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Denkfabrik: Gott im Grundgesetz, Teil 4
Wie offen ist das Grundgesetz für andere Religionen?

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat "unsere Verfassung" als "offen für andere Religionsgemeinschaften" bezeichnet. Sie müssten aber bestimmte Anforderungen erfüllen," sagte die Juristin und ehemalige Bundesjustizministerin im Dlf.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Andreas Main | 26.04.2019
Jesusfigur auf dem Grundgesetz
Das Grundgesetz schützt Religionen und Weltanschauungen (imago images / Steinach)
Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Antisemitismus-Beauftragte des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Sie war lange Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin. Sie hat Mitte März im Verlag "wbg Theiss" ein Buch vorgelegt zu '70 Jahre Grundgesetz' - mit dem Titel: "Angst essen Freiheit auf. Warum wir unsere Grundrechte schützen müssen".
Andreas Main: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die am meisten diskutierte Religionsgemeinschaft dieser Tage ist sicher der Islam. Das Wort "Islam" oder "Muslim" kommt im Grundgesetz natürlich nicht vor, aber lassen Sie uns nachdenken über den Geist des Grundgesetzes, seine innere Ausrichtung. Wie offen ist das Grundgesetz für andere Religionsgemeinschaften?
"Es besteht keine Staatskirche."
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Also, zunächst einmal sagt es ja ganz deutlich, dass es keine Staatskirche gibt, also nicht die Dominanz einer Kirche, die damit quasi auch eine Richtung vorgibt. Und die Verfassung ist, indem sie die Regelungen aus der früheren Weimarer Verfassung inkorporiert hat in unser Grundgesetz, offen, wenn Religionsgemeinschaften oder Religionsgesellschaften, wie das Grundgesetz sagt, bestimmte Anforderungen erfüllen. Das Grundgesetz sagt ganz klar: Der Staat muss wertneutral sein und darf nicht vorgeben, welche Religion Sie ausüben wollen.
Im Islam fehlt der Ansprechpartner
Main: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist wichtig, dass es einen Zusammenschluss gibt innerhalb dieser Religionsgemeinschaft. Das ist bei den christlichen Kirchen vollkommen unkritisch, es gibt die jüdischen Gemeinden, auch sie bilden eine Körperschaft und sind anerkannt im Sinne des Artikels 137 Weimarer Verfassung, der eben jetzt auch im Grundgesetz durch den Artikel 140 gilt, um einfach mal die Ziffern zu nennen.
Die Moschee der Ditib in Köln.
Lange war die Ditib ein wichtiger Kooperationspartner der Bundesregierung - seit Jahren steht der Verband aber in der Kritik (dpa-Bildfunk / Oliver Berg)
Und beim Islam wird es etwas schwieriger: Da gibt es viele Verbände, Organisationen, Vereinigungen, den Zentralrat der Muslime, die immer einen gewissen Teil von hier lebenden Muslimen vertreten, aber nie so einen Anspruch erheben können, nun für die Muslime in Deutschland sprechen zu können. Und deshalb gibt es da die Schwierigkeit, inwieweit die Anforderungen durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts oder andere Formen des Zusammenschlusses erfüllt sind, damit dann auch diese staatskirchenrechtlichen Bestimmungen gelten können.
"Religion ist zunächst in ihren Inhalten frei"
Main: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben eben gesagt, das Grundgesetz ist eindeutig offen für andere Religionsgemeinschaften, einfach schon wegen des Satzes, dass es keine Staatskirche gibt. Aber hat Religionsfreiheit auch Grenzen? Oder anders gefragt: Schützt das Grundgesetz auch Religionsgemeinschaften oder Religionsvertreter, die das Grundgesetz ablehnen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist eine hochspannende Frage. Und wir kommen jetzt zu dem Punkt, dass es einmal diese organisatorischen Fragen gibt, über die wir bisher gesprochen haben. Dann spricht man vom sogenannten Staatskirchenrecht, also organisatorische Regelungen...
Main: ...oder auch Religionsverfassungsrecht.
