handel mit London Stock Exchange–Aktien vorübergehend ausgesetzt wurde, begründete Cruikshank den Rückzug mit Terminproblemen, die angesichts des feindlichen Übernahmeversuchs durch die schwedische OM-Gruppe entstanden seien. Über das OM-Übernahmeangebot müssen die Anteilseigner der Londoner Börse nun innerhalb von 60 Tagen entscheiden. Wie Cruikshank weiter erläuterte, sind bei dem Versuch der grenzüberschreitenden Konsolidierung mit Frankfurt noch zu viele Probleme ungelöst, die nun angesichts des schwedischen Übernahmeangebots nicht mehr rechtzeitig bewältigt werden könnten, um noch das Vertrauen der Aktionäre gewinnen zu können.
Für morgen ist eine Hauptversammlung der LSE-Aktionäre einberufen worden, auf der eigentlich über die iX-Fusion abgestimmt werden sollte. Für den LSE-Vorsitzenden Cruikshank könnte es ein Gang nach Canossa werden, denn ihm wirft die Londoner City vor, viel zu überhastet in das Projekt iX hineingeschlittert zu sein. Angela Knight, die Geschäftsführerin des britischen Verbandes der Privatanleger, Investmentmanager und Börsenmakler fällt ein vernichtendes Urteil.
Angela Knight: Die Sache ist ziemlich schlecht gehandhabt worden. Die Anteilseigner der Börse sind zugleich auch deren Kunden, und sie blicken nicht nur auf den Preis für die einzelne Aktie, sondern wollen auch wissen, wie solche Operationen ablaufen und wie die Strategie für die Zukunft aussieht. Und da man ihnen weder die Informationen gab, um die sie legitimerweise gebeten hatten, noch ihre Fragen beantwortete, ist man mit diesem Projekt schon recht erbärmlich umgegangen.
Soweit Wolfgang Labuhn aus London. In Frankfurt wurde eine Entscheidung über die Fusion am Montag vertagt. Seit gestern wissen wir, dass dies der erste Schritt zum Ausstieg war. Was bedeutet dies nun für Frankfurt und welche Optionen hat die wichtigste deutsche Börse nun? Michael Braun aus Frankfurt:
Werner Seifert, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG, ein Schweizer, der bei der Unternehmensberatung McKinsey Karriere gemacht hat, kann sich schnell in neue Themen eindenken. Von Börse hatte er nicht viel Ahnung, als er vor sieben Jahren Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG wurde. Aber er hat sich schnell eingearbeitet, das etwas eingeschlafene Unternehmen auf Vordermann gebracht. Er drückte es durch, dass die Börse zunehmend eine elektronische Veranstaltung wurde. Dazu hatte ihn der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Börse AG, Rolf-Ernst Breuer von der Deutschen Bank, auch geholt. Denn elektronische Aufträge sind heutzutage gute Aufträge, weil sie zur weiteren Bearbeitung nicht mehr eingegeben werden müssen, es geht alles schneller, Banken müssen dann keine Börsenbüros mehr unterhalten. Das senkt die Kosten.
Die Aufgabe Seiferts war, kurz gesagt, eine große, einheitliche deutsche Börse zu schaffen. Das gelang mit dem IBIS-, dann mit dem Xetra-System. Dann wurde das Internet populär, damit erwuchs den klassischen Börsen eine außerbörsliche Konkurrenz. Außerdem kam der Euro, die Aktienmärkte ohne Währungsrisiken wurden größer. Da sollten die Börsen mitwachsen über die Grenzen hinaus. Seifert hat Erfolge, auch wenn er derzeit, nachdem die Fusion mit der Londoner Börse nun zum zweiten Mal gescheitert ist, glücklos erscheint. Seine Analyse, die ihn zu dem Fusionsplan mit London trieb, hat aber weiter Bestand. In der vorigen Woche formulierte er sie aus Sicht der Anleger, die auch im Ausland Aktien kaufen wollen, so:
Werner Seifert: Derzeit steht er vor der Alternative, dieser Anleger: schlechter Preis oder hohe Transaktionskosten. Wenn ein ausländischer Titel hier gelistet ist, findet meist nur wenig Handel statt, sind die Handelsspannen breit und die Preise häufig von den Marktpreisen weit entfernt. Die Preisspanne für die zehn liquidesten englischen Aktien liegen in London bei 0,11 Prozent, in Frankfurt bei 1,6 Prozent. In vielen Fällen bleibt angesichts dieser Erkenntnis nur der Weg an die ausländische Börse, an die Heimatbörse, bei dem aber dann sehr schnell hohe Handels- und Abwicklungsgebühren anfallen. Im Falle von englischen Aktien liegen sie 200 bis 400 Prozent über denen, die für eine nationale Order anfallen. Das beinhaltet bereits die Angebote der selbsternannten "Super Discount Broker.
