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Dem Phänomen Claude François auf der Spur

In Frankreich kennt jeder seine Lieder - selbst die, die ihn so gar nicht mögen. Claude François, der "Mann der 40 Gassenhauer", machte das Chanson massentauglich. In Frankreich ist nun ein Biopic angelaufen, der das Phänomen Claude François ergründet.

Von Jörg-Christian Schillmöller | 17.03.2012
    "Ich bin 25 und bekam mit sieben von meiner Mutter eine CD von Claude François. Und heute noch, wenn wir in Paris ausgehen, spielen sie in den Clubs seine Musik, und wir tanzen dazu."

    Es ist ganz egal, wen man in der Metro oder auf der Straße in Paris fragt - viele antworten das gleiche: Claude François - dazu tanzen wir. Und es fallen immer die gleichen Titel: "Alexandrie, Alexandra" und "Magnolias forever".

    Der Mann ist ein Unikum: Geliebt, gehasst, belächelt, verehrt. Von 1962 bis 1978 hat Claude François mehr als 400 Lieder aufgenommen, viele davon Cover-Versionen aus dem Englischen. Er stand nicht nur mehr als 1200 Mal auf der Bühne, sondern hatte auch mehr als 300 Auftritte im Fernsehen.

    "Er hatte schon damals den Sinn für Marketing, da war er seinen Zeitgenossen um 15, 20 Jahre voraus, er hat den modernen Sänger erfunden und versucht, sein Image und die Medien zu steuern. Er war sich all dessen bewusst."

    Eine Altbau-Wohnung in Paris, 9. Arrondissement, knarzendes Parkett, hohe Decken, junge Leute an Computern: So sieht Marketing heute aus, und hier findet das Interview mit Regisseur Florent Siri statt: Er hat den zwei-einhalbstündigen Film über Claude François gedreht, mit Jérémie Renier in der Hauptrolle. Die französischen Medien können gar nicht genug bekommen von dem Thema: Gestern, sagt Florent Siri, habe ich allein 20 Fernsehinterviews gegeben.
    "Claude François hat den Rhythmus in das Chanson gebracht, die schwarze Musik aus den Staaten, den Soul - und später dann den Disco-Beat."

    Im Siris Film "Cloclo" wird das an einer Szene deutlich: Claude François tanzt mit einer jungen Blondine in einem Club auf der Insel Sardinien - noch nie hat er vorher solche Musik gehört. Claude François geht direkt zum DJ und fragt ihn auf Italienisch: Was ist das für Musik?

    "Das, sagt der DJ, das ist Disco. Dazu brauchst Du Funk, und der Beat ist doppelt so schnell wie Dein Herzschlag. Und Claude François geht nach London und nimmt seinen ersten Disco-Song auf, der bis heute bekannt ist: Magnolias forever."

    Claude François ist ein Phänomen. Mit dem gehobenen Chanson und Texten von poetischer Tiefe hat er nichts im Sinn. Was ihn interessiert, ist allein die Show, nach amerikanischem Vorbild. Er will unterhalten und erfolgreich sein, und sein Markenzeichen werden vier langbeinige, fast nackte Sängerinnen, die schon bald den Beinamen "Les Claudettes" erhalten. Die jungen Leute in Frankreich sind begeistert, und bis heute ist er bei vielen Schwulen sehr beliebt, obwohl er ein großer Frauenliebhaber war. Aber er war auch ein Perfektionist - und das bekamen seine Musiker dann auch zu spüren.

    Claude François ist in den Augen des Regisseurs ein ruheloser Star, einer, der große Angst vor dem Altern hat und dazu eine feminine und androgyne Seite inszeniert. Florent Siri sieht deutliche Parallelen zu Michael Jackson.

    "Bei beiden gab es einen Bruch mit dem Vater, und auch Claude ist nie so recht erwachsen geworden, auch er hat sich die Nase operieren lassen, weil er sich nicht gefiel, auch er wollte mehr geliebt werden, als er selbst lieben konnte - und beide haben ihr Wohl- und Unwohlsein über Gesang und Tanz ausgedrückt. Er war ein Michael Jackson auf Französisch."

    Auch sein Tod ist tragisch: Am 11. März 1978 stirbt Claude François, gerade einmal 39 Jahre alt, in seiner Pariser Wohnung an einem Stromschlag. Er hatte von der Badewanne aus versucht, eine defekte Lampe zu reparieren. Regisseur Florent Siri glaubt nicht an Selbstmord, wohl aber an eine Art unbewusste Fehlleistung.

    "Der Preis, den er gezahlt hat, das war der Tod. Er hatte sich zu hohe Anforderungen gesetzt. Am Ende wollte er in den USA Erfolg haben, wollte den Menschen dort zeigen, wer der Urheber von ,My Way‘ ist. Immerhin hatte er es als einziger Franzose nach de Gaulle geschafft hat, die Royal Albert Hall in London zu füllen. Und das war am Ende zuviel, und so kam es zu dieser Fehlleistung in seiner Wohnung, im Badezimmer, wo er gestorben ist."

    Claude François hinterlässt nicht nur hunderte Chanson, er hinterlässt auch einen Welthit, der im Gespräch mit Florent Siri immer wieder auftaucht - "My way". Claude François schrieb das Lied einst mit dem Titel "Comme d‘habitude", wie gewohnt. Der Anlass: Damals, Ende der Sechziger, hatte er Liebeskummer wegen der jungen France Gall. Paul Anka übertrug das Chanson ins Englische.

    67 Millionen Platten von Claude François sollen bis heute verkauft worden sein - und das, obwohl seine Ära nicht einmal zwei Jahrzehnte währte. Und obwohl er mit seinem Hang zu Glamour, Kitsch und Show bei vielen Franzosen für Unwohlsein sorgte.

    "Das ist schon sehr französisch, dass man sich ein bisschen dafür schämt, Claude François zu mögen, weil er eben Variété macht. Aber die Lieder sind kraftvoll, und vielleicht ändert mein Film dieses oberflächliche, polierte Image des Glitzer-Sängers. Mein Film schaut in die Tiefe, er schaut hinter die Oberfläche, und wenn die Franzosen das gesehen haben, werden sie sich in Zukunft vielleicht ein bisschen weniger schämen."