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Den politischen Transformationsprozess kennen lernen

Sommerschulen gibt es wie Sand am Meer. Nichts schöneres, als den tristen Hörsaal zu verlassen und in die Welt zu gehen, um selbige kennen zu lernen. Auch die Technische Universität in Chemnitz veranstaltet in diesem Jahr erstmals eine Sommerschule - und zwar für amerikanische Elitestudenten zum Europa-Schnuppern.

    Chemnitz ist dabei allerdings nur eine Station. Es geht um Zentraleuropa, ethnische Minderheiten und den politischen Transformationsprozess im Osten.

    Dagmar Speiser steht mit über 20 sehr jungen, aufmerksamen Amerikanern im Hof eines Plattenbaus und zeigt die neuesten Errungenschaften des Wohnheims. In dem 6-Geschosser am Rande des riesigen Fritz-Heckert-Neubaugebietes wohnen 150 Aussiedler. Auch Dagmar Speiser kommt aus der ehemaligen Sowjetunion - jetzt betreut sie im Auftrag der Caritas ihre Landsleute. Ausführlich antwortet sie die Fragen der Studenten:

    Zuerst kriegen die Leute einen Sprachkurs und dann wird sehr viel unternommen, zum Beispiel die Leute umzuschulen, vielleicht Ausbildungen. In Chemnitz wird sehr viel gemacht. Nur leider gibt es hier nicht viel Arbeit.

    Scott Gissendanner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Technischen Universität Chemnitz und nebenbei auch der Dolmetscher für die Gäste aus den USA. Mit dem Ausflug in das Wohnheim wird das Thema multikulturelle Gesellschaft von einer ganz praktischen Seite angegangen, meint der junge Mann aus Georgia:

    Es ist schwierig zu verstehen, dass der Staat nicht direkt auftritt, sondern durch öffentliche Träger wie die Arbeiterwohlfahrt. Das wollte ich den Studenten zeigen.

    Chemnitz ist für die amerikanischen Elitestudenten sowieso ein Erlebnis. In Tübingen, wo ihre Sommerschule startete, konnten sie noch auf die Unterstützung von Studenten aus den USA hoffen. In Chemnitz müssen sich die knapp 20-Jährigen ohne eigene Deutsch-Kenntnisse allein durchbeißen. Zwar hat die Uni ihnen Freizeit-Hiwis und Tutoren zur Seite gestellt - das Abenteuer Osten mindert das aber nicht.

    Ich weiß, dass es anders ist, als Amerikaner sich vorstellen können. Man sollte ohne Vorstellungen herkommen und auf eine Erleuchtung hoffen. Ich staune, weil es sehr anders ist als da, wo ich herkomme, ich bin sehr positiv beeindruckt von den Leuten, die hier zusammen arbeiten, um etwas zu erreichen, was nur schwer zu erreichen ist.

    Ganz hautnah werden die Gäste der TU Chemnitz auch den politischen und sozioökologischen Transformationsprozess erleben - bei Gesprächen mit Führungseliten aus Betrieben vor und nach der Wende, weiß die Direktorin des International Office, Christine Bohnet:

    Es wird einen Schwerpunkt geben zu Restrukturierung und Privatisierung von ostdeutschen Betrieben. Das wird für die Amerikaner sehr interessant werden, weil hier auch Maschinen hergestellt werden, die dann nachher an amerikanische Auftraggeber verschickt werden.

    Doch Chemnitz ist sozusagen nur die Mitte des Europa-Aufenthaltes für die 22 jungen Leute aus New York. Weitere Stationen der insgesamt 11wöchigen Tour werden das rumänische Cluj-Napoca und Budapest sein - die Teilnehmer der Sommerschule rücken also immer weiter nach Osten vor:

    Die Studenten bekommen so ein buntes, teilweise gegensätzliches Bild. Sie können zwischen Ost- und Westdeutschland vergleichen, sehen dann noch Cluj-Napoca, eine sehr arme Stadt und zum Abschluss Budapest, die goldene Stadt.