Bei konservativen Annahmen können sich bereits durch den Zusammenschluß des englischen und des deutschen Marktes die Einstandskosten für die Aktionäre auf beiden Seiten um jährlich sechs Milliarden D-Mark verringern. Das sind 40 Mark für jeden Einwohner von Großbritannien und von Deutschland.
Nun kann man mäkeln, das lasse sich so auf die Milliarde nicht genau vorhersagen. Doch von dem Ziel, eine Europabörse zu schaffen, sind auch Seiferts Gegner überzeugt. Sie hatten den Mainzer Professor Uwe Schneider zu ihrem Gutachter und damit Sprecher gemacht:
Werner Seifert: Natürlich sind wir alle für eine europäische Handelsplattform, aber darum geht es hier gar nicht, sondern es geht um eine Handelsplattform der Börse London.
Nicht das Ziel stand also in Frankfurt zur Debatte, sondern die Methode. Seifert hatte sich als Partner für die deutsche Börse ganz bewusst die Londoner Börse ausgesucht. Mit einem Marktwert der dort gehandelten Aktien von 2,8 Billionen Euro ist sie die größte europäische Börse und – nach diesem Maßstab - bald doppelt so groß wie die Frankfurter Börse. London erfüllte also brillant die Voraussetzung, möglichst viele Aktien auf einem Marktplatz zusammenzuführen. Beide Börsen zusammen wären der mit Abstand größte Handelsplatz für Aktien in Europa gewesen. Aber London hat auch Schwächen: Der Terminmarkt dort ist ausgetrocknet, weil viel Geschäft an die deutsch-schweizerische Terminbörse Eurex in Frankfurt abgewandert ist. London hat nichts zu bieten, was dem Neuen Markt für Wachstumswerte in Frankfurt vergleichbar wäre. Und das Londoner Handelssystem Sets gilt als deutlich schwächer, unkomfortabler und rückständiger als das deutsche Xetra-System.
Diese Stärken hätte Frankfurt in die Fusion mit London eingebracht. Doch waren sich Frankfurter Banker dieser Stärken bewusst. Und nur um – so die hiesige Sicht – den nationalen Dünkel Londons zu befriedigen, nur um Antipathien gegen Deutschland nach dem BMW-Rover-Desaster und um die Angst auf der Insel vor dem schwachen Euro zu überdecken, nur um all diese Emotionen zu überwinden, war Frankfurt nicht bereit, den Handel mit Standardwerten nach London zu verlagern, den Sitz der fusionierten Börse ebenfalls nach London zu verlegen. Das alles war geplant und rief die Gegner auf den Plan. Frankfurt, so Professor Uwe Schneider, werde trotz seiner Stärken auf diese Weise zu einem Anhängsel eines Londoner Konzerns. Was ist geplant?
Werner Seifert: Geplant ist, die deutsche Börse AG durch die iX Frankfurt zu ersetzen. Deren Muttergesellschaft, die iX London, wird konzernleitende Holding. Bei wirtschaftlicher Betrachtung bedeutet dies nichts anderes, als dass die Frankfurter Wertpapierbörse oder besser gesagt ihre Trägergesellschaft zu einer Zweigstelle der iX London wird. Wer sich ein wenig in der Konzernwirklichkeit auskennt weis, dass Konzerngesellschaften, dass Tochtergesellschaften nur noch der verlängerte Arm der Muttergesellschaften sind.
