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Den Einfluss der Kritiker aushebeln

Auch Zeitungen in den USA müssen ums Überleben kämpfen und sich angesichts neuer Verbreitungswege überlegen, wie sie konkurrenzfähig bleiben. Von dieser Krise auch betroffen ist der Kulturteil der Zeitungen. Besonders den Filmkritikern scheint man dabei nicht mehr allzu viel Bedeutung zu schenken: Immer mehr von ihnen verlieren ihren Job.

Von Gregor Peter Schmitz | 20.04.2008
    Die "Salt Lake Tribune" hat gerade eine Liste veröffentlicht. Darauf stehen die Namen der US-Filmkritiker, die in den letzten zwei Jahren ihren Job verloren haben. 27 Namen umfasst die Aufstellung mittlerweile schon. Schlimmer noch: Die "Tribune"-Macher rechnen damit, die Liste bereits bald aktualisieren zu müssen.

    Stirbt der professionelle Filmkritiker in US-Printmedien aus? Das ist die Frage, die im Land mit der noch immer wichtigsten Filmindustrie der Welt derzeit heftig diskutiert wird. Angesichts sinkender Auflagenzahlen bauen amerikanische Verleger gerade in großem Stil Stellen ab. Insbesondere bei Lokalzeitungen fliegen die Kritiker als eine der Ersten raus, weil sich die Blätter lieber auf national verbreitete Rezensionen verlassen. Mehr als 12 Tageszeitungen haben sich in jüngerer Zeit von hauptamtlichen Filmkritikern verabschiedet. Doch auch für ihre cineastischen Rezensionen bekannte Wochenblätter wie die "Village Voice" oder "Newsweek" sparen.

    Ein Grund dafür: Gerade bei jüngeren Lesern werden Online-Seiten, die einfach eine Zusammenstellung aller veröffentlichten Besprechungen bieten, immer populärer. Zudem sind in einem journalistischen Umfeld, das sich in den USA immer stärker an Dienstleistungsmaßstäben orientiert, anspruchsvolle Kritiken, die über die Frage "Top oder Flop?" hinausgehen, fast Fremdkörper geworden.

    Darin sehen viele eine Katastrophe für den künstlerischen Film. "Ein schrecklicher Verlust", klagt Tom Bernard von "Sony Pictures Classic" in der "New York Times" auf. Immerhin dienten die Kritiker auch als Chronisten von Filmschulen und cineastischen Trends. Verfechter dieser Kritiker-Qualitäten fürchten vor allem, dass künstlerische Streifen kaum noch Beachtung finden werden - weil die nicht wie die großen Studios viel Geld für Marketing ausgeben können. Filme mit kleinem Budget wie das jüngst bei den Oskars erfolgreiche "Juno" oder die unkonventionelle Western-Adaption "No Country for Old Men" hätten ohne Kritiker-Unterstützung kaum ein breites Publikum gefunden.

    Die großen Film-Studios hingegen dürften frohlocken. Das Ausdünnen der Kritiker-Reihen macht deren Marketingarbeit leichter. Seit langem bemühen sich die Studios, den Einfluss der Kritiker auszuhebeln. In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte über gekaufte oder manipulierte Bewertungen. So bezahlte Sony eine Strafe von 1.5 Millionen Dollar nach dem Skandal um überschwängliches Lob für Sony-Filme von Filmkritiker David Manning - der aber leider frei erfunden war. Die Studios versuchen gerade bei Filmen mit großem Budget, durch geschicktes Marketing Im Vorfeld die Zuschauer früh für den Film zu begeistern - so dass auch miese Kritiken am Eröffnungswochenende die nicht mehr vom Besuch abhalten. Bei Filmen wie "Jackass" - kommerziell erfolgreich, aber von Kritikern zerpflückt - verbündeten sie sich sogar mit dem Publikum gegen professionelle Filmbeobachter. Der Werbespot für den Film zitierte genüsslich die vielen vernichtenden Besprechungen und endete mit dem Satz: "Schade für sie, aber wir haben gerade Teil 2 gemacht".

    Andere Film-Experten sehen die Entwicklung jedoch weit weniger dramatisch. Ihr Argument: Kritiker haben sich ohnehin vom Publikums-Geschmack immer weiter entfernt und schreiben vor allem für sich selbst oder für ihre Kollegen. Zudem überschätzten viele von ihnen die eigene Bedeutung: In einer Umfrage unter Filmstudenten in Kalifornien hat "Los Angeles Times"-Autor Patrick Goldstein herausgefunden, dass selbst die nicht den Namen eines einzigen ernsthaften Kritikers benennen können. Der einzige, dessen Name sich eingeprägt hat, ist einer, der nicht gerade für ausgefeilte Kritiken bekannt ist: Roger Ebert aus Chicago. Der ist Kolumnist und Star einer populären TV-Sendung über Filme, in der auch wenig anspruchsvolle cineastische Machwerke vergnügt besprochen werden.

    Soeben verkündete Ebert, er werde nach einer schweren Krebsoperation wieder zum Schreiben zurückkehren. Der Filmkritiker der "New York Times" - sonst nicht immer ein Freund massentauglicher Rezensionen - umarmte Ebert prompt vor wenigen Tagen als einen der "wenigen authentischen Giganten" der Profession.

    In der Krise müssen halt alle zusammenhalten.