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Den Anstoß gab Lotte

Auf der britischen Insel hatte die Arbeiterin Grace Sibbert schon 13 Jahre vorher den Ball ins Rollen gebracht: Mit ihrem Team, den "Dick, Kerr Ladies", begeisterte Sibbert nicht nur andere Mädchen und Frauen im Norden Englands für den Frauen-Fußball, auch tausende von Zuschauern jubelten ihnen zu.

Von Bianca Schreiber-Rietig | 29.05.2011
    Nicht gejubelt wurde dagegen, als am 27. März 1930 eine 18-Jährige auf dem Titel der "Frankfurter Illustrierten" abgedruckt war. Mit Baskenmütze, legerem Trikot, kurzen Hosen, dreckigen Knien, Fußballstutzen und -stiefeln blickte die junge Frau leicht verunsichert in die Kamera. Neugierige und Klatschmäuler machten sich auf den Weg ins Frankfurter Gallusviertel, wo die junge Dame als Verkäuferin in der Metzgerei Specht arbeitete. Vielleicht würde man ja Zeuge eines handfesten Hauskrachs zwischen dem Metzgermeister Specht und seiner Tochter Lotte werden.

    Mit ihrem Bild auf dem Titel der Zeitschrift sorgte sie zusammen mit einigen Freundinnen für einen Skandal. Da schienen also nun auch in Deutschland brave Bürgertöchter total übergeschnappt zu sein - sie spielten Fußball. Und nicht genug damit - das stand auch noch in der Zeitung.

    Lotte Specht, die später in Frankfurt auch als Kabarettisten und Gründerin der ersten Mundartbühne bekannt wurde, beschrieb die Reaktion der Eltern und der Öffentlichkeit:

    "Die waren alle ziemlich böse. Wir waren die schwarzen Schafe. Das gehörte sich nicht. Und in der Öffentlichkeit wurden wir förmlich zerrissen."

    Für sie lief es ziemlich glimpflich ab - zumindest familiär: Ihr Vater beruhigte sich nach einigen Tagen, stellte eine Aushilfskraft ein und wartete, dass sich Lottes Fußball-Leidenschaft legen würde. Doch das dauerte. Lotte animierte auch andere Töchter. Viele von ihnen langweilten sich, wollten mit dem Abenteuer Fußball nicht zuletzt auch die spießige Gesellschaft provozieren.

    Nach kurzer Zeit trainierten sonntags auf der Sachsenhäuser Seehofwiese 35 Mädchen zwischen 18 und 20 Jahren unter den gestrengen Augen eines Trainers, begleitet von lästernden männlichen Zuschauern.

    "Sie haben uns veräppelt und haben uns Suffragetten genannt und schwule Weiber….."

    erinnerte sich Lotte Specht. Während die Herren am Spielfeldrand sich als Machos aufführten, waren die Fußballkollegen dagegen sehr tolerant und hilfsbereit.

    Nachdem der Zulauf immer größer wurde, gründeten die Damen den ersten Deutschen Frauenfußball-Klub - allerdings ohne Erfolgsaussichten, ein eingetragener Verein oder gar Mitglied beim Deutschen Fußball-Bund zu werden. Dort löste die Aktion höchste Empörung aus. "Das fehlt noch, dass die Weiber uns hier auch das Leben schwer machen", soll ein Funktionär beim wöchentlichen Stammtisch getobt haben, als er von der Gründungsversammlung im Steinernen Haus gehört hatte. Man müsse sie zur Räson bringen.

    Die Frauen und auch andere Fußballvereine ließen sich zunächst nicht beirren. Doch mit der Zeit verloren die Frankfurterinnen mehr und mehr die Freude am Spiel. Nicht nur nörgelnde Familienangehörige und Funktionäre nervten, auch die Herren Zeitungsreporter schlugen nun heftig auf die Kickerinnen und ihre Sympathisantinnen ein. Die meisten Kommentare aus dieser Zeit waren niederträchtig. Nur wenige Reporter wie P. E. Hahn von der "Frankfurter Illustrierten" bemühten sich, über Frauenfußball neutral zu berichten.

    Doch auch die wohlmeinende Unterstützung half nichts:

    "Wir waren einfach ein Ärgernis",

    so Lotte Specht. Vor allem auch für die Nazis: Der Weg des deutschen Mädels und der deutschen Frau war von den braunen Ideologen anders geplant. Ende 1931 kam das Aus für die Fußballerinnen.

    "Einige Mädchen hielten dem Druck nicht mehr stand, und letztendlich waren wir dann doch ein politisches Opfer", "

    erzählte Lotte Specht: Man vermutete hinter den streitbaren Töchtern auch eine andere politische Gesinnung und verbot den Klub.

    Im Nachkriegsdeutschland war Frankfurt zunächst wieder Mittelpunkt des Frauen-fußballs. In Niederrad wurde der Verein "Oberst Schiel" gegründet. Der Fußballsportverein FSV zog nach, und dann kam die SG Praunheim. 22 Jahre wirbelte beim FSV Monika Koch-Emsermann als Spielerin, Trainerin und Funktionärin.

    Die Probleme, die Jahrzehnte vorher die Fußball-Pionierinnen hatten, kamen Koch-Emsermann sehr bekannt vor.

    ""Als fange man bei Null an, in der Steinzeit",

    erzählte sie 1993 auf der Trainerbank und zog damals ein bitteres Fazit:

    "Frauenfußball ist immer noch nicht so anerkannt, wie es ihm eigentlich gebührt - trotz großer Erfolge, trotz enormen Zulaufs."