Auch kam die Sorge auf, wenn der Handel mit den großen Aktien nach London abwandere, verkümmere der in Frankfurt verbleibende Rest, der Markt für mittelgroße und Nebenwerte. Weniger Handel, niedrigere Kurse, größere Gefahren, lässt sich kurz die Argumentationskette von Klaus Nieding, des Geschäftsführers Hessen der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zusammenfassen. Er sagte vor dem Scheitern der Fusion:
Klaus Nieding: Die Zukunft der M-Dax-Werte ist momentan noch unklar. Viele M-Dax-Emitenten wenden sich an mich und sagen, wir wissen überhaupt nicht wo die Reise hingehen soll. Jetzt gehen die Dax-30-Unternehmen sagen wir mal nach London. Dort finden sie einen liquiden Markt vor. Dort finden sie auch rege Nachfrage vor. Die M-Dax-Werte bleiben in Frankfurt nach dem Motto: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Das bedeutet für die Liquidität der M-Dax-Werte, dass dort eine ganze Menge an Liquidität möglicherweise abfließt und fehlt und dass dann diese Werte auch sehr leicht Opfer eines Hostall-take over aus den USA oder aus England werden können. Das sind Dinge, die man vielleicht auch noch nicht ganz richtig durchdacht hat, und hier kann man nur mit einem von Anfang an schlüssigen Konzept antreten. Alles andere gefährdet in der Tat den Finanzplatz, weil nämlich dann eben Emittenten sich zurückziehen, weil Emittenten sagen, dieser Platz ist für uns nicht mehr interessant und Aktionäre dann letztlich auch nicht mehr das Angebot vorfinden was sie brauchen.
Doch Seifert blieb bei seiner Sicht, für die Deutschen Börse gebe es im Grunde nur zwei Partner, London oder Paris.
Werner Seifert: Es macht keinen Sinn, wenn man sich hier in Merger-Prozesse mit 5, 6, 7 kleinen Börsen einläßt. Der Partner muß groß sein, liberal sein und effizient sein. Es gibt nur drei Kapitalmärkte in Europa, die diesen Kriterien genügen. Es ist Frankreich, es ist England und es ist Deutschland.
Was halten Fachleute von dieser Sichtweise, Wolfgang Gerke etwa, Professor für Bank- und Börsenwesen in Nürnberg:
Wolfgang Gerke: Leider ist es die falsche. Wir haben die Nestec, und ich bin mal gespannt, was die Nestec machen würde. Wenn ich heute die Nestec managen würde, das wäre der ideale Moment, um mich in Europa einzukaufen. Strategisch müßte man sich sehr stark prüfen, ob man nicht auch ein bißchen nach außen schaut, um stärker zu werden.
Ob er will oder nicht, diesen Weg muss Werner Seifert nun gehen. Er prüfe Handlungsalternativen, sagte er, nachdem die Londoner Börse die Fusion abgesagt hat. Es bleibt ihm, mit einem frischen Fünf-Jahres-Vorstandsvertrag ausgestattet, auch nichts anderes übrig. Auch wenn er sich mit dem Chef der Pariser Börse nicht versteht, auch wenn viel Porzellan zerschlagen ist, es gibt noch Hoffnung, macht Professor Wolfgang Gerke dem Management der Deutsche Börse AG Mut:
Wolfgang Gerke: Sie muß es als Chance nehmen, und es ist eine echte Chance. Sicherlich ist Zeit verstrichen, aber wir müssen jetzt sehen, dass wir auch im Wettbewerb mit den ECNs, also mit privaten Börsenanbietern, eine europäische Börsenplattform bekommen. Hier sehe ich die Chance, dass man versucht, die Technik zu verbinden. Dafür gibt es drei Wege: Der erste Weg wäre zu vernetzen. Es ist relativ schwer, Software zu vernetzen. Da kann man nicht einfach einen Schukostecker dazwischen stellen. Das zweite wäre, dass man hingeht und sagt, wir suchen das beste System, das könnte ja beispielsweise Xetra sein, bauen da was europäisch drauf aus. Das dritte wäre sogar, dass man hingeht und sagt, wir nehmen die grüne Wiese und bauen ein ganz neues System.
