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Degas am Bodensee

Die Städtische Galerie Überlingen hat ein anspruchsvolles Sommerprojekt auf die Beine gestellt. Zum 175. Geburtstag von Edgar Degas und James Whistler thematisiert sie deren Auseinandersetzung mit japanischer Kunst.

Von Christian Gampert |
    Wer jetzt an einem blauen Spätsommertag an den Bodensee fährt, der wird befindet sich im Touristenland. In Überlingen tobte kürzlich in der Hitze ein Volksfest, das Altstadt und Uferpromenade quasi lahmlegte. Zwischen Popcorn und Würstelduft, Blasmusik und Schüler-Hiphop gibt es in Überlingen aber auch richtige Kunst: Gleich neben dem Landungsplatz, da, wo die Ausflügler auf den nächsten Dampfer warten, liegt die Städtische Galerie, und dort beschäftigt man sich höchst seriös mit "Impressionismus und Japanmode".

    Natürlich ist der japanische Farbholzschnitt des 18. und 19. Jahrhunderts kein Thema, das sich dem normalen Badegast gebieterisch aufdrängt. Zwar sind in der Überlinger Ausstellung zahlreiche Badeszenen zu sehen, japanische Tänzerinnen und Kurtisanen im Frauenbad, und auch bei Edgar Degas steigen ja ständig üppige Rückenakte aus der Wanne. Das Frivole allein aber wird den Sommerfrischler nicht locken können, derlei Anblicke hat er am Badestrand genug. Nein, der Ansatz ist ganz anders: Überlingen will sich auch als Kulturstadt etablieren und ein ernsthaftes Bildungsangebot machen, vor allem für die ältere Touristen-Generation.

    Es gibt zum Beispiel eine, Zitat, "Führung für Menschen im besten Alter", bei der jeder Teilnehmer vor den Bildern sitzen kann. Für den Asien-Liebhaber veranstaltet man eine Einführung in die japanische Kunst mit dem Titel "Schock des Entzückens". Wenn dieser Schock abgeklungen ist, kann man sich dem Lokalbezug zuwenden.

    Der deutsche Impressionist Gotthardt Kuehl und dessen Schüler Ferdinand Dorsch arbeiteten nämlich zeitweise in Überlingen; deshalb hat man auch das Impressionismus-Thema beackert und bietet einschlägige Vergnügungen: So gab es zum 175. Geburtstag von Edgar Degas am 19. Juli viel französische Küche und eine "Nacht der Galerie", bei der eine Schauspielerin in Pariser Gesellschaftsrobe über das Fin de Siècle und den "Salon des Refusés" referierte. Bohème am Bodensee, altersgerecht aufbereitet.

    Die Überlinger machen also das, was andere Museen auch machen, nur auf ihre spezifische Klientel bezogen. Die Ausstellung selber kann mit einigen Prunkstücken aufwarten und speist sich vor allem aus der "Huntarian Art Gallery" in Glasgow, die weite Teile des Nachlasses von James McNeill Whistler verwaltet. Der amerikanische Maler verbrachte lange Jahre in Paris und war Teil der impressionistischen Bewegung. Vor allem aber war er ein Bekannter von Degas und besaß eine ausufernde Sammlung japanischer Kunst.

    Mit der Öffnung der Handelswege 1854 kamen nämlich auch der sehr flächige japanische Holzschnitt, kamen Fächer, Geschirr und Kleider nach Europa und lösten vor allem in Frankreich eine fast hysterische Japanmode aus. Jenseits der Exotik interessierten sich die Impressionisten aber vor allem für die lichte und seltsam schwebende Art der asiatischen Darstellung, die den Raum eben nicht zentralperspektivisch begriff. Da auch die Motivik-Szenen im Bade, am Wasser, Landschaften, Porträts von Künstlerinnen und vor allem weibliche Akte – parallel läuft, ergeben sich in der Ausstellung reizvolle Vergleiche.

    Um Platz für die Hängung zu gewinnen, sind einige dubiose Stellwände in die Räume eingezogen. Andererseits sieht man in manchen japanischen Landschaftsholzschnitten ein betörendes Blau, gibt es Papierschirme und Schmetterlingsfächer. James Whistlers eigene Radierungen (etwa der Lagune von Venedig) zeigen eine schöne, in ihrer Ruhe asiatisch anmutende Reduktion - ebenso wie seine atmosphärisch dichten Nachtstücke in Öl. Höhepunkt der Ausstellung aber ist ohne Frage die Degas-Abteilung: Degas malte etwa eine flirrende Gartenszene mit Sängerin auf Seide, rundete das Aquarell aber wie einen japanischen Fächer. Und das mit Gegenlicht und Verwischungen arbeitende Bild der "Tänzerinnen im Foyer", die vor dem Auftritt Posen durchprobieren, sollte auch hartgesottene Urlauber für die Moderne einnehmen – das Werk aus der Sammlung Bührle ist das Zugpferd der Ausstellung.