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Demokratie

Gesucht: die beste aller Welten oder wenigstens die beste aller Regierungsformen. Seit fast dreitausend Jahren zerbricht sich der Mensch den Kopf, wie man immer größer und komplexer werdende Gemeinschaften gut und gerecht regiert. Doch das Spannungsfeld liegt eben in diesem Begriffspaar verborgen. Was gut im Sinne von "funktionell befriedigend" ist, erweist sich selten als gerechte Staatsform; umgekehrt kann ein überzogenes Gerechtigkeitsideal zur Lähmung im politischen Tagesgeschäft führen. So kommt es, dass vom athenischen Urmodell angefangen vielen demokratischen Versuchen dunkle Perioden des Rückfalls in undemokratische Verhältnisse beschieden waren. Außer Großbritannien und der Schweiz – mit freilich höchst unterschiedlichen Modellen der Volksbeteiligung – kann kein Land den Sigel historischer Beständigkeit erhalten, auch Amerika und Frankreich sind schlicht zu jung, um Prognosen über ihre Zukunft abzugeben.

Florian Felix Weyh | 11.04.2003
    Zwei schmale Bändchen aus der C.H.-Beck-Reihe "Wissen" beschäftigen sich nun mit der durch die Weltlage dringlich gewordenen Frage, ob Demokratie einen evolutionär gewachsenen Zivilisationshöchststand der Menschheit verkörpert (und damit implizit, ob sie exportierbar sei), oder ob sie doch nur eine von vielen pragmatischen Regierungsformen darstellt. Der Dresdner Politologe Hans Vorländer stellt zu Beginn seiner Ausführungen schon einmal ernüchternd klar, dass von rund 200 souveränen Staaten dieser Erde nur 75 "anspruchsvolle Demokratien" seien – also mehr als bloße Scheinalternativen bei Scheinwahlen zur Disposition stellen wie häufig in Afrika und Asien. Diese "anspruchsvollen Demokratien" beziehen sich historisch auf eine gestaffelte Ahnenreihe. Sie beginnt bei der athenischen "Volks-Macht" (nichts anderes heißt Demokratie), die zum ersten Mal auf Machtbrechung und Machtteilung setzte. Ganz anders die römische Republik, Ahnherrin Nummer zwei, in der kaum demokratische, sondern oligarchische Zustände herrschten, freilich gemildert durch einen formal ausgereiften Rechts- und Gesetzesstaat. Diese beiden Vorbilder standen Pate, als die Demokratietheoretiker der amerikanischen und französischen Revolution dem neuen, betörenden Gedanken der allgemeinen Menschenrechte folgten, nachdem das Gottesgnadentum mit seinem absoluten Herrschaftsanspruch gescheitert war. Wer von einem Naturrecht des bürgerlichen Individuums auf Freiheit, Unversehrtheit und Glückseligkeit ausgeht, der findet zwangsläufig zur Demokratie als einzig möglichen Staatsform. Freilich setzt das eine wie auch immer geartete Periode der Aufklärung mit der Trennung von Staat und Religion voraus – und die Etablierung des bürgerlichen Individuums als Träger des Staatsgedankens. Davon sind die meisten islamischen Länder auch im 21. Jahrhundert weit entfernt, was Hans Vorländer in der zwar nüchtern-sachlichen, aber zwischen den Zeilen skeptischen Berichterstattung nicht verschweigt. Sein Grundkurs fällt allerdings notgedrungen disproportional aus, denn bis er das grundlegende Wissen über die Ahnenreihe moderner Demokratien ausgebreitet hat, sind mehr als zwei Drittel der vom Verlag vorgegebenen Seitenzahl verbraucht. Das 20. Jahrhundert, vor allem die holprige Entwicklung der deutschen Demokratie, kommen entschieden zu kurz, ganz zu schweigen von prognostizierbaren Entwicklungen wie der Wahl per Internet, die den ehrwürdigen Gedanken der Volkssouveränität in neuem Licht erscheinen lassen.

    Dennoch eine brauchbare Orientierungslektüre, was man vom Parallelband "Die athenische Demokratie" kaum sagen kann. Hier muss das Verdikt lauten: "Thema übererfüllt, Zielgruppe verfehlt". Als Einführungsbändchen taugt der zwischen Philologie, Archäologie, Altertumswissenschaft und politischer Philosophie hin- und herschwankende, unübersichtlich strukturierte Diskurs der Erlangener Althistorikerin Angela Pabst überhaupt nicht. Er spiegelt weitaus mehr die universitären Denkgepflogenheiten wider als sich an wissbegierige Laien zu wenden. Quellenangaben sind der Autorin wichtiger als klare Aussagen, das akademisch-korrekte Bezweifeln alter Überlieferungen schlägt sich im unmäßigen Gebrauch des Verbes "scheinen" nieder. Alles scheint nur, wenig ist. Die sicher unendlich kenntnisreiche Autorin verirrt sich im Dschungel des eigenen Wissens und vermag nicht mehr zu antizipieren, was ein interessierter Laie an Vorkenntnissen mitbringt. Wer beide Bände lesen will, sollte daher unbedingt auf die richtige Reihenfolge achten: Ohne den "Demokratie"-Band von Hans Vorländer lässt sich "Die athenische Demokratie" von Angela Pabst nur mühsam erschließen.