Die neue Börse iX sollte ihren Sitz in London haben, wie der – seinerzeit noch designierte - Chef der Londoner Börse, Don Cruikshank, stolz bekanntgab, der den Vorsitz des iX – Verwaltungsrates übernehmen sollte. Zugleich war er bemüht, Bedenken der Anteilseigner der Deutschen Börse AG über die künftige Aufgabenverteilung zu zerstreuen. Don Cruikshank am 3. Mai in London:
Don Cruikshank Frankfurt bleibt der Wachstumsmarkt, der, wie Sie wissen, ein großes Potential hat. Und Frankfurt behält auch den Terminhandel mit Finanztiteln EUREX, und das ist immerhin der weltweit größte Futures-Markt. Wir planen also eine Arbeitsteilung, die sich anbietet, die fair ist und die vorteilhaft ist für Investoren, Emittenten und Vermittler.
Überrascht zeigte sich die Londoner Finanzwelt dabei lediglich über die Ankündigung, die neue Börse iX werde gemeinsam mit der US-Technologiebörse Nasdaq eine Gesellschaft für Wachstumswerte mit Sitz in Frankfurt gründen. Dies sollte den britischen Tech-Markt und den Neuen Markt an der Frankfurter Börse zu einem gemeinsamen Handelsplatz zusammenschließen. Die Realisierung einer grandiosen Vision schien in greifbare Nähe gerückt – eine pan-europäische Börsengesellschaft mit einem Anteil von über 50 Prozent am europäischen Aktienmarkt, dazu in Verbindung mit Nasdaq ein globaler Wachstumsmarkt.
Die Pläne stießen in der Londoner City zunächst auf die Zustimmung der großen Investmentbanken und der institutionellen Anleger, die seit langem größere Börsenmärkte in Europa forderten, um die grenzüberschreitenden Handelskosten zu verringern, die etwa zehn Mal höher sind als in den USA. Und für die Londoner Börse, die älteste der Welt, schien das Projekt iX den Höhepunkt einer traditionsreichen Geschichte zu bilden.
Am 1. Mai dieses Jahres wurde die bisher vom London Stock Exchange vorgenommene Börsennotierung in Abstimmung mit der Labour-Regierung auf die neu geschaffene Finanz-Aufsichtsbehörde FSA übertragen. Damit war der Weg frei für die vorerst letzte Veränderung des London Stock Exchange, den eigenen Börsengang, dem die 298 Gesellschafter auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 15. März mehrheitlich zugestimmt hatten. Am 24. Juli wurde der Handel mit LSE-Aktien aufgenommen. Am heutigen Mittwoch wurden sie für knapp 30 Pfund gehandelt, was einem LSE-Wert von etwa 870 Millionen Pfund entspricht, umgerechnet also fast 2,8 Milliarden Mark.
Trotz der Zustimmung der LSE-Großaktionäre zum Projekt iX gab es von Anfang an auch Kritik an diesem Plan. Naserümpfend wurde in der Londoner City angemerkt, dass die Zukunft der beiden edelsten europäischen Aktienmärkte nun in der Hand der Outsider Werner Seifert und Don Cruikshank liege, die nicht in der Börsen- und Finanzwelt groß geworden sind, sondern beide ihre Lehr- und Wanderjahre unter anderem bei der Unternehmensberatung McKinsey verbrachten.
Insbesondere der LSE-Vorsitzende Don Cruikshank ist der City-Bruderschaft in London suspekt wegen seiner bunt schillernden beruflichen Laufbahn: Der 58-jährige Schotte begann seine Karriere in einem Aluminium-Konzern, wechselte dann zu McKinsey und wurde geschäftsführender Direktor der Times-Zeitungsgruppe und später des Verlagshauses Pearson Longman, bevor er 1984 für fünf Jahre das Ruder der Virgin-Gruppe des Hippy-Milliardärs Richard Branson übernahm, dessen Konzern er an die Börse führte. Anschließend leitete er den staatlichen Gesundheitsdienst in Schottland und die Telekommunikations-Regulierungsbehörde OFTEL. Als Vorsitzender der Londoner Börse wurde er im April dieses Jahres nominiert, nachdem er sich in der Londoner City bereits gründlich unbeliebt gemacht hatte. Auf Wunsch der Labour-Regierung hatte Cruikshank nämlich auch den Vorsitz einer Kommission übernommen, die das britische Bankenwesen kritisch durchleuchten sollte und zu dem Ergebnis kam, dass die britischen Banken ihren Kunden im Jahr fünf Milliarden Pfund zuviel abknöpften.