Leutheusser-Schnarrenberger: Religionsverfassungsrecht, das ist jetzt noch nicht das Recht des Einzelnen, einer Religion anzugehören, denn diese Religionsfreiheit ist dann in Artikel 4 Grundgesetz gewährleistet. Aber wie frei kann so eine Religion sich inhaltlich entwickeln? Und das ist sehr spannend! Der Staat ist wertneutral und darf damit keine Vorgaben einer Religion machen, so dass nicht zwingend vorgeschrieben ist, dass auch alle Inhalte einer Religion tatsächlich allen Grundgesetzartikeln entsprechen. Also da kann man zum Beispiel sagen: Frauen dürfen nicht ein religiöses Amt oder ein theologisches Amt ausüben - das erleben wir ja auch bei der katholischen Kirche. Also da ist eine Religion zunächst mal in ihren Inhalten frei. Aber auch das gilt nicht ganz grenzenlos.
"Religionsfreiheit steht nicht außerhalb der Verfassung"
Main: Sie schreiben in Ihrem Buch wortwörtlich: "Eine Religion muss nicht verfassungskonform sein." Zitat Ende. Das erstaunt auf den ersten Blick. Schlägt da nicht eine liberale Grundhaltung, die Sie sicherlich prägt, um in eine, sagen wir mal, Beliebigkeit, in eine Pseudotoleranz, der alles egal ist?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, auf gar keinen Fall. Denn man muss unterscheiden: Einmal eine Religion und ihr Innenleben ist das Eine. Und da sagt eben nicht das Grundgesetz, wie soll so ein Inhalt dieser Religion sein. Aber die Ausübung der Religion, die muss sich natürlich ganz unstreitig im Rahmen unseres Grundgesetzes bewegen. Und es gibt auch gewisse Grenzen für das Innenleben so einer Religionsgemeinschaft: Es darf also nicht mit Zwang, mit Unterdrückung, auch intern, agiert werden, sondern auch da gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit, also Selbstentfaltung, Verantwortung des Einzelnen.
Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im März 2017
Zwischen Inhalt und Ausübung der Religion muss unterschieden werden, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (picture alliance/ dpa/ Michael Kappeler)
Main: Das heißt, wenn gestern Heiner Bielefeldt, Menschenrechtsexperte und Theologe, wortwörtlich gesagt hat: "Religionsfreiheit steht nicht außerhalb der Verfassung", würden Sie das dann unterschreiben oder steht das im Widerspruch zu Ihrem Satz, "eine Religion muss nicht verfassungskonform sein"?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, das steht nicht im Widerspruch, denn Religionsfreiheit, natürlich, steht nicht außerhalb der Verfassung, denn ich kann mit Religion nicht Ziele verfolgen, die den Sturz unserer Demokratie, unserer Verfassungsinstitutionen zum Inhalt haben.
Der Verfassungsschutz muss hinschauen
Main: Wo sehen Sie diese Gefahr? In welchen Religionsgemeinschaften?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben ja noch in Erinnerung, dass, gerade mit Blick auf einige muslimische Organisationen, der Verfassungsschutz hingeschaut hat, weil dort auch die Gefahr bestand, möglicherweise Spionagetätigkeiten oder anderes, Bespitzelungen, auch Unterdrückungen, vorzunehmen. Dann muss der Geheimdienst in Deutschland, der für die Achtung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung und ihre Verteidigung zuständig ist, da auch die Augen aufmachen. Da darf man die Augen nicht verschließen vor möglicherweise Tendenzen, die eben über ein friedliches Zusammenleben hinausgehen.
Bei der Gleichstellung gibt es Handlungsbedarf
Main: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, jetzt haben wir viel über den Islam geredet, mal darüber hinaus: Inwieweit ist jener Satz des Grundgesetzes umgesetzt, den wir eben gehört haben: "Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen"?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, Sie sprechen damit an natürlich auf die Vereinigungen oder auch Verbände, die eben gerade sagen, wir sind nicht einer Religion verpflichtet, sondern wir sind einfach weltanschaulich neutral. Und wenn man sich da die Realität anschaut, denn es gibt diese Organisationen – ich denke zum Beispiel an den Humanistischen Verband, der auf Bund- und Länderebene organisiert ist -, dann kämpft er doch ständig auch um entsprechende Berücksichtigung, Beachtung, auch gerade da, wo er sich einbringt, auch im weltanschaulichen Unterricht, zum Beispiel Ethikunterricht, um die entsprechende finanzielle Unterstützung. Von daher ist da nicht alles so gleich, wie man sich das vielleicht wünschen würde.
