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Das zerrissene Land

Heiko Flottau hat als langjähriger Korrespondent der Süddeutschen Zeitung immer wieder die getrennten Welten besucht. Daraus ist nun ein äußerst mutiges Buch über den äußerst komplizierten Nahost-Konflikt entstanden. Flottaus Resümee: Eine Zweistaatenlösung ist nicht mehr denkbar.

Von Rupert Neudeck |
    Das Buch ist eine kundige Einführung in die komplexeste Konfliktlage, die es auf der Welt in unserer Lebenszeit gibt. Das Buch hat seine Brisanz in den Reportagen und Artikeln israelischer Autoren, die Heiko Flottau seinem Buch ungekürzt beifügt. Zusätzlich kann der Autor auf eine über 20-jährige Präsenz als Korrespondent in der Region zurückschauen, was dem Werk einen zeitgeschichtlichen Tiefgang verleiht. Ein Nachwort widmet sich aktuell dem jüngsten Gazakrieg vom Dezember 2008 bis Januar 2009.

    Das Buch ist dadurch mehr geworden als nur ein aktueller Blick vor dem Libanon-Krieg und vor dem Gazakrieg auf das zweigeteilte Palästina. Der Titel "Die eiserne Mauer" erinnert den Leser an die Mauer in Berlin, die wir ja den "Eisernen Vorhang" nannten. Da belehrt uns aber der Autor des Buches in einem ganzen Kapitel, dass die Vorstellung eines durch Militär und Mauern abgeschotteten rein jüdischen Staates schon die Vorstellung von osteuropäischen Juden direkt nach dem Ersten Weltkrieg war.

    Der Titel des Buches ist ein Zitat des 1880 in Odessa geborenen Juden Wladimir Jabotinskiy. Jabotinsky forderte schon 1924, dass man einen rein jüdischen Staat bauen müsste und dass es zu diesem Zweck eine "eiserne Mauer" geben müsste:

    Kompromissler in unseren eigenen Reihen versichern uns, dass der Araber eine Art Narr ist, welcher ausgetrickst werden kann, oder ein Stamm von Geldgierigen, welcher sein Geburtsrecht auf Palästina für einige kulturelle und finanzielle Gewinne aufgeben wird. Ich lehne diese Einschätzung der palästinensischen Araber glatt ab. Kulturell sind sie 500 Jahre hinter uns. Spirituell haben sie nicht unsere Ausdauer oder unsere Stärke. Sie schauen auf Palästina mit demselben wahrhaften Rufer, mit dem jeder Azteke auf sein Mexiko und jeder Sioux auf seine Prärie blickte.

    Die neueste Aktualität, die Hereinnahme der rassistischen Partei "Das Haus Israel" des Avigdor Liebermann in die neue Regierung von Benjamin Netanjahu ratifiziert nur die Erkenntnis, die das Buch ungeschminkt vertritt: Die Zweistaaten-Lösung ist kaum mehr möglich, dafür ist das Gebiet, das dafür vorgesehen war, durch viele Siedlungen und über 250.000 Siedler so zerhackt und durchsetzt, dass man sich die Aufgabe dieser Siedlungen zugunsten eines zweiten Palästinenserstaates kaum vorstellen kann. Oder nur um den Preis eines innerisraelischen Bürgerkrieges.

    Heiko Flottau gibt zu, dass er 1996 eine vage Hoffnung hatte, als ihn die Süddeutsche Zeitung zum zweiten Mal als Korrespondenten für den Nahen Osten nach Kairo schickte: Er werde eines Tages über die Gründung eines kleinen palästinensischen Staates berichten können. Die Verträge von Oslo 1993, die unter Vermittlung Norwegens zustande kamen, hatten eine große Hoffnung auf Lösung des jahrzehntelangen Unfriedens mit sich gebracht. 1996 gab es sogar schon Verhandlungen über den Endstatus. Heute kann man sich daran nur noch enttäuscht zurückerinnern. Israel hat die Kolonisierung der Westbank auch in den letzten Monaten noch einmal intensiviert.

    Es sind informative einzelne Kapitel, die sich abrunden zu einem umfassenden Blick auf die Szene. Es sind Einführungen in die Geschichte des Zionismus, dann eine Reportage über die jüdischen Siedler innerhalb Palästinas. Das Buch handelt von dem Mauerbau und führt den Beitrag eines deutsch-palästinensischen Arztes aus Berlin an, der nach Oslo in seine Heimatstadt Qalqiliya gezogen war und es dort nach dem Mauerbau nicht ausgehalten hat.

    Das Buch schließt mit Hinweisen auf Bücher von zwei zeitgenössischen Israelis, die die Trümmer einer Hoffnung bewahren. Und Heiko Flottau unterhält sich mit zwei jüdischen Autoren, die alles anders machen würden, aber leider nicht die Mehrheit repräsentieren. Der eine ist Historiker, der andere war jahrelang anerkannter Sprecher der Knesset, des israelischen Parlaments: Shlomo Sand und Avraham Burg.