Bereits kurz nach der Bekanntgabe des Fusionsplans iX setzte in der Londoner City Kritik ein. Kleinere LSE-Gesellschafter und Makler befürchteten, dass iX London den Rang als weltgrößter Devisenmarkt kosten könnte, da der iX-Handel mit einer verbesserten Version des Frankfurter Xetra-Handelssystems abgewickelt werden sollte. Zugleich meldeten Experten umgehend Bedenken wegen der verschiedenen Regulierungssysteme in Großbritannien und Deutschland an, die verschiedene Aufsichtsformen für die einzelnen iX-Märkte zur Folge hätten.
Bei den LSE-Grossaktionären klingelten die Alarmglocken, als am 10. Juli bekanntgegeben wurde, dass die Fusion London – Frankfurt zunächst einmal Kosten in Höhe von 120 Millionen Euro, rund 240 Millionen Mark verursachen würde und Einsparungsergebnisse nicht vor Ende 2002 zu erwarten seien. Zugleich wurde den LSE-Aktionären ein sogenanntes "Informationsmemorandum" überreicht, in dem Cruikshank erneut die Vorteile der Fusion mit der Deutschen Börse auflistete, während die Finanzgruppe Guinness Peat und die Investmentbank USB Warburg ihre LSE-Anteile erhöhten und zugleich öffentlich Widerstand gegen die Fusion ankündigten.
Das Schicksal von iX aus Sicht der Londoner City war besiegelt, als in der vergangenen Woche der Financial Times auch noch eine interne Studie der Investmentbank Merrill Lynch zugespielt wurde, die die Londoner Börse nicht nur berät, sondern auch zu ihren größten Anteilseignern zählt.
Die geplante Fusion der Frankfurter und der Londoner Börse sei kaum praktikabel, heißt es in der von der Financial Times zitierten Merrill-Lynch-Studie, da die Integration beider Handelssysteme und deren Anpassung an die gesetzliche Börsenaufsicht beider Länder kurzfristig nicht erreicht werden könnten. Die geplante Superbörse müsse ferner mit, wie es heißt, "außergewöhnlich hohen Betriebskosten" rechnen. Der von zwei renommierten Anwaltskanzleien erstellte Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die vorgesehene Einrichtung mehrerer verschieden regulierter Märkte in Frankfurt und London zu kompliziert ist und die angestrebten niedrigen Handelskosten nicht bieten könne, falls nicht Einsparungen im Umfang von jährlich 170 Millionen Euro, rund 340 Millionen Mark, gelängen.
Letzter Akt auf der Londoner Bühne des iX-Dramas: Per Larsson, der Chef der schwedischen OM-Gruppe, der die Börse in Stockholm gehört, erscheint an diesem Montag in London und macht Ernst mit seiner schon seit längerem bekundeten Absicht, ein feindliches Übernahmeangebot für den London Stock Exchange zu präsentieren:
Per Larsson: Ich bin zuversichtlich, denn gerade in den vergangenen beiden Wochen haben wir für unsere Strategie und unsere Vision viel Unterstützung erhalten. Jetzt müssen wir mit den Kunden der Börse sprechen und ihnen zuhören.
