Archiv

Debatte über Corona-Bonds
"Unstrittig, dass wir diesen Ländern helfen wollen"

In der SPD seien sich alle einig, dass man Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien in der Coronakrise finanziell helfen müsse, sagte SPD-Politiker Johannes Kahrs im Dlf. Doch Euro-Bonds seien nicht der beste Weg. Es gebe andere Institutionen, mit denen Geld europäisch mobilisiert werden könne.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Silvia Engels |
Johannes Kahrs (SPD), Sprecher der Bundesfraktion im Haushaltsausschuss, spricht am 29.11.2019 während der 132. Sitzung des Deutschen Bundestages im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes.
Hilfe in der Coronakrise müsse schnell gehen, so Johannes Kahrs - Corona-Bonds seien aber kein schneller Weg (picture alliance / Gregor Fischer)
Die europäischen Finanzminister beraten in einer Telefonkonferenz die Möglichkeiten, sich auf Formen der europäischen Finanzhilfe zu verständigen, um EU-Staaten in Finanznöten zu helfen - auch in Zukunft, wenn die akute Gesundheitskrise von einer Wirtschaftskrise abgelöst werden wird. Die Debatte ist emotional aufgeladen, denn die Euro-Mitgliedsstaaten streiten, darüber ob gemeinsame Schuldanleihen, sogenannte Euro- oder Corona-Bonds, ein passendes Hilfsmittel sind oder nicht.
Johannes Kahrs ist der Obmann der SPD im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages.
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Engels: Die Idee, als EU-Währungsraum gemeinsam Schuldanleihen am Kapitalmarkt aufzunehmen, ist ja schon alt. Euro-Bonds hießen sie in der Finanzkrise. Sie waren damals dagegen, um nicht die Verantwortungszuordnung fürs Schuldenmachen zu verwässern. Wie halten Sie es nun mit der neuen Idee Corona-Bonds?
Kahrs: Ob man das nun Corona-Bonds nennt oder – es ändert ja nichts am Kern des Problems. Wir wollen Ländern ja helfen. Man muss Spanien helfen, man muss Italien helfen – zum einen wegen dem europäischen Gedanken der Solidarität, aber auch, weil es in unserem eigenen Interesse ist, weil diese Länder sind mit uns in einer Europäischen Union. Wir sind wirtschaftlich alle voneinander abhängig. Wenn wir denen helfen, hilft das ja auch uns. Deswegen ist, glaube ich, unstrittig, dass wir diesen Ländern helfen wollen.
Die Frage ist, ob man das mit Euro-Bonds und Corona-Bonds macht, wo wir alle nicht wissen, wie lange das dauert, bis es sie wirklich gibt, das ewig dauern wird, es auch große Verwerfungen in Deutschland gibt. Ich glaube nicht, dass mein Koalitionspartner da mitmachen würde. Was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt, wenn sie angerufen werden würden, weiß ich auch nicht. Das ist auch strittig.
Auf der anderen Seite – und das hat Olaf Scholz ja schon häufiger gesagt – gibt es Einrichtungen, Institutionen, mit denen wir Geld europäisch mobilisieren und direkt auszahlen können. Das heißt, ich finde, es könnten sich einige mal von ihren ideologischen Barrikaden, die sie hier im Kopf haben, verabschieden und gucken, dass wir auf die Sachebene zurück kommen. Wir müssen doch nicht in ideologischen Gräben kämpfen. Wir müssen doch ins Gelingen verliebt sein.
Euro-Bonds: "Auch das ist Geld, was man sich leiht"
Engels: Aber wenn Sie darauf ansprechen, dass es Institutionen gibt, fällt natürlich jedem erst mal der Europäische Stabilitätsmechanismus ein (ESM). Das sind aber Kredite und es haben ja Italien und Spanien mehrfach deutlich gemacht, nicht noch mehr Kredite, sondern wirklich gemeinsame Hilfen, damit nicht durch eine höhere Kreditlast das Problem nur in die Zukunft geschoben wird und die Spekulanten sich dann sehr wohl wieder auf Italien und Spanien einschießen. Lassen Sie das nicht gelten?
Kahrs: Wir haben ja diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus. Da kriegt man frisches Kapital.
Engels: Aber als Kredit!
Kahrs: Aber auch mit diesen Bonds wird ja am Ende zurückgezahlt werden müssen. Das ist ja auch nicht Geld, was irgendwie vom Himmel fällt. Das heißt: Vom Ergebnis ist es dasselbe, wenn man es bis zum Ende durchdenkt.
