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Debatte um Tischtennisreform
Droht das Ende der Traditionsligen?

Im März fand das erste Turnier des Großprojekts "World Table Tennis" statt: In Katar trafen sich Spieler aus der ganzen Welt, um an der Zukunft des Sports teilzuhaben. Doch die neue Serie entfachte eine hitzige Debatte zwischen Verbänden, nationalen Ligen und Spielern. 

Von Darian Leicher  | 20.03.2021
Dimitrij Ovtcharov spilet beim WTT-Finale in Doha gegen Lin Yun-Ju
Dimitrij Ovtcharov spielt beim WTT-Finale in Doha gegen Lin Yun-Ju (imago)
Maximales Entertainment, höheres Preisgeld und 34 neue Turniere: Der Tischtennis-Weltverband ITTF reformiert seine Sportart. Eine eigens gegründete Tochter, die WTT, soll das Spiel an der Platte auf ein höheres Level heben. "Welcome to World Table Tennis. The future of global table tennis," heißt es in einem Werbevideo der neuen Serie.
Das zukünftige Turniersystem teilt sich in fünf Kategorien auf. Vier über das Jahr verteilte Grand Smashes sollen dabei zum neuen Höhepunkt des professionellen Tischtennis aufsteigen. Nicht zu übersehen: der Tennissport als großes Vorbild. WTT-Europa Manager Jonny Cowan erklärt: "Ziel ist es, das Tischtennis zu vergrößern, zu verbessern und weiterzubringen."
Für die Top-Veranstaltungen verspricht WTT Preisgelder von bis zu drei Millionen US-Dollar. Der Verband will den Sport professionalisieren und modernisieren – für eine verbesserte Vermarktung und mehr Orientierung an den Medien: große Namen, großes Geld, große Resonanz.

Kaum Luft zum Atmen für die nationalen Ligen

Nico Stehle, Geschäftsführer der Tischtennis Bundesliga, ist besorgt: "Wenn es sich entwickelt wie im Tennis, dass jede Woche Turniere der unterschiedlichen Kategorien stattfinden, und damit die Luft für nationale und kontinentale Wettbewerbe genommen wird, dann haben wir ein Problem."
Keine Luft zum Atmen. Zumal die Bundesliga schon in den vergangenen Jahren immer wieder Schwierigkeiten hatte, ihre Sollstärke von zwölf Teams zu erreichen. Trotzdem spielen diverse Nationalspieler aus Deutschland und anderen Nationen für die Bundesliga-Vereine – auch wegen der guten Infrastruktur an den Standorten.
Andreas Preuß, Mitglied des Aufsichtsrats der Bundesliga und Manager von Borussia Düsseldorf, betont daher die eigene Stärke: "Wir haben heute immer noch eine sehr funktionsfähige, kräftige, finanzstarke Bundesliga, die im Ganzjahresbetrieb von August bis Juni spielt. Vielleicht wird die Luft jetzt jedoch dünner. Es gibt eindeutige Pläne des Weltverbands, Tischtennis mehr zum Einzelsport werden zu lassen und große Turniere zu spielen. Aber es gibt auch eine Menge Widerstand."

Boll: "Spieler fühlen sich erpresst"

Unter anderem von Altmeister Timo Boll. Der 40-jährige Silbermedaillengewinner von Peking äußerte im Podcast "Ping, Pong, Prause" des Deutschen Tischtennis-Bunds lautstark seine Bedenken: "Das ist alles nicht so einfach. Vor allem für die Spieler, die sich entscheiden müssen: Halte ich meinem Verein die Treue oder will ich unbedingt um alle internationalen Turniere spielen und für meine gute Setzung kämpfen? Da sind viele Spieler gerade hin und hergerissen und fühlen sich erpresst."
Der Weltverband setzt den Spielern regelrecht die Pistole auf die Brust. Er verpflichtet sie, an mindestens zwölf der WTT-Topevents teilzunehmen. Die acht besten Ergebnisse gehen in die Weltrangliste ein. Außer, ein Spieler oder ein Doppel macht absichtlich nicht mit: dann gibt es eine Nullwertung, die ein Jahr bestehen bleibt und somit den Platz in der Weltrangliste verschlechtert. Nico Stehle kritisiert den vom Verband provozierten Spagat: "Die Frage ist, wie sehr werden die Spieler durch das Sammeln von Weltranglistenpunkten und die verpflichtende Teilnahme an Turnieren gezwungen, eine Vielzahl von Turnieren zu spielen? Und inwiefern können sie dann noch ihren Job als Arbeitnehmer der Klubs wahrnehmen, um dort eine Liga abwickeln zu können?"
Viele Blickwinkel, viele Konflikte. Um sich anzunähern und den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen, suchten die Bundesliga-Verantwortlichen diese Woche den Dialog mit WTT-Europa Manager Jonny Cowan. Unter anderem wurde diskutiert: "Inwiefern sind noch Europameisterschaften und kontinentale Wettbewerbe wie die Champions League abbildbar in einem Zeitfenster, wo WTT wahrscheinlich viele Wochen im Jahr beansprucht? Und inwiefern ist eine Bundesliga mit 22 Wochen – inklusive Pokalwettbewerb – da überhaupt noch umsetzbar? Haben wir da noch eine Chance zu existieren?", so Stehle.

Zukunftsängste bei Spielern und Liga

Tischtennis-Bundestrainer Jörg Rosskopf sorgt sich ebenfalls darum, dass der Unterbau zusammenbricht: "WTT muss verstehen, dass das Ligasystem in Europa so gewachsen ist, dass die Spieler daraus ihren Hauptverdienst ziehen, womit sie dann auch die WTT und die Turniere bezahlen."
Zukunftsängste bei den Spielern und der Liga. Jonny Cowan gesteht Fehler in der Kommunikation ein. Terminkollisionen ließen sich aber nicht verhindern: "Es kann sein, dass es hinsichtlich des Terminkalendars Situationen gibt, in denen die Spieler entscheiden müssen. Aber nicht jede Woche – das wäre nicht optimal und nicht perfekt, das ist klar."
Am grundsätzlichen System will man also nichts ändern. Und so haben die Tischtennisliga und ihre Spieler eine ungewisse Zukunft vor sich. Dennoch: Die Verbände scheinen dialogbereit zu sein.