Für den LSE-Chef Don Cruikshank ein vielleicht willkommener Anlass, nach der Verschiebung der Abstimmung unter den Aktionären der Deutschen Börse über den iX-Plan auf unbestimmte Zeit gestern mit einer knappen Pressemitteilung das Projekt auch in London formell zu beerdigen. Während der Handel mit London Stock Exchange–Aktien vorübergehend ausgesetzt wurde, begründete Cruikshank den Rückzug mit Terminproblemen, die angesichts des feindlichen Übernahmeversuchs durch die schwedische OM-Gruppe entstanden seien. Über das OM-Übernahmeangebot müssen die Anteilseigner der Londoner Börse nun innerhalb von 60 Tagen entscheiden. Wie Cruikshank weiter erläuterte, sind bei dem Versuch der grenzüberschreitenden Konsolidierung mit Frankfurt noch zu viele Probleme ungelöst, die nun angesichts des schwedischen Übernahmeangebots nicht mehr rechtzeitig bewältigt werden könnten, um noch das Vertrauen der Aktionäre gewinnen zu können.
Für morgen ist eine Hauptversammlung der LSE-Aktionäre einberufen worden, auf der eigentlich über die iX-Fusion abgestimmt werden sollte. Für den LSE-Vorsitzenden Cruikshank könnte es ein Gang nach Canossa werden, denn ihm wirft die Londoner City vor, viel zu überhastet in das Projekt iX hineingeschlittert zu sein. Angela Knight, die Geschäftsführerin des britischen Verbandes der Privatanleger, Investmentmanager und Börsenmakler fällt ein vernichtendes Urteil.
Angela Knight: Die Sache ist ziemlich schlecht gehandhabt worden. Die Anteilseigner der Börse sind zugleich auch deren Kunden, und sie blicken nicht nur auf den Preis für die einzelne Aktie, sondern wollen auch wissen, wie solche Operationen ablaufen und wie die Strategie für die Zukunft aussieht. Und da man ihnen weder die Informationen gab, um die sie legitimerweise gebeten hatten, noch ihre Fragen beantwortete, ist man mit diesem Projekt schon recht erbärmlich umgegangen.
Soweit Wolfgang Labuhn aus London. In Frankfurt wurde eine Entscheidung über die Fusion am Montag vertagt. Seit gestern wissen wir, dass dies der erste Schritt zum Ausstieg war. Was bedeutet dies nun für Frankfurt und welche Optionen hat die wichtigste deutsche Börse nun? Michael Braun aus Frankfurt:
Werner Seifert, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG, ein Schweizer, der bei der Unternehmensberatung McKinsey Karriere gemacht hat, kann sich schnell in neue Themen eindenken. Von Börse hatte er nicht viel Ahnung, als er vor sieben Jahren Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG wurde. Aber er hat sich schnell eingearbeitet, das etwas eingeschlafene Unternehmen auf Vordermann gebracht. Er drückte es durch, dass die Börse zunehmend eine elektronische Veranstaltung wurde. Dazu hatte ihn der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Börse AG, Rolf-Ernst Breuer von der Deutschen Bank, auch geholt. Denn elektronische Aufträge sind heutzutage gute Aufträge, weil sie zur weiteren Bearbeitung nicht mehr eingegeben werden müssen, es geht alles schneller, Banken müssen dann keine Börsenbüros mehr unterhalten. Das senkt die Kosten.
Die Aufgabe Seiferts war, kurz gesagt, eine große, einheitliche deutsche Börse zu schaffen. Das gelang mit dem IBIS-, dann mit dem Xetra-System. Dann wurde das Internet populär, damit erwuchs den klassischen Börsen eine außerbörsliche Konkurrenz. Außerdem kam der Euro, die Aktienmärkte ohne Währungsrisiken wurden größer. Da sollten die Börsen mitwachsen über die Grenzen hinaus. Seifert hat Erfolge, auch wenn er derzeit, nachdem die Fusion mit der Londoner Börse nun zum zweiten Mal gescheitert ist, glücklos erscheint. Seine Analyse, die ihn zu dem Fusionsplan mit London trieb, hat aber weiter Bestand. In der vorigen Woche formulierte er sie aus Sicht der Anleger, die auch im Ausland Aktien kaufen wollen, so:
Werner Seifert: Derzeit steht er vor der Alternative, dieser Anleger: schlechter Preis oder hohe Transaktionskosten. Wenn ein ausländischer Titel hier gelistet ist, findet meist nur wenig Handel statt, sind die Handelsspannen breit und die Preise häufig von den Marktpreisen weit entfernt. Die Preisspanne für die zehn liquidesten englischen Aktien liegen in London bei 0,11 Prozent, in Frankfurt bei 1,6 Prozent. In vielen Fällen bleibt angesichts dieser Erkenntnis nur der Weg an die ausländische Börse, an die Heimatbörse, bei dem aber dann sehr schnell hohe Handels- und Abwicklungsgebühren anfallen. Im Falle von englischen Aktien liegen sie 200 bis 400 Prozent über denen, die für eine nationale Order anfallen. Das beinhaltet bereits die Angebote der selbsternannten "Super Discount Broker.
