So soll Aron des Moses Mund sein, durch den Bruder soll der große Gedanke Form annehmen, Sprache, und weil die Sprache versagt, wo es um Unsagbares geht, wird Aron dem Volk geben, was des Volkes Liebstes ist: Bilder. Wunder. Einen sichtbaren Gott. Kaum aber ist Moses auf den Berg gegangen, um das Gesetz zu holen, tanzen die Menschen ums Goldene Kalb; Aron kann es nicht verhindern. Als Zottel-Moses mit dem Gesetz zurückkommt, ist sein Zorn groß. Doch die Angelegenheit scheint unlösbar: Der reine Gedanke ist nicht rein zu vermitteln; Vermittlung ist Verunreinigung. Schönberg, als er sich den alttestamentarischen Stoff für seine einzige Großoper vornahm, mochten dabei die monotheistischen Offenbarungsprobleme des jüdischen Gottes Jahwe ebenso bewegt haben wie die seiner Methode, "mit zwölf Tönen zu komponieren". Denn natürlich war Schönberg auch ein Moses, und Zwölftönigkeit das neue Gesetz der Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Oper aber konnte er nicht zu Ende komponieren, sie endet logisch mit dem Scheitern des Moses. Das Problem war zu beschreiben, zu lösen war es nicht. Der unkomponierte dritte Akt endet mit einer Reinheitsphantasie: Nur in der Wüste ist die Einheit mit Gott möglich.
Schönbergs dritter Akt bleibt in Hamburg eine Fußnote fürs Programmheft. Peter Konwitschny interessiert an "Moses und Aron" weder Werk-Philologie noch Biographisches noch die Bibelgeschichten. Wie eben auch Schönbergs Libretto nicht nach Oper klingt, sondern in den zentralen Dialogen zwischen Moses und Aron eher wie ein Oberseminar in Epistemologie. Wo der Text bereits als übersetzte Theorie erscheint, bleibt für einen Meisterregisseur der zuspitzenden Übersetzung wenig Spielraum, und Konwitschny ist klug genug, sich dieser vollendet unvollendeten Oper behutsam und mit größtmöglicher Leichtigkeit anzunähern. Und das, wo sich der große Tanz ums Goldene Kalb für eine aktualisierende Medien- oder Kulturkritik der schlimmsten Art so vorzüglich anbietet. Dass er die "Stammesfürsten" des gefangenen Volkes Israel in Politikermasken auftreten lässt, und Schröder ein Tänzchen mit Angela Merkel hinlegt, ist da schon der Gipfel des Obszönen.
Und die Werktätigen in der Schmuddelkantine sind offenbar als jenes gefangene Ostvolk gesehen, denen einst auch ein Land versprochen wurde, in dem Milch und Honig fließen: blühende Landschaften. Aron aber, der die reine Lehre von Marx Moses oder Keynes mit dem politisch-psychologischen Volksvermögen zu vermitteln sucht, erlebt die Tragödie aller Sozialdemokratie, oder anderer dritter Wege. Es ist nix zu machen, die Verhältnisse, sie sind wirklich so.
Philosophisch wird notwendig gescheitert, politisch auch. Musikalisch nicht: Kompakt und hochverdichtet realisiert das Staatsorchester Schönbergs reine Lehre, dabei von betörender Klangschönheit. Frode Olsen gibt der Deklamationsrolle des Moses Kantabilität und Witz. Reiner Goldberg, noch einmal als Aron: "gewiss nicht mehr jung", singt der Chor über ihn, und man glaubt es, doch verfügt er über eine noch imponierende Strahlkraft und tenorale Beweglichkeit. Der verstärkte Chor der Hamburgischen Staatsoper meistert die enormen Anforderungen und agiert differenziert und auf Punkt. So gerät "Moses und Aron", fünfzig Jahre nach der konzertanten Uraufführung in Hamburg zu einem Triumph und Schlußstein von Ingo Metzmachers Vermittlungsarbeit für die Musik des 20. Jahrhunderts, und widerlegt die theoretische Unmöglichkeit: Der Dirigent Metzmacher überzeugt als unbestechlicher Sachwalter des musikalischen Gedankens und dessen beredter Vermittler, er ist Moses und Aron.
Schönbergs dritter Akt bleibt in Hamburg eine Fußnote fürs Programmheft. Peter Konwitschny interessiert an "Moses und Aron" weder Werk-Philologie noch Biographisches noch die Bibelgeschichten. Wie eben auch Schönbergs Libretto nicht nach Oper klingt, sondern in den zentralen Dialogen zwischen Moses und Aron eher wie ein Oberseminar in Epistemologie. Wo der Text bereits als übersetzte Theorie erscheint, bleibt für einen Meisterregisseur der zuspitzenden Übersetzung wenig Spielraum, und Konwitschny ist klug genug, sich dieser vollendet unvollendeten Oper behutsam und mit größtmöglicher Leichtigkeit anzunähern. Und das, wo sich der große Tanz ums Goldene Kalb für eine aktualisierende Medien- oder Kulturkritik der schlimmsten Art so vorzüglich anbietet. Dass er die "Stammesfürsten" des gefangenen Volkes Israel in Politikermasken auftreten lässt, und Schröder ein Tänzchen mit Angela Merkel hinlegt, ist da schon der Gipfel des Obszönen.
Und die Werktätigen in der Schmuddelkantine sind offenbar als jenes gefangene Ostvolk gesehen, denen einst auch ein Land versprochen wurde, in dem Milch und Honig fließen: blühende Landschaften. Aron aber, der die reine Lehre von Marx Moses oder Keynes mit dem politisch-psychologischen Volksvermögen zu vermitteln sucht, erlebt die Tragödie aller Sozialdemokratie, oder anderer dritter Wege. Es ist nix zu machen, die Verhältnisse, sie sind wirklich so.
Philosophisch wird notwendig gescheitert, politisch auch. Musikalisch nicht: Kompakt und hochverdichtet realisiert das Staatsorchester Schönbergs reine Lehre, dabei von betörender Klangschönheit. Frode Olsen gibt der Deklamationsrolle des Moses Kantabilität und Witz. Reiner Goldberg, noch einmal als Aron: "gewiss nicht mehr jung", singt der Chor über ihn, und man glaubt es, doch verfügt er über eine noch imponierende Strahlkraft und tenorale Beweglichkeit. Der verstärkte Chor der Hamburgischen Staatsoper meistert die enormen Anforderungen und agiert differenziert und auf Punkt. So gerät "Moses und Aron", fünfzig Jahre nach der konzertanten Uraufführung in Hamburg zu einem Triumph und Schlußstein von Ingo Metzmachers Vermittlungsarbeit für die Musik des 20. Jahrhunderts, und widerlegt die theoretische Unmöglichkeit: Der Dirigent Metzmacher überzeugt als unbestechlicher Sachwalter des musikalischen Gedankens und dessen beredter Vermittler, er ist Moses und Aron.