Wir haben die Europäische Investitionsbank, die helfen kann, und ich glaube, dass auch das eine Möglichkeit ist. Es gibt viele Wege, wie wir Geld nach Griechenland, nach Spanien, nach Portugal, nach Italien, Frankreich kriegen. Aber es muss ja auch schnell gehen, und das sind die schnellen Wege. Aber ein reiner Zuschuss ist das nirgendwo, übrigens auch nicht mit Euro- oder Corona-Bonds, weil auch das ist Geld, was man sich leiht.
Eine zerrissene EU-Fahne flattert im Wind.
Streit um EU-Finanzhilfen in der Coronakrise
Gemeinschaftliche Anleihen aller EU-Staaten oder ESM, der Rettungsmechanismus aus der Finanzkrise – in der EU ist ein Streit darüber entbrannt, wie die immensen finanziellen Herausforderungen der Coronakrise bewältigt werden sollen. Doch es gibt auch Kompromissvorschläge. Ein Überblick.
Engels: Darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. Lassen Sie uns noch mal bei der Abwägung dieser Kreditfinanzierung über den ESM und bei Corona-Bonds bleiben, denn die Befürworter von Corona-Bonds sagen ja, dass gemeinsame Schuldverschreibungen im Gegensatz zu Krediten den Vorteil hätten, dass die die Spekulanten gegen den Euro stärker abgeschreckt würden. Es sei dann einfach nicht mehr möglich, eine italienische Anleihe gegen eine deutsche Bundesanleihe auszuspielen.
Kahrs: Na ja. Wir haben ja, wenn wir den Europäischen Stabilitätsmechanismus nehmen, die Möglichkeit, dass da schon gemeinsam Geld zu gleichen Konditionen auf dem Markt aufgenommen wird. Dann würde das ja der ESM machen. Das heißt: Das ist ja praktisch Euro-Bonds in anders und vor allen Dingen in praktisch, und es kommt schnell. Das heißt, ich glaube nicht, dass es hier besser wäre.
Und wie gesagt: Das andere dauert sehr viel länger. Ob es kommt, ob es Monate oder ein Jahr dauert, weiß keiner. Das Geld wird jetzt gebraucht. Es gibt europäische Institutionen, die es machen können sollen. Und ehrlicherweise: Ich verstehe bis heute nicht, warum man diese Institutionen nicht nutzt. Es gibt ja keinen Vorteil durch Euro-Bonds, weil über den ESM wird das Geld ja auch eingesammelt und von Europa aus vergeben. Das einzige Problem kann sein, dass es in der Vergangenheit Kriterien gegeben hat, nach denen das Geld ausgegeben werden darf. Da gab es ja ein hartes Regime in Griechenland. Da hat ja Olaf Scholz schon erklärt, das würde man in diesem Bereich nicht machen, so dass man jetzt die Vorteile hätte, aber nicht die Nachteile.
Euro-Bonds: "Langfristig muss man darüber reden"
Engels: Schauen wir aufs Stichwort Geschwindigkeit noch einmal. Befürworter von Corona-Bonds wie der Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, verweisen darauf, dass es eine solche einmalige gemeinsame Anleihe der EU-Staaten schon mal gab, nämlich in den 70er-Jahren zur Bewältigung der Ölkrise. Warum ging das damals fix und ist heute eine Sache, die zu lange dauert, Ihrer Ansicht nach?
Kahrs: Ehrlicherweise sagen Ihnen die Juristen, man braucht eine Vertragsänderung auf europäischer Ebene, um Euro-Bonds zu ermöglichen. Und da ist es so, dass jeder, jedes Land dabei ist. Bei Belgien weiß man nicht, ob gleich zwei dabei sind, aber das würde dauern. Und ich glaube nicht, dass die das in ein paar Monaten hinbekämen. Das heißt, auch Europa hat sich ja weiterentwickelt von den 70ern bis heute, und es ist in vielen Bereichen auch eher komplizierter als einfacher geworden.
Engels: Was sagen Sie denn Ihrem Parteichef, Norbert Walter-Borjans, der sich ja solche gemeinsamen Schuldanleihen pragmatisch durchaus vorstellen kann?
Kahrs: Dass er mit dem ESM gut bedient ist und den anderen europäischen Institutionen. Ich verstehe ja den Willen. Wir alle wollen helfen, und zwar einmal wegen Europa, weil es die Nachbarn und die Freunde sind, und zum anderen auch aus echtem Eigennutz, weil wir was davon haben, wenn diese Länder weiter funktionieren. Das heißt, von beiden Seiten kommend – deswegen ist auch der Arbeitgeberverband dafür wegen der wirtschaftlichen Vorteile -, wollen wir das. Es ist unstrittig. Jetzt geht es doch nur darum, welcher Weg ist besser, und wir sagen, es gibt europäische Institutionen. Es gibt europäische Mechanismen. Die sind eingeführt. Das Geld kommt auch. Das Geld wird europäisch eingesammelt und ganz Europa ist ja beim ESM drin und sichert das auch mit ab.