Bei konservativen Annahmen können sich bereits durch den Zusammenschluß des englischen und des deutschen Marktes die Einstandskosten für die Aktionäre auf beiden Seiten um jährlich sechs Milliarden D-Mark verringern. Das sind 40 Mark für jeden Einwohner von Großbritannien und von Deutschland.
Nun kann man mäkeln, das lasse sich so auf die Milliarde nicht genau vorhersagen. Doch von dem Ziel, eine Europabörse zu schaffen, sind auch Seiferts Gegner überzeugt. Sie hatten den Mainzer Professor Uwe Schneider zu ihrem Gutachter und damit Sprecher gemacht:
Werner Seifert: Natürlich sind wir alle für eine europäische Handelsplattform, aber darum geht es hier gar nicht, sondern es geht um eine Handelsplattform der Börse London.
Nicht das Ziel stand also in Frankfurt zur Debatte, sondern die Methode. Seifert hatte sich als Partner für die deutsche Börse ganz bewusst die Londoner Börse ausgesucht. Mit einem Marktwert der dort gehandelten Aktien von 2,8 Billionen Euro ist sie die größte europäische Börse und – nach diesem Maßstab - bald doppelt so groß wie die Frankfurter Börse. London erfüllte also brillant die Voraussetzung, möglichst viele Aktien auf einem Marktplatz zusammenzuführen. Beide Börsen zusammen wären der mit Abstand größte Handelsplatz für Aktien in Europa gewesen. Aber London hat auch Schwächen: Der Terminmarkt dort ist ausgetrocknet, weil viel Geschäft an die deutsch-schweizerische Terminbörse Eurex in Frankfurt abgewandert ist. London hat nichts zu bieten, was dem Neuen Markt für Wachstumswerte in Frankfurt vergleichbar wäre. Und das Londoner Handelssystem Sets gilt als deutlich schwächer, unkomfortabler und rückständiger als das deutsche Xetra-System.
Diese Stärken hätte Frankfurt in die Fusion mit London eingebracht. Doch waren sich Frankfurter Banker dieser Stärken bewusst. Und nur um – so die hiesige Sicht – den nationalen Dünkel Londons zu befriedigen, nur um Antipathien gegen Deutschland nach dem BMW-Rover-Desaster und um die Angst auf der Insel vor dem schwachen Euro zu überdecken, nur um all diese Emotionen zu überwinden, war Frankfurt nicht bereit, den Handel mit Standardwerten nach London zu verlagern, den Sitz der fusionierten Börse ebenfalls nach London zu verlegen. Das alles war geplant und rief die Gegner auf den Plan. Frankfurt, so Professor Uwe Schneider, werde trotz seiner Stärken auf diese Weise zu einem Anhängsel eines Londoner Konzerns. Was ist geplant?
Werner Seifert: Geplant ist, die deutsche Börse AG durch die iX Frankfurt zu ersetzen. Deren Muttergesellschaft, die iX London, wird konzernleitende Holding. Bei wirtschaftlicher Betrachtung bedeutet dies nichts anderes, als dass die Frankfurter Wertpapierbörse oder besser gesagt ihre Trägergesellschaft zu einer Zweigstelle der iX London wird. Wer sich ein wenig in der Konzernwirklichkeit auskennt weis, dass Konzerngesellschaften, dass Tochtergesellschaften nur noch der verlängerte Arm der Muttergesellschaften sind.
