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David Grossmans "Kommt ein Pferd in die Bar"
Lebensbeichte eines Comedian bei den Salzburger Festspielen

In seinem Buch "Kommt ein Pferd in die Bar" erzählt der israelische Schriftsteller David Grossman von der letzten Vorstellung eines Stand-up-Comedians, die zur Lebensbeichte gerät. Jetzt haben die Salzburger Festspiele den Roman auf die Bühne gebracht.

Von Sven Ricklefs | 09.08.2018
    Hauptdarsteller Samuel Finzi in der Inszenierung "Kommt ein Pferd in die Bar" bei den Salzburger Festspielen
    Hauptdarsteller Samuel Finzi in der Inszenierung "Kommt ein Pferd in die Bar" bei den Salzburger Festspielen (Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig)
    Das ist so eines derjenigen Bücher, die man, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen kann: dieser atemlose Bericht über die ebenso atemlose letzte Vorstellung eines abgetakelten Comedian, der trotz aggressivem Angang sein Publikum nicht in den Griff zu bekommen scheint und den die Anwesenheit einer Jugendbekanntschaft zusätzlich aus der Bahn wirft. Und so drängt sich in seine mehr oder minder zündende Pointenparade wie eine Art Befreiungsbeichte die Erzählung eines Jugendtraumas, das dieser totkranke Mann als vermeintlich schwere Schuld seit 43 Jahren mit sich herumträgt.
    Witze machen mit Mengele
    Da wurde er aus dem Jugendlager nach Hause zu einer Beerdigung zurückgerufen, ohne dass man ihm sagte, wer denn eigentlich gestorben sei. So wird eine endlose Heimfahrt zu einer Aufrechnung der beiden Eltern gegeneinander und zu einer Selektion im Kopf des Jungen, an deren Ende er sich für den Tod der Mutter verantwortlich fühlt. Mit welch einer rasenden Geschwindigkeit sich hier Comedy Show und eine heraufbrechende traumatische Geschichte ineinander verschlingen und wie dabei zugleich die traumatische Geschichte eines ganzen Volkes mit einfließt - die Mutter hat die Shoa geschändet überlebt –, das alles zeigt sich in diesem Buch. Etwa im nachtschwarzen Humor, mit dem einer Figur wie dem für Selektionen und grausamste Menschenversuche zuständigen SS-Arzt Josef Mengele gedacht wird:
    "Schon mal überlegt, wieviel er zu tun hatte, dieser Doktor? Die sind aus ganz Europa zu ihm gereist, die sind in den Zügen übereinander geklettert, um zu ihm zu kommen. Und trotzdem hat er sich für jeden einzelnen Zeit genommen. Nur eine zweite Meinung einholen durfte man nicht. Und der Besuch in der Sprechstunde war ziemlich kurz."
    Der Richter will kein Richter sein
    David Grossmans "Kommt ein Pferd in die Bar" ist ein ebenso brutales und schonungsloses wie zugleich sanft versöhnliches Buch, das zeigt sich auch jetzt in der Theatralisierung von Dusan David Parizek bei den Salzburger Festspielen. Trotzdem kommt diese Bühnenfassung bei weitem nicht an die Wirkung des Buches heran. Das liegt sicherlich zum einen daran, dass der Regisseur eine wichtige Figur aus dem Plot herauslösen musste, um das Ganze spielbar zu machen. Erzählt wird nämlich eigentlich aus der Sicht eines Jugendfreundes, den sich der Komiker als Zeuge und Richter für diesen Abend eingeladen hat. Der Freund, der von Beruf Richter war, soll nun auch hier richten, tut dies aber nicht, sondern dient als Erzähler und kann dabei zugleich über den Protagonisten, das Publikum, sich selbst und die verschiedenen Zeitebenen reflektieren.
    Fast eine One-Man-Show
    Fällt dieser Mittler nun weg, dann prallen Geschichte und Comedy ohne Filter auf ein Theaterpublikum, das zugleich auch noch selbst als Publikum der Comedy und als Richter fungieren soll. Andererseits schickt Dusan David Parizek eine andere Figur, die Jugendbekannte, durchaus auf die Bühne, gibt ihr aber in der Gestalt von Mavie Hörbiger eine so affektiert gekünstelte Note, dass man sie sich nicht wirklich als Gegenüber von Dov Grinstein, dem Comedian wünscht; dessen Karriere begann, als er versuchte, seine traumatisierte Mutter aufzuheitern:
    "Also ich habe die Beine hochgeworfen und bin umgefallen und sie hat gelacht. Ich habe sie richtig lachen gehört. Ich habe es dann noch einmal und noch einmal versucht. Und plötzlich wusste ich, ich hatte einen Ort auf der Welt gefunden, wo niemand war außer mir."
    Und so bleibt die Last tatsächlich allein an dem großartigen Schauspieler Samuel Finzi hängen, der sich bewunderungswürdig durch diese zweieinhalbstündige Fast-one-Man-Show kämpft, der so manche etwas hilflose Regiepirouette mitspielt: vom Kameraeinsatz bis zur Drehbühne, und der bedauerlicher Weise trotzdem nicht dieselbe herzklamme Betroffenheit hervorzurufen vermag, die die Lektüre von David Grossmans Roman erzeugt.