    Das änderte sich nicht zuletzt dank einer resoluten und durchsetzungskräftigen Hamburgerin: Hannelore Ratzeburg. Sie war zunächst als Spielerin am Ball. Seit 1971 arbeitet sie als Funktionärin und ist seitdem immer noch der prägende Kopf des deutschen Frauenfußballs. Viele, die ihren Weg verfolgt haben, ziehen den Hut. Denn: Es war für die junge Frau damals kein Zuckerschlecken, sich in der DFB-Herrenrunde Gehör zu verschaffen.

    "Am Anfang war das Schlimmste, dass ich überhaupt nicht unterstützt wurde. Manchmal wollte ich alles hinschmeißen, es war sehr mühsam, und ich fühlte mich allein gelassen"

    Präsidenten kamen und gingen - Hannelore Ratzeburg ist immer noch da. Und der Frauenfußball hat mittlerweile ein gutes Standing - nicht zuletzt aus Selbsterhaltungsgründen. "Die Zukunft des DFB ist weiblich", sagt deshalb DFB-Boss Theo Zwanziger, der aber nicht nur aus demographischen und an der Mitgliederstatistik orientierten Gründen bekennender Frauen-Fußball-Fan ist - sondern aus "Überzeugung", wie er betont.

    Die Frauen rückten mehr ins Blickfeld, als die FIFA sich interessiert zeigte, National-Teams zugelassen wurden, man mit Länderspielen und anderen internationalen Ereignissen anfing, auch hier einen Markt zu wittern. Als das erste Länderspiel gegen die Schweiz am 10. November 1982 ausgetragen wurde, dachte von den Akteurinnen niemand an das große Geld. Da gab es andere Probleme zu lösen. Gero Bisanz, Bundestrainer von1982 bis 1996, musste erst einmal schauen, wie er genügend Spielerinnen zusammen bekam. Es gab keine Strukturen, auf die man hätte zurück-greifen können.

    "Wir haben zunächst einmal suchen müssen nach Spielerinnen, die schon jahre-lang oder mehrere Jahre Training hatten. Ich brauchte ja zum Aufbau einer Mann-schaft zunächst mal eine Grundlage und das waren damals ja nur einige, wenige Mannschaften in Deutschland, die Fußball spielten und die auch schon ganz gute Spielerinnen hatten. Aber um eine Nationalmannschaft aufzubauen musste man mit jungen Spielerinnen arbeiten und diese jungen Spielerinnen habe ich dann in den ersten zwei, drei, vier Jahren gesucht und letztlich auch gefunden."

    Die erste DFB-Auswahl setzte sich hauptsächlich aus Spielerinnen der SSG Bergisch-Gladbach zusammen, und Bisanz reaktivierte seine Co-Trainerin Anne Trabant-Haarbach, für die sich als Spielführerin ein Traum erfüllte. Acht Mal spielte sie im Nationaltrikot - und sie war schon nach ihrem ersten Auftritt überzeugt, dass die Auswahl Zukunft hat.

    "Die Aufbauarbeit ist erledigt", hatte Bisanz augenzwinkernd bei der Staffelübergabe an seine Nachfolgerin Tina Theune-Meyer gesagt. Sie war seine Co-Trainerin, immer auf der Suche nach neuen Talenten. Und sie war die Frau, bei der man auch mal Probleme abladen konnte. Theune-Meyer arbeitete eher im Stillen, zeigte sich scheu im Umgang mit Medien. Auch bei ihrem größten Erfolg, dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2003, hielt sie sich bescheiden zurück.

    Ganz anders ihre Nachfolgerin Sylvia Neid, die 2005 übernahm. Schnippisch und kess war sie schon als Spielerin, und auch als Trainerin lässt sich die 47-jährige nicht von fragenden Journalisten irritieren. Sie verkörpert das Selbstbewusstsein des deutschen Frauenfußballs.

    Die Kickerinnen, die im Verhältnis zu ihren Profikollegen immer noch in vielerlei Hinsicht schlechter behandelt werden, bewegen sich mittlerweile nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf dem Sponsorenparkett erfolgreich. Sie haben Starqualitäten der anderen Art.

    Wie Birgit Prinz. Die eigenwillige, außergewöhnliche Spielerin, die dreimal Weltfuß-ballerin des Jahres wurde, ist der Kopf der Nationalmannschaft. Die Frankfurterin ist auf dem Platz kaum wiederzuerkennen: Ungestüm, temperamentvoll, mit unbändigen Siegeswillen. Am Spielfeldrand wirkt sie dann eher zugeknöpft, möchte von den Medien nicht herumgereicht werden und will auch noch ein Leben außerhalb des Fußballs haben. Auch das macht Birgit Prinz neben ihren spielerischen Qualitäten in der Welt abseits des Rasens zu etwas Besonderem - einem Vorbild.

    Keine Probleme mit Rummel um sich herum hat dagegen Steffi Jones. Die ehemalige Nationalspielerin, die eine ebenso unruhige wie erfolgreiche Fußball-Karriere hinter sich hatte, startete noch einmal durch - als Funktionärin. Vom Frankfurter Stadtteil Bonames reiste sie jetzt um die Welt und machte als Präsidentin des Organisations-komitees Werbung für die Weltmeisterschaft. Charmant und überzeugend.

    Und so schließt sich der Kreis mit zwei "Frankforder Mädche": Lotte Specht leistete Pionierarbeit im deutschen Frauenfußball, Steffi Jones ist 81 Jahre später das Gesicht der Frauen-Fußball-WM in Deutschland. Und ohne die Hamburger Lehrerin Hannelore Ratzeburg wäre die Realisierung der Fußball-Träume vieler kleiner und großer Kickerinnen nicht möglich gewesen.