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"Das sollte man dem Unternehmer und der Gewerkschaft überlassen"

Sybille Hain, Friseur-Landesinnungsmeisterin Thüringen, ist der Überzeugung, dass die Einführung von Mindestlöhnen in ihrer Branche für viele Menschen den Jobverlust bedeuten würde. Wichtiger sei es, die bereits bestehenden Tarifverträge genauer zu kontrollieren, da diese nicht immer eingehalten würden. Die Situation stelle sich aber auch deshalb schwierig dar, weil rund 30 Prozent der Friseurleistungen in Schwarzarbeit erbracht würden.

29.03.2007
    Dirk Müller: Sollen Mindestlöhne gesetzlich festgelegt werden? Sollen Mindestlöhne oder auch Niedriglöhne tariflich festgelegt werden also zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Oder soll es nach wie vor Billiglöhne geben, im Ermessen des Unternehmers stehen. Die Koalition hat viele, viele Stunden darüber beraten und wieder einmal ohne Ergebnis. Am Telefon ist Sybille Hain, Friseur-Landesinnungsmeisterin Thüringen, zu Mindestlohn. Frau Hain, gibt es so etwas wie unzumutbare Niedriglöhne?

    Sybille Hain: Unzumutbare Niedriglöhne, wo fängt das an? Also in Thüringen gibt es einen leistungsabhängigen Tariflohn. Natürlich ist der Sockelbetrag nicht besonders hoch, aber die Mitarbeiterin hat die Möglichkeit, mit Umsatz mehr Leistung zu erwirtschaften, so dass die Diskussion immer 3,18, 3,82, je nach Lohngruppe, vollkommen hirnrissig ist. Und dieser Tarifvertrag ist seit Anfang der 90er Jahre allgemeinverbindlich, also für alle Gesetz. Und es gibt Mitarbeiter in Thüringen, die wesentlich mehr verdienen als die momentan in der Diskussion stehenden 7,50 Euro. Natürlich gibt es viele, die es nicht verdienen, das sind Berufsanfänger, Berufseinsteiger, und diese jungen Leute hätten bei einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn keine Chance mehr.

    Müller: Um da noch mal nachzufragen: Sie haben gesagt, das ist hirnrissig. Es geistern ja viele unterschiedliche Zahlen auch durch die Medien in den vergangenen Wochen vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion. Es gibt also Mitarbeiter im Friseurgewerbe in Thüringen, die weniger als 4 Euro verdienen?

    Hain: Ja natürlich, das gibt es ganz bestimmt.

    Müller: Auch Mitarbeiter, die nicht in der Ausbildung sind?

    Hain: Die nicht in der Ausbildung sind, ja, das gibt es. Also in niedrigpreisigen Salons kommt man natürlich nicht so auf Umsatz wie in höherpreisigen Salons. Das ist eigentlich eine ganz klare Geschichte.

    Müller: Wissen Sie, Frau Hain, ob diese Mitarbeiter davon leben können?

    Hain: Ich denke, das ist schwierig, davon leben zu können. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass immer zu diesem Lohn noch das Trinkgeld dazu kommt, was es nicht in allen Branchen gibt.

    Müller: Können Sie uns da weiterhelfen, mit Blick auf die Woche oder auf den Monat rechnen, was da so zusammenkommt?

    Hain: Also bei einer guten Friseurin kommen mit Sicherheit 400 bis 500 Euro zusammen. Bei einer nicht so guten wird es natürlich sich nur auf 150 bis 200 belaufen. Es ist ja eigentlich eine ganz normale Geschichte. Warum gibt es Mitarbeiter mit hohen Umsätzen, mit hohem Lohn und warum gibt es welche mit niedrigem? Es gibt immer sehr gute engagierte junge Leute, die eine hohe qualitative Arbeit bringen, und es gibt immer welche, die nicht so gut arbeiten, und ich denke, dass dieses Leistungsprinzip eigentlich das ehrlichste und fairste ist.

    Müller: Das heißt, Sie sagen ganz klar aus Ihrer Erfahrung, Frau Hain, Sie haben ja selbst auch einen Friseursalon, also die schlecht arbeiten, verdienen auch wenig?

    Hain: Die verdienen auch wenig, ja. Wobei das bei mir nicht passiert, dass jemand gar keine Mehrleistung hat. Also die haben alle Mehrleistung, kommen alle über ihr Soll und somit haben sie 30 Prozent von der Mehrleistung.