Ich glaube, dass es wichtig ist, auch in Deutschland, wegen unserer Offenheit, unserer Pluralität, auch mit Blick eben auf Religionen und Weltanschauungen , auch den Vereinigungen die Unterstützung zu geben, die eben hier jetzt nicht ein christliches Bekenntnis oder ein anderes religiöses Bekenntnis vertreten, aber weltanschaulich sich einbringen und genau diese Vorstellungen von der Individualität des Menschen und seiner Verantwortung vermitteln wollen.
"Es darf keine Benachteiligungen geben"
Main: Nehmen wir mal noch ein anderes Beispiel. Das Nachdenken über das Grundgesetz ist ja auch Wunsch der Deutschlandfunk-Hörerinnen und -Hörer gewesen und wurde so zum Teil unseres Projekts "Denkfabrik". Und da nehme ich jetzt auch gerne mal einen Hörer ernst, der mit vielleicht einer etwas ungewöhnlichen Frage an uns herangetreten ist. Er schreibt wörtlich: "Neu-Pantheistische Glaubensgemeinschaften werden seitens der Behörden nirgendwo den Kirchenreligionen gleichgestellt oder seitens der Printmedien oder öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten als Religion erwähnt oder wahrgenommen – und oft genug sogar diskriminiert." Zitat Ende. Mal abgesehen davon, dass wir solche Religionsgemeinschaften durchaus hier in der Sendung immer wieder thematisieren, würden Sie dafür plädieren, Pantheisten oder Neu-Heiden oder wie auch immer einen kirchenähnlichen Status zu geben?
Leutheusser-Schnarrenberger: Also, natürlich geht es dann darum, wie sie sich zusammensetzen. Aber ich gehe jetzt mal davon aus, dass es da überhaupt keinerlei Bedenken gibt. Es darf nicht irgendeine Organisation gewählt werden, um dann möglicherweise Bestrebungen eben zu verfolgen, die nicht unterstützenswert sind - mit Blick auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Aber sonst bin ich der Meinung: Ja, es ist richtig, dass es dann auch nicht Benachteiligungen geben darf.
"Es ist unterstützenswert, dass Menschen sich um Orientierung bemühen"
Main: Aber religiöses Leben faltet sich immer weiter auf. Führt das nicht am Ende, wenn jede kleine Religionsgruppe oder weltanschauliche Gruppe Körperschaft öffentlichen Rechts wird – und dann zum Beispiel Steuern einziehen kann wie die Kirchen -, führt das nicht letzten Endes zu gesellschaftlicher Fragmentierung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Also, wir haben jetzt ja auch schon ziemlich viele Körperschaften des öffentlichen Rechts, die vielen überhaupt nicht bewusst sind. Ich sehe nicht, dass mit Zulassung auch kleinerer Religionsgemeinschaften als Körperschaften wir eine solche Fragmentierung bekommen, dass Orientierungslosigkeit entsteht. Menschen suchen ja gerade Orientierung. Sie finden sie in den Kirchen, in Religionsgemeinschaften, in Glaubensgemeinschaften, aber eben auch daneben.
Und ich finde, es ist wirklich aller Unterstützung wert, dass Menschen sich um Orientierung bemühen, als dass sie in unserer Gemeinschaft leben und sich auf gar keine Weise damit irgendwie identifizieren können. Es ist gut, wenn sich in einer gewissen Gruppe wohlfühlen, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ich denke, all das, was da doch auch zu einer gewissen Identität und zu einem Sich-zu-Hause-Fühlen beiträgt, das ist doch eher eine positive Entwicklung. Und ich befürchte nicht, dass wir hier einen Auseinanderfall der Gesellschaft in zu viele kleine Religionseinheiten hätten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.