    Die Palästinenser auf der anderen Seite - so macht Flottau ganz klar - haben bisher keine vernünftige politische Führung gehabt. Selbstmordattentäter wie Raketen auf das Gebiet von Israel waren Versuche, die bei den Juden auf das Trauma der Vernichtungsängste trafen. Die Hamas war und ist verantwortlich für eine Form des Widerstandes gegen die israelische Politik, die weltweit auf Ablehnung traf:

    Der Kampf der Hamas richtete sich in erster Linie nicht gegen Siedler und israelisches Militär in den besetzten Gebieten, sondern direkt gegen Zivilisten, die am Konflikt nicht beteiligt waren und sind. Diese Strategie widerspricht nicht nur dem Völkerrecht, sie ist auch moralisch nicht zu vertreten. Sie hat den politischen Zielen der Palästinenser extrem geschadet.

    Und die Hamas-Raketen auf kleine Orte wie Sderot sind nicht kleiner zu machen, in dem man die Opfer auszählt auf beiden Seiten. Zitat:

    Mit ihren Selbstmordattentaten hat die Hamas schon vor dem Mauerbau bewiesen, das sie durchaus bereit ist, sehr viele israelische Zivilisten zu töten - und dass es ihr gleichgültig ist, ob Juden wieder fürchten müssen, vernichtet zu werden.

    Flottau beruft sich auf seine eigenen Beobachtungen und auf die jüdischen und palästinensischen Zeugen. Er zitiert den jüdischen Historiker Avi Shlaim, der auch Soldat in der israelischen Armee war und der der Überzeugung ist: Israel sei in die Reihe der Schurkenstaaten einzureihen:

    Ein Schurkenstaat bricht in der Regel internationales Recht, besitzt Massenvernichtungswaffen und praktiziert Terrorismus - die Anwendung von Gewalt zu politischen Zwecken. Israel erfüllt alle diese drei Kriterien.

    Das, was Flottau von Kairo aus die letzten zehn Jahre erlebt hat, lässt nur die Schlussfolgerung zu: Es kann die Zweitstaatenlösung nicht (mehr) geben. Wir sind in der europäischen Politik willige Kollaborateure dieser Illusion. Niemand kann den Palästinenserstaat mehr herstellen, am wenigstens Israel. Denn schließlich hat sich die israelische Regierung ja darauf eingelassen, ihre illegalen Siedlungen in der Westbank immer weiter auszubauen. Die Mauer, die ja "Trenn-Zaun" heißen soll, raubt noch mal etwa zehn Prozent Palästinas. Es gibt auf Seiten israelischer Politik keinen Willen, den Staat Nr. 2 zu machen.

    Ein Kapitel beschreibt die Geschichte der vergeblichen Mauerbauten in der Geschichte der Menschheit. Der Autor lässt alle Versuche des gigantischen Abgrenzens gegen Feinde durch Mauern Revue passieren: Von der Chinesischen Mauer, über den römischen Limes, den Hadrians Wall in Britannien, dann die Mauern um das erste Ghetto in Marokko, das Ghetto in Venedig, bis hin zu dem Ungetüm, das auf palästinensischen Gebiet errichtet wurde und noch wird. Immer stellen Mauern einen wirkungslosen Ersatz für eine vernünftige Politik dar. Wie die israelische Politik in eine Sackgasse geraten ist, beschreibt Flottau am Beispiel von Qalqilia. Eingeschlossen von einer Mauer, ziehen die Bewohner nur eine Schlussfolgerung. Diese ständigen Sperren sollen den Palästinenserstaat unmöglich machen. Qalqilia ist durch die Mauer stranguliert: Wenn die Bauern auf ihre Felder wollen, müssen sie durch die Kontrollstrecken. Vor allem müssen sie rechtzeitig zurück sein. Um 19.00 schließen die Kontrollstellen.

    Das Buch ist mutig, weil es gegen eine deutsche Befindlichkeit anschreibt, gegen den allgemeinen Tenor: Möglichst nicht Israel kritisieren, auch wenn man das darf. In dem Buch setzt sich eine nüchterne Vision durch. Man sieht, dass Israel den zweiten Staat nicht wollen kann, wenn es weiter die Siedlungen baut und die ganze Welt durch Überzeugung gleichsam zwingt, seine Politik mitzumachen.

    Das Buch von Heiko Flottau ist das informativste und best geschriebene zum israelisch-palästinensischen Konflikt, was der deutsche Buchmarkt in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Dabei hatte es der Autor nicht leicht: Er hat sein Manuskript von einem deutschen Verlag, der es nicht haben wollte, zum nächsten geschleppt. Viele Verlage fanden Gründe, es nicht zu veröffentlichen. So kann man dem Christoph Links Verlag dankbar dafür sein, ein solches Buch herauszubringen.

    Das war Rupert Neudeck über "Die eiserne Mauer - Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land" von Heiko Flottau. Erschienen im Christoph Links Verlag. 224 Seiten für 16 Euro 90.