Das heißt, man hat all die Vorteile. Warum muss ich jetzt aus ideologischen Gründen noch einen Euro-Bond oder einen Corona-Bond machen, nur weil das irgendwie schöner klingt.
Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD.
Walter-Borjans zu Corona-Bonds: "Es geht um die Rettung Europas"
Der Bundesvorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, plädiert dafür, Ländern wie Italien und Spanien jetzt schnell finanziell zu helfen: "Wir haben im Moment in Europa ein Problem mit Solidarität".
Engels: Die SPD ist sich da offenbar ja nicht einig. Norbert Walter-Borjans vertritt die eine Linie; Sie gemeinsam mit Finanzminister Scholz die andere. Wer setzt sich durch in der SPD?
Kahrs: Ich glaube nicht, dass das strittig ist in der SPD. In der SPD sind wir uns alle einig, dass man diesen Ländern helfen muss, dass man gucken muss, dass Frankreich, Italien, Spanien klarkommt. Das wollen wir alle. Und jetzt muss man gucken, wie es praktisch geht. Natürlich kann man sagen, dass Euro-Bonds eine Weiterentwicklung für Europa ist und langfristig Sinn macht, und langfristig muss man darüber reden. Da bin ich ganz bei Norbert Walter-Borjans. Aber wir reden doch davon, dass es schnell gehen muss, dass wir jetzt helfen müssen, dass das Geld da jetzt ankommen muss, und dass die nicht noch mal ein halbes oder ein dreiviertel Jahr oder ein Jahr warten können. Das heißt: Wenn man ins Gelingen verliebt ist wie Olaf Scholz, dann muss man jetzt handeln, dann muss man jetzt dafür sorgen, dass das Geld kommt, dann muss man jetzt dafür sorgen, dass das Geld in den Ländern sofort ankommt. Und wenn man es dann auch noch schafft, so was wie eine europäische Arbeitslosenversicherung aufzuziehen, Kurzarbeitergeld, all diese Dinge, wenn man das auf europäischer Ebene hinkriegt, ja Herr im Himmel, wofür haben wir denn Europa. Dann soll man doch die Institutionen nutzen, die es gibt.
Engels: Dann haben Sie gerade diese Möglichkeiten für den europäischen Arbeitsmarkt, den die Kommission ja stärken will, angesprochen. Sie haben die Europäische Investitionsbank angesprochen und den ESM. Was sagen Sie denn auch noch zu der niederländischen Idee eines Notfall-Fonds von bis zu 20 Milliarden Euro? Das wären ja Zuschüsse an die besonders betroffenen Länder, die dann nicht zurückgezahlt werden müssten. Auch eine Idee?
"Hilfe muss schnell kommen"
Kahrs: Auch das kann man diskutieren. Auch das, glaube ich, ist nicht unstrittig in Europa.
Engels: Aber Sie sind nicht unbedingt dafür?
Kahrs: Ich glaube, dass alles, was wir machen, schnell ankommen muss. Wenn ich mir die Berichte aus den Ländern anhöre, wenn ich mit den Kollegen rede, dann sagen die eins: Ihr könnt hier alle den ganzen Tag weiterreden, aber es muss jetzt hier schnell was passieren. Deswegen finde ich immer diese ganzen akademischen Diskussionen schön, aber ich finde, Hilfe muss schnell kommen. Sonst ist es keine Hilfe. Ich brauche keine großen ideologischen, innenpolitischen Debatten in Deutschland mit irgendjemandem. Die einen waren schon immer gegen Euro-Bonds, die anderen waren schon immer dafür, und das Ganze nenne ich jetzt nur Corona. Das hilft den Menschen in Spanien, Frankreich und Italien nicht und der Wirtschaft schon mal gar nicht. Deswegen muss es schnell gehen.
Und wenn man an ideologischen Leuchttürmen interessiert ist, bitte. Die Debatte kann jeder gerne führen, am besten ohne mich. Ich bin dafür, dass wir schnell machen, dass wir die Einrichtungen in Europa nutzen. Das stärkt Europa, das stärkt diese Einrichtungen. Und dann ist das praktische Hilfe und natürlich sichern wir das alles ab. Das ist doch im ESM auch so.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.