Auch kam die Sorge auf, wenn der Handel mit den großen Aktien nach London abwandere, verkümmere der in Frankfurt verbleibende Rest, der Markt für mittelgroße und Nebenwerte. Weniger Handel, niedrigere Kurse, größere Gefahren, lässt sich kurz die Argumentationskette von Klaus Nieding, des Geschäftsführers Hessen der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zusammenfassen. Er sagte vor dem Scheitern der Fusion:
Klaus Nieding: Die Zukunft der M-Dax-Werte ist momentan noch unklar. Viele M-Dax-Emitenten wenden sich an mich und sagen, wir wissen überhaupt nicht wo die Reise hingehen soll. Jetzt gehen die Dax-30-Unternehmen sagen wir mal nach London. Dort finden sie einen liquiden Markt vor. Dort finden sie auch rege Nachfrage vor. Die M-Dax-Werte bleiben in Frankfurt nach dem Motto: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Das bedeutet für die Liquidität der M-Dax-Werte, dass dort eine ganze Menge an Liquidität möglicherweise abfließt und fehlt und dass dann diese Werte auch sehr leicht Opfer eines Hostall-take over aus den USA oder aus England werden können. Das sind Dinge, die man vielleicht auch noch nicht ganz richtig durchdacht hat, und hier kann man nur mit einem von Anfang an schlüssigen Konzept antreten. Alles andere gefährdet in der Tat den Finanzplatz, weil nämlich dann eben Emittenten sich zurückziehen, weil Emittenten sagen, dieser Platz ist für uns nicht mehr interessant und Aktionäre dann letztlich auch nicht mehr das Angebot vorfinden was sie brauchen.
Doch Seifert blieb bei seiner Sicht, für die Deutschen Börse gebe es im Grunde nur zwei Partner, London oder Paris.
Werner Seifert: Es macht keinen Sinn, wenn man sich hier in Merger-Prozesse mit 5, 6, 7 kleinen Börsen einläßt. Der Partner muß groß sein, liberal sein und effizient sein. Es gibt nur drei Kapitalmärkte in Europa, die diesen Kriterien genügen. Es ist Frankreich, es ist England und es ist Deutschland.
Was halten Fachleute von dieser Sichtweise, Wolfgang Gerke etwa, Professor für Bank- und Börsenwesen in Nürnberg:
Wolfgang Gerke: Leider ist es die falsche. Wir haben die Nestec, und ich bin mal gespannt, was die Nestec machen würde. Wenn ich heute die Nestec managen würde, das wäre der ideale Moment, um mich in Europa einzukaufen. Strategisch müßte man sich sehr stark prüfen, ob man nicht auch ein bißchen nach außen schaut, um stärker zu werden.
Ob er will oder nicht, diesen Weg muss Werner Seifert nun gehen. Er prüfe Handlungsalternativen, sagte er, nachdem die Londoner Börse die Fusion abgesagt hat. Es bleibt ihm, mit einem frischen Fünf-Jahres-Vorstandsvertrag ausgestattet, auch nichts anderes übrig. Auch wenn er sich mit dem Chef der Pariser Börse nicht versteht, auch wenn viel Porzellan zerschlagen ist, es gibt noch Hoffnung, macht Professor Wolfgang Gerke dem Management der Deutsche Börse AG Mut:
Wolfgang Gerke: Sie muß es als Chance nehmen, und es ist eine echte Chance. Sicherlich ist Zeit verstrichen, aber wir müssen jetzt sehen, dass wir auch im Wettbewerb mit den ECNs, also mit privaten Börsenanbietern, eine europäische Börsenplattform bekommen. Hier sehe ich die Chance, dass man versucht, die Technik zu verbinden. Dafür gibt es drei Wege: Der erste Weg wäre zu vernetzen. Es ist relativ schwer, Software zu vernetzen. Da kann man nicht einfach einen Schukostecker dazwischen stellen. Das zweite wäre, dass man hingeht und sagt, wir suchen das beste System, das könnte ja beispielsweise Xetra sein, bauen da was europäisch drauf aus. Das dritte wäre sogar, dass man hingeht und sagt, wir nehmen die grüne Wiese und bauen ein ganz neues System.