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Das Urleben in blauen Löchern

Die ersten Bakterien haben ihre Lebensenergie nicht durch Fotosynthese gewonnen, sondern durch chemische Reduktion etwa von Schwefelverbindungen. Solche Organismen sind heute noch in der Tiefsee in der Nähe vulkanischer Quellen zu finden. Expeditionen dorthin sind eine technische und finanzielle Herausforderung. Doch es könnte viel einfacher gehen: US-Meeresforscher haben jüngst in gefluteten Karsthöhlen auf den Bahamainseln ganz ähnliche Lebensformen gefunden.

Von Lucian Haas |
    Wer mit einem Flugzeug über die Bahamainseln in der Karibik fliegt, kann aus der Luft Hunderte kleiner Seen und Tümpel mit tief-blauem Wasser entdecken. Es sind Zugänge zu einem ausgedehnten, wassergefüllten Höhlensystem. Kilometerweit durchzieht es den kalkigen Untergrund der Inseln und steht auch mit dem Meer in Verbindung. Allerdings sind die meisten der Höhlen bisher kaum erforscht und bergen noch viele Geheimnisse.

    "Die Höhlen auf den Bahamas sind besonders artenreich. Ich habe Unterwasserhöhlen in der Karibik, im Mittelmeer, im Pazifik erkundet. Aber in den Bahamas-Höhlen gibt es mehr unterschiedliche Lebensformen als irgendwo sonst auf der Erde."

    Tom Iliffe ist Meeresforscher an der Universität von Texas. Seit Jahren studiert er die Ökologie von Unterwasserhöhlen. Mehr als 2000 Höhlen weltweit hat er schon tauchend erkundet. Jüngst startete er eine Expedition zu den Blue Holes auf den Bahamas. Schon bei den ersten Tauchgängen war er überrascht, auf welche Vielfalt an bakteriellen Lebensformen er dort stieß.

    "Wir haben Bakterienmatten an den Wänden gefunden. Wir tauchten durch Wasserschichten mit Schwefelwasserstoff, in der unzählige Bakterien lebten. Und das waren keine einheitlichen Gruppen. Da gibt es eine Vielfalt an Bakterienformen, die unter diesen Bedingungen vorkommen."

    Nur wenige Meter tief dringt das Sonnenlicht in das Wasser am Höhleneingang. Darunter ist es finster. Doch auch in den Zonen völliger Dunkelheit fand Tom Iliffe noch dichte Bakterienkolonien.

    "Normalerweise fressen Organismen an der Oberfläche der Erde entweder Pflanzen oder andere Organismen, die Pflanzen fressen. Somit basiert an der Erdoberfläche alles Leben auf der Fotosynthese. Aber in den Höhlen gibt es kein Licht und deshalb auch keine Fotosynthese. Die Bakterien betreiben Chemosynthese, um organische Masse zu bilden. So bilden sie die Basis des Nahrungsnetzes in den Höhlen."

    Die größte Bakteriendichte beobachtete Tom Iliffe in der sogenannten Halokline. Dies ist die Übergangszone zwischen den leichteren, vom Regen gespeisten Süßwasserschichten am Höhleneingang und schwererem Salzwasser in der Tiefe. In der Halokline fand er erhöhte Konzentrationen von Sulfat, und dazu passend auch Bakterien, die durch Reduktion von Schwefelsäure zu Schwefelwasserstoff Energie gewinnen. Darunter waren bisher völlig unbekannte Arten.

    "Die meisten der Bakterien stammen aus dem Meer. Aber es gab auch einige, die möglicherweise einzigartig sind und nur in diesen Höhlen vorkommen. Das ist ja ein sehr spezieller Lebensraum: Er ist völlig dunkel, und im Wasser ist nur sehr wenig Sauerstoff gelöst. Das sind Bedingungen, wie sie möglicherweise in der Frühzeit der Erdgeschichte herrschten, bevor sich die Fotosynthese entwickelte."

    Ähnliche Umweltbedingungen gibt es heute noch in der Tiefsee im Umfeld hydrothermaler Quellen. Dort dringt heißes Schwefelwasser aus Spalten im Meeresboden hervor und liefert die chemische Nahrung für Bakterien. Deren Leben unter den extremen Bedingungen der Tiefsee zu studieren ist freilich ein aufwendiges und teures Unterfangen.

    "Die Höhlen sind ja viel leichter zugänglich. Es kostet nicht viel, zum Tauchen auf die Bahamas zu fahren und die Höhlen zu erforschen. Wir erhoffen uns eine Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse darüber, wie chemoautotrophe Organismen existieren."

    Für Tom Illife sind die Blue Holes auf den Bahamainseln perfekte natürliche Laboratorien. Er hofft nun, bei weiteren Expeditionen dorthin möglichst ursprüngliche Formen des irdischen Lebens entdecken und erforschen zu können.