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Das Spiel mit den Medien
Böhmermann greift Kanzlerin Merkel frontal an

Erstmals seit der Schmähgedicht-Affäre um den türkischen Staatspräsident Erdogan hat sich Jan Böhmermann in einem Interview geäußert. Zuletzt hatte sich der Satiriker aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

    Der Moderator Jan Böhmermann
    Der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann hat sich erstmals zu den Entwicklungen nach seinem "Schmähgedicht" geäußert. (imago)
    Pünktlich zum Internationalen Tag der Pressefreiheit meldet sich ZDF-Moderator Böhmermann zu Wort und stellt seine Sichtweise zur Schmähgedicht-Affäre dar. In einem Interview mit der Zeitung "Die Zeit" drückt er seine tiefe Enttäuschung über die Reaktion der Bundesregierung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Gedicht als "bewusst verletztend" bezeichnet - nannte diese Einschätzung aber später einen Fehler. Böhmermann schreibt dazu: "Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht." Er spricht von einer Äußerung, durch die sich Merkel "blamiert" habe und die für ihn und seine Familie "dramatische und ganz reale Konsequenzen" gehabt habe. Anstatt ihn zu verteidigen "hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht.
    Böhmermann stellt sich - in seinem üblichen ironischen Tonfall - auf eine Stufe mit dem chinesischen Regimekritiker, der von der Führung in Peking verschleppt, bedroht und wegen angeblicher Steuervergehen verdächtigt wurde.
    Der "deutsche Ai Weiei" - Kritik oder Satire
    Böhmermann weiß, dass es er mit solch starken Worten die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Er nennt auch seine Motive für das umstrittene Gedicht. Er habe versucht, seinen Zuschauern "anhand einer knapp vierminütigen satirischen Nummer zu erklären, was eine freiheitliche und offene Demokratie von einer autoritären, repressiven De-facto-Autokratie unterscheidet, die sich nicht um Kunst- und Meinungsfreiheit schert." Böhmermann sieht sich zu Unrecht in der Kritik, sogar missverstanden. "Jeder, der dieses Gedicht aus dem Zusammenhang nimmt und losgelöst von der ganzen Nummer vorträgt, hat nicht alle Latten am Zaun", schreibt er in dem Interview. Man müsse den Kontext sehen, in den es eingebettet gewesen sei - eine ausführliche Erklärung zur Abgrenzung von Satire und Schmähkritik - also das, was eben in Deutschland nicht erlaubt ist.
    Dass er mit seinem Gedicht das Abkommen zwischen der EU und der Türkei bedroht habe, sieht Böhmermann nicht. Vielmehr habe das Verhalten der Bundesregierung gezeigt, wie sehr sie durch das Abkommen in Bedrängnis gebracht worden sei. "Meine Arbeit hat das nur sichtbar gemacht. Dass die Bundesregierung, statt eine langfristige, menschenwürdige Lösung für die Flüchtlingskrise zu finden, lieber einen fragwürdigen Pakt mit dem türkischen Unrechtsregime eingeht, ist absolut nicht das Problem eines Satirebeitrags", so Böhmermann.
    Die Debatte über Böhmermann, die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Rolle der Bundesregierung und ihre Haltung zur Türkei ist wieder voll entbrannt. Hunderte Kommentare finden sich auf Zeit-Online, ganz zu schweigen von den Beiträgen auf Twitter und Facebook.

    Bundeskanzlerin Merkel hatte ein Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zugelassen.
    Ankara hatte ein Strafverfahren nach Paragraf 103 gegen Böhmermann gefordert, weil dieser in einem Schmähgedicht Erdogan beleidigt habe.
    Bundeskanzlerin Merkel ist der Auffassung, dass Paragraf 103 als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Er soll spätestens 2018 abgeschafft werden.
    Später machte Merkel einen Rückzieher. Ihr Satz, das Gedicht vor der Entscheidung als "bewusst verletzend" zu bezeichnen, sei"im Rückblick betrachtet ein Fehler" gewesen.

    Nicht alle Beobachter goutieren den neuen Vorstoß in der Causa Böhmermann. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier schlägt vor, Böhmermann sollte sich besser nicht öffentlich äußern.
    Auch von Seiten der Leser von Zeit-Online gibt es kritische Worte. Der User Lup01977 meint: "Also ehrlich, solche inhaltsleeren Teaser auf die Printausgabe auf TOP Position von ZON zu setzen ist ja nicht gerade toll." Und der Nutzer rws bemerkt: "Zwischen J.B. und Ai WeiWei liegen intellektuell Lichtjahre. Da überschätzt er sich."
    Böhmermann stand zuletzt unter Polizeischutz. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Mainz liegen hunderte Strafanzeigen gegen den ZDF-Moderator vor. Böhmermann will am 12. Mai wieder eine neue Folge der Sendung "Neo Magazin Royale" ausstrahlen. Er selbst hält sich aus der Debatte raus. Unmittelbar nach der Veröffentlichung kommt vom ZDF-Moderator vor allem eins: Klamauk.
    (pr/rei/adi)