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Debatte über Temelin-Ausbau in Prag

Der Ausbau des AKWs Temelin war bisher politischer Konsens in Tschechien. Nur wenige Umweltschützer äußerten Kritik an den Plänen der Regierung, den Anteil der Atomenergie in den kommenden Jahren auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen. Doch jetzt diskutieren in Prag darüber sogar Minister.

Von Stefan Heinlein | 29.05.2013
    Vier Städte in vier Tagen – Ministerpräsident Necas und seine große Wirtschaftsdelegation nehmen sich viel Zeit für Russland. Offiziell geht es um den Ausbau der im Vergleich zu Deutschland eher bescheidenen Handelsbeziehungen. Doch Gastgeber Dimitri Medwedew hat ein anderes Ziel im Auge:

    "Wir beteiligen uns mit Vergnügen am Wettbewerb um den Bau von zwei neuen Reaktorblöcken für das AKW Temelin. Sollten wir den Zuschlag erhalten, bekommen tschechische Firmen Aufträge in Höhe von 6 Milliarden Euro."

    Im Herbst soll die Entscheidung fallen über den größten Bauauftrag der tschechischen Geschichte. Neben den Russen bewirbt sich auch der US-amerikanische Konzern Westinghouse. Die Angebote beider Seiten liegen bereits auf dem Tisch – doch in Moskau will sich Petr Necas noch nicht in die Karten blicken lassen:

    "Die tschechische Seite begrüßt die russische Teilnahme an diesem Wettbewerb. Das Auswahlverfahren wird objektiv und transparent verlaufen und das beste Angebot gewinnt."

    Doch trotz des laufenden Milliardenpokers gibt es jetzt in Tschechien zum ersten Mal Zweifel, ob der Spatenstich für den Temelin-Ausbau stattfinden wird. Internationale Experten warnen bereits seit Längerem: Ohne eine staatliche Strompreisgarantie sei der Bau neuer Reaktoren wirtschaftlich unvernünftig. Eine Meinung, die nun auch von Finanzminister Kalousek geteilt wird:

    "Es gibt keine Zweifel. Der Ausbau von Temelin ist derzeit eine ökonomisch außerordentlich riskante Investition. Wir müssen uns fragen, ob die Energiesicherheit unseres Landes nicht durch weniger riskante Projekte gewährleistet werden kann."

    Quer durch alle Parteien war bisher der Ausbau von Temelin politischer Konsens in Tschechien. Nur wenige Umweltschützer wagten offene Kritik an den Plänen der Regierung, den Anteil der Atomenergie in den kommenden Jahren auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen. Die offene Kritik seines Finanzministers empört deshalb Regierungschef Necas. Der Ausbau von Temelin sei eine strategische Entscheidung. Es gehe um die künftige Energiesicherheit des Landes:

    "Das ist die Privatmeinung von Herrn Kalousek. Es gibt Unterschiede zwischen Buchhaltern und Politikern. Ein Staatsmann denkt nicht nur an die Finanzen des nächsten Jahres, sondern muss auch die Zukunft des Landes im Blick behalten."

    Doch auch Außenminister Karel Schwarzenberg fordert inzwischen eine wirtschaftliche Neukalkulation der politischen Temelin-Entscheidung. Eine unabhängige Firma müsse genau prüfen, ob sich der geplante Bau der beiden neuen Reaktoren noch rechne:

    "Die Energiepreise sind in den letzten Jahren deutlich nach unten gegangen. Außerdem haben sich nach Fukushima die Kosten für die technische Entwicklung verteuert. Wenn die Temelin-Betreiber deshalb jetzt eine staatlich Strompreisgarantie fordern könnte dies die Wettbewerbsfähigkeit unser Industrie gefährden."

    Doch noch will die Mitte-Rechts-Regierung in Prag ihre atomaren Zukunftspläne nicht begraben. In weiteren Verhandlungen mit den beiden russischen und US-amerikansichen Konzernen soll versucht werden, den Preis für den Ausbau von Temelin deutlich zu drücken.