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Démos-Projekt in der Philharmonie de Paris
Klassik als Chance für die Banlieue

Musik statt Fußball: In Paris zog es am Sonntag, während des EM-Achtelfinales, mehrere tausend Menschen in die Philharmonie de Paris, das neue, erst 2015 eröffnete Konzerthaus der französischen Hauptstadt. Dort zeigte ein Jugendorchester für Kinder in sozialen Brennpunkten sein Können – unterstützt von Frankreichs legendärem Fußballer Lilian Thuram.

Von Kathrin Hondl |
    Arbeiter schrubben den Boden vor der neuen Philharmonie de Paris am 13. Januar 2015 kurz vor ihrer Eröffnung am 14. Januar 2015 im Nordosten der französischen Hauptstadt.
    Die Annäherung an die Banlieue demonstriert das 2015 eröffnete neue Konzerthaus schon durch seine Lage am nordöstlichen Stadtrand. (AFP / JACQUES DEMARTHON)
    Sonntag Nachmittag in der Philharmonie de Paris. Während Frankreichs Fußballer das EM-Achtelfinale bestreiten, bereiten sich mehrere hundert Kinder auf das große Konzert der Démos-Orchester vor.
    "Ist jetzt Halbzeit?" fragt Lilian Thuram. Der ehemalige Fußballer und französischer Rekordnationalspieler ist der prominente Pate des Jugendorchesterprojekts. Beim großen Abschlusskonzert ist er natürlich dabei. EM hin oder her.
    "Es gibt ganz klare Prioritäten", sagt er "und das sind die Kinder! Als ich Pate des Projekts wurde, wusste ich natürlich nicht, dass heute das Achtelfinale ist, aber so oder so ist es für mich wichtiger heute hier zu sein und die Kinder im großen Konzertsaal zu erleben."
    Höhepunkt und Abschluss eines arbeitsreichen Jahres
    Kinder wie die 8-jährige Firdaous aus dem Pariser Vorort Nanterre.
    "Démos gefällt mir sehr", erzählt sie. "Weil ich Flöte spiele, das macht viele schöne Gefühle im Herzen. Und ich freue mich sehr, in einem der größten Konzertsäle der Welt zu spielen. Wir spielen Musik von Jean-Baptiste Lully, dem Hofkomponisten von Louis XIV."
    Der Auftritt im großen Konzertsaal der neuen Philharmonie de Paris ist Höhepunkt und Abschluss eines arbeitsreichen Jahres - jede Woche haben die Kinder mindestens vier Stunden Unterricht, außerdem regelmäßig Orchesterproben. Seit 2010 ermöglicht das Démos-Projekt so Kindern aus sozial benachteiligten Familien, Musikinstrumente zu lernen und auch gleich im Orchester zu spielen. Insgesamt neun Jugendorchester sind allein seit dem vergangenen Herbst entstanden, die meisten davon im Großraum Paris. Bis 2019, so der Plan, soll es in ganz Frankreich 30 Orchester mit 3.000 jungen Musikern geben. Fußballstar Lilian Thuram, der sich schon länger auch mit einer eigenen Stiftung für "Bildung gegen Rassismus" engagiert, unterstützt das Projekt mit Begeisterung.
    "In den benachteiligten Vierteln gibt es ja oft Rap-, Hip-Hop- oder Fußball-Projekte. Ich finde es aber gerade interessant, den Kindern Musikinstrumente zu geben. Das fördert das Verantwortungsbewusstsein. Die Kinder lernen sehr viel: Dass man üben muss zum Beispiel, und worauf es beim Zusammenspiel ankommt. Und vor allem entwickeln sie so das Wichtigste überhaupt, nämlich Selbstvertrauen und ein gutes Selbstwertgefühl."
    Lilian Thuram weiss, wovon er spricht. Er ist selbst in einem sogenannten Problemviertel in der Banlieue aufgewachsen.
    Sozial bedingten Hemmungen gegenüber klassischer Musik überwinden
    "Es erinnert mich an meine eigene Kindheit. Freitagnachmittags hörten wir mit unserer Grundschullehrerin immer klassische Musik, und ich liebte das. Aber ich traute mich nicht, das zuzugeben. Weil ich dachte, das gehört nicht zu uns, in unser Viertel. Mir war das irgendwie peinlich."
    Genau solche sozial bedingten Hemmungen gegenüber klassischer Musik will die Philharmonie de Paris überwinden. Die Annäherung an die Banlieue demonstriert das 2015 eröffnete neue Konzerthaus schon durch seine Lage am nordöstlichen Stadtrand. "Das Gebäude schaut in Richtung Banlieue", sagt Laurent Bayle, Philharmonie-Intendant und Initiator des Jugendprojekts.
    "Das ist ganz wichtig: Nicht nur die Kinder kommen in die Philharmonie. Die Philharmonie kommt zu den Kindern und arbeitet mit ihnen in ihren Wohnvierteln. Musik ist keine Kunst, die die Gesellschaft spaltet!"
    Und die Philharmonie de Paris ist weit mehr als ein Konzertsaal mit exzellenter Akustik. Sie ist ein kulturpolitisches Großprojekt, das die gesellschaftlichen Probleme Frankreichs im Blick hat – und tatsächlich anpackt.