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Demokratie heizt nicht die Wohnung

Der Streit um die Gas-Lieferungen zwischen Russland und der Ukraine ist beigelegt. Die Ukraine zahlt künftig fast ein Drittel mehr für ihr Gas. Von vielen Ukrainern wird das scharf kritisiert. Die Vereinbarung ist zu einem Wahlkampfthema geworden, denn am 26. März wird im Lande ein neues Parlament gewählt. Florian Kellermann berichtet aus Kiew.

    Der Dnjepr, der zweitgrößte Fluss Europas, ist zugefroren. Ein eisiger Wind weht über die verschneite Fläche, es ist fünf Grad unter Null. Trotzdem verbringen einige Kiewer hier ihren Sonntagnachmittag. Rund 200 Männer sitzen vor der Silhouette der ukrainischen Hauptstadt – und angeln. Mit Bohrern – einen Meter groß – treiben sie Löcher in das Eis und werfen ihre Schnur aus. Nein, kalt sei ihm nicht, sagt der 57-jährige Alexander Litwinienko:

    "Man muss sich nur richtig anziehen. Schauen sie, wie ich meine Füße einpacke: Das sind ganz dicke Wollsocken, innen noch mit Pelz gefüttert. Gegen die Feuchtigkeit habe ich Überschuhe aus Gummi angezogen. Ich sitze von morgens um neun bis zum Sonnenuntergang hier, das macht mir gar nichts aus. Im Winter macht mir das Angeln sogar mehr Spaß. Ich sitze hier direkt über den Fischen und spüre förmlich, wie sie sich bewegen. Heute habe ich sogar einen Kaulbarsch gefangen."

    Alexander Litwinienko kauert auf seiner Holzkiste. Aus einem Alukanister zieht er eine Thermosflasche mit Tee. Er weiß, wie man es auf dem Eis aushält: Schon mit neun Jahren ging er zum ersten Mal zum Eisfischen.

    Nichts kann den Malermeister aus der Ruhe bringen, auch der Gaskompromiss zwischen Russland und er Ukraine nicht. Obwohl die Ukraine seiner Ansicht nach über den Tisch gezogen wurde.

    "Unser Präsident Juschtschenko ist zu weich. Deshalb hat er sich auch von Putin so einschüchtern lassen. Wir haben jetzt zwar die Demokratie. Ich kann meine Meinung sagen. Aber davon wird meine Wohnung nicht warm. Ich verdiene umgerechnet 200 Euro im Monat, meine Frau 60 Euro. Das Kilo Fleisch kostet heute schon fünf Euro!. Und nächsten Winter müssen wir auch noch mehr fürs Gas bezahlen. Da kommen uns die Fische, die ich fange, gerade recht."

    Zu Hause angekommen wird sich Alexander Litwinienko sofort an die Arbeit machen: Die kleineren Exemplare salzt er und trocknet sie auf dem Balkon - eine Delikatesse zu Bier. Die großen Fische friert er ein – für eine gute Suppe.

    Am härtesten wird die Erhöhung des Gaspreises die jungen Familien treffen, die noch weniger verdienen – zum Beispiel Igor und Oksana Losowoj. Schon heute haben es die beiden nicht gerade warm zu Hause. Die Leitungen der ukrainischen Fernwärme sind marode. Häufig bleiben die Heizkörper kalt. Das junge Ehepaar hilft sich da auf ukrainische Art: Sie heizen die Backröhre ihres Gasherdes ein.

    Trotzdem genießen Oksana und Igor Losowoj den ukrainischen Winter. Mit ihrer Freundin Tanja haben sie den Sonntagnachmittag mit Eislaufen auf dem Dnjepr verbracht. Nun, nach Sonnenuntergang, stehen sie auf einer der Flussinseln um ein kleines Lagerfeuer. Die 27-jährige Oksana ist begeistert.

    "Auch im Winter muss man doch was Schönes unternehmen. Wir grillen hier Würstchen im Schnee. Dazu ein bisschen Wodka – das ist doch perfekt. Aber egal, wie dieser Gaskompromiss nun aussieht: Wir leben in der Hauptstadt. Uns wird man wohl nicht erfrieren lassen. Ich glaube außerdem, dass es aufwärts geht mit Juschtschenko. Er hatte ja bisher nur ein Jahr Zeit, da konnte er nicht viel verändern."

    In einer Bar auf der Flussinsel, bei Tee und Konfekt, wärmen sich die Ausflügler noch ein bisschen auf. Ein Fernseher läuft – und das Gespräch kommt auf die Politik. Freundin Tanja ist grundsätzlich anderer Meinung als das Ehepaar.

    "Dieser ganze Streit mit Russland ist ein großer Fehler. In Westeuropa bauen sie Grenzen ab, und bei uns werden sie errichtet. Meine Schwester wohnt in Russland. Noch brauche ich nur meinen Personalausweis, um sie zu besuchen. Aber wenn die Beziehungen zwischen unseren Ländern noch schlechter werden, dann sehe ich schwarz. Dann muss ich bald einen Reisepass beantragen und am Ende noch ein Visum."

    Den Abend werden die Freunde nicht zu Hause verbringen. Mit der U-Bahn fahren sie noch in eine Diskothek. Zumindest für einige Stunden wollen sie den Gaspreis, den Streit mit Russland und ihre kalten Wohnungen vergessen.