    Müller: Weil Sie besonders motivieren oder weil Sie besonders hohe Anforderungen stellen?

    Hain: Die Anforderungen sind hoch. Demzufolge sind auch die Preise im Salon höher, als der Durchschnitt ist, und damit hat eine Mitarbeiterin natürlich schneller 100 Euro Umsatz als in einem niedrigpreisigen Salon. Aber die Anforderungen sind auch höher.

    Müller: Wenn wir über dieses Niedriglohnniveau dann noch einmal sprechen, Sie haben gesagt, es ist durchaus schwierig, natürlich, für die Betroffenen, davon zu leben. Bekommen die denn alle, also diese Gruppe, bekommen die alle nur so wenig Geld, weil der Unternehmer sich nicht mehr leisten kann?

    Hain: Genau so ist es. Ich meine, wer muss es bezahlen? Der Kunde. Und ich gehe jetzt mal von unserer Region aus: In dem Moment, wo eine festgeschriebene Stundenlohnsumme 7,50 Euro steht, muss jeder Unternehmer in Thüringen seine Preise erhöhen, und das würde zum Rückgang von Frequenzen führen. Wir haben schon einen Riesenbereich Schwarzarbeit, weil auch die Politik in der Vergangenheit Fehler gemacht hat und über Bedarf ausgebildet hat, also nicht in den Betrieben und Unternehmen, sondern in privaten Bildungsträgern wurden ganz viele Friseure ausgebildet und werden immer noch, weil man oft nicht weiß, wohin mit den jungen Mädchen. Es sind ja überwiegend Mädchen, wir sprechen hier von jungen Frauen, das sind über 90 Prozent der Mitarbeiter. Und damit haben wir natürlich mindestens ein Drittel der Friseurdienstleistung, die in Schwarzarbeit erbracht werden, und da passiert ja auch nichts.

    Müller: Demnach, Frau Hain, brauchen Sie gar keinen Nachwuchs?

    Hain: Wir brauchen guten Nachwuchs immer, da ja die Frauen immer noch die Kinder bekommen und deshalb dann nie mehr als junge Frauen, junge Muttis als Vollbeschäftigte ins Unternehmen zurückkommen. So halbieren sich dann die Arbeitskräfte sehr häufig, also ich kenne das aus meiner persönlichen Erfahrung. Und es wird ja immer geredet, auch jungen Frauen mit Kindern Chancen zu geben, und das wäre genau diese Klientel, was dann bei einer Mindestlohnregelung sehr betroffen wären.

    Müller: Also wenn die Koalition jetzt entscheiden gesetzlich würde, dass Mindestlöhne festgeschrieben werden, vielleicht etwas differenziert nach den verschiedenen Branchen, nehmen wir mal eine Größenordnung, die ja auch derzeit diskutiert wird, 5 oder 6 Euro, Sie haben eben gesagt, 7,50 Euro, wenn man bei dem Friseurgewerbe etwas tiefer ansetzen würde, würde das bedeuten, viele verlieren ihren Job?

    Hain: Genau so wird es werden. Das ist einfach, das geht nicht, weil ich denke da an diese Salons im ländlichen Gebiet, wenn die also das zahlen sollen, 6 Euro, dann gehen die Stunden runter, die werden ihre Mitarbeiter auf weniger Stunden setzen, und damit kann der Mitarbeiter erst recht nicht leben. Es ist also sehr diffizil, die ganze Geschichte. Uns hätte es schon genützt, gerade in Thüringen, wenn mehr kontrolliert worden wäre, ob dieser bisher gültige Tarifvertrag überhaupt eingehalten worden ist. Das hätte uns schon genützt, weil ich viele Fälle kenne, wo keine Mehrleistung gezahlt wurde.

    Müller: Könnten Sie denn, Frau Hain, damit leben, wenn die Tarifparteien auch in Zukunft sich eben auf einen bestimmten Satz einigen und die Politik sich auf Grund dessen raus hält?

    Hain: Natürlich, ich denke, genau das sollte man dem Unternehmer und der Gewerkschaft als Partner überlassen, und die Politik sollte sich aus diesen Dingen raushalten, weil wirklich viel Porzellan zerschlagen wird und ich der Meinung bin, dass man wirklich die Basis verloren hat.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.