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Denkmal für einen unbekannten Komponisten

Der französische Komponist Max d'Ollone ist nicht einmal in den einschlägigen Musiklexika verzeichnet. Zu Unrecht, denn seine Orchesterwerke sind hörenswert. Das hat auch der Dirigent Hervé Niquet entdeckt und sich d'Ollones Werke mit Chor und Orchester vorgenommen.

Von Ludwig Rink |
    Wenn Sie von einem französischen Komponisten namens Max d’Ollone noch nie etwas gehört haben, so befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Denn selbst das ansonsten sehr ausführliche Standard-Musiklexikon "Musik in Geschichte und Gegenwart" verzeichnet keinen Eintrag zu diesem Musiker. Und doch war dieser Schüler von Jules Massenet und Zeitgenosse von Richard Strauss kein unbedeutender Komponist. Neben elf Opern und einem Ballett schrieb er einige Orchesterwerke, Kammermusik und Lieder. Außerdem wirkte er als Direktor der Pariser Opera Comique, als Professor für Kammermusik am dortigen Conservatoire, als Inspektor für den Musikunterricht, als Dirigent und Musikwissenschaftler. Wenn Sie wollen, können Sie die Musik von Max d’Ollone in den nächsten 20 Minuten etwas näher kennenlernen. Dazu begrüßt Sie am Mikrofon Ludwig Rink.

    Max d‘Ollone: Frédégonde: Prélude

    Dieses "Prélude" zur Kantate "Frédégonde" von Max d’Ollone war mit dabei, als man vor etwa zehn Jahren in der französischen Nationalbibliothek Partituren von Kantaten und "Lyrischen Szenen" entdeckte, die von heute weitgehend unbekannten französischen Komponisten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Erstes Durchspielen am Klavier weckte bei den Forschern weiteres Interesse und führte zu zusätzlichen Recherchen. Im Laufe der Jahre entstand ein Schatz von etwa 200 Werken, die alle eins gemeinsam hatten: Sie wurden als Wettbewerbsstücke für einen berühmten Kompositionspreis geschrieben und verschwanden danach in der Versenkung. Die meisten davon existieren auch heute noch nur in Manuskriptform, wurden nie gedruckt oder aufgeführt, obwohl sich darunter auch Werke so bekannter Komponisten wie Charles Gounod, Georges Bizet, Jules Massenet oder Paul Dukas finden.

    Eine Stiftung hat sich diesem Schatz angenommen: Es geht um Aufarbeitung und Drucklegung der Werke auf der einen und Einspielung und Konservierung auf Tonträgern auf der anderen Seite. Partner dabei sind der Musikverlag Symétrie und der Flämische Rundfunkchor und die Brüsseler Philharmonie unter Leitung von Hervé Niquet, die wir hier mit Max d‘Ollones Naturschilderung "Sous-bois" hören.

    Max d‘Ollone: Sous-bois

    Mit großer Begeisterung widmet sich Hervé Niquet seit Jahren dem französischen Repertoire. Wichtig ist ihm dabei, mit wissenschaftlicher Sorgfalt die Quellen zu studieren und mit den gewonnenen Erkenntnissen die Interpretation der Werke vorzubereiten. Für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts hat er 1987 das Ensemble Le Concert Spirituel gegründet, ein Orchester, das längst zu einem der führenden Klangkörper Frankreichs im Bereich der Barockmusik geworden ist. Inzwischen hat Hervé Niquet seinen Blick erweitert und geht als Gastdirigent diverser großer Orchester mit der gleichen Akribie ans Werk, um Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufzuführen. Auch hier immer wieder mit der Absicht, wichtige, aber ungerechterweise in Vergessenheit geratene Werke ins Blickfeld der musikinteressierten Öffentlichkeit zu bringen. In der Stiftung Palazzetto Bru Zane hat er dabei einen idealen Partner gefunden, denn dieses in Venedig ansässige "Centre de musique romantique francaise" erforscht die französische Musik des 19. Jahrhunderts und fördert deren Auferstehung auf CDs und in den Konzertsälen.

    Einen Schwerpunkt hat man dort im Moment auf die Wettbewerbsbeiträge zum renommierten "Prix de Rome" gelegt. Das ist ein Leistungsbeweis, den so gut wie jeder Kompositionsschüler, der etwas werden wollte, am Ende seiner Ausbildung am Konservatorium in Paris erbringen musste. Dabei ging es in der Regel um die Schaffung eines größeren Werkes für Chor und Orchester; als Preis winkte ein mehrjähriger Studienaufenthalt in der Villa Medici in Rom.

    In kaum einer Komponisten-Biografie französischer Musiker fehlt dieser Rompreis; für manche war es ein glückliches Unterfangen, für andere eine auch immer mal wieder von einer Ablehnung ausgelöste Niederlage. Und es waren nicht unbedingt die Schlechtesten, die hier erst nach mehreren Anläufen erfolgreich waren. Denn gerade die Mutigsten, Ideenreichsten, jene, die etwas revolutionär Neues schaffen wollten, scheiterten allzu oft an einer Jury von Professoren, die das Althergebrachte hochhielt und Verstöße gegen den Regelkanon akademischer Kompositionsausbildung mit ziemlicher Härte sanktionierte. Für die Probearbeit "Pendant la tempête – Während des Unwetters" wählte Max d’Ollone ein Gedicht von Théophile Gautier. Es beginnt mit den Worten: "Das Boot ist klein, das Meer ist riesig."

    Max d‘Ollone: Pendant la Tempête

    Auch Max d’Ollone schaffte den Rompreis nicht auf Anhieb. Die vorliegenden beiden CDs dokumentieren mit der Kantate "Melusine" einen vergeblichen Anlauf von 1896, einen zweiten Preis vom Jahr davor, eine ganze Reihe von Probearbeiten und schließlich die Kantate "Frédégonde", die ihm 1897 dann endlich den "Premier grand Prix" brachte. Von Kindesbeinen an hatte d‘Ollone von diesem Preis geträumt, nicht so sehr wegen des Titels, sondern vor allem wegen der Möglichkeit, eine Zeitlang in der Villa Medici zu wohnen. Geheimnisvoll angezogen fühlte er sich von jeher von Italien, so, als sei dieses Land in einem früheren Leben bereits einmal seine Heimat gewesen. Endlich konnte er italienische Landschaft, Kultur und Lebensart miterleben, lernte Leidenschaft und Pathos großer Komponisten wie Verdi oder Puccini besser verstehen.

    Bewunderung für Italien und seine Kultur dürften auch hinter der Entscheidung gestanden haben, ausgerechnet einen kleinen Palazzo in Venedig zum Sitz eines Zentrums zur Förderung französischer romantischer Musik zu machen. Es war eine Entscheidung der Stiftung Bru, die ihre Existenz dem kulturellen Engagement der Nachkommen eines großen pharmazeutischen Betriebes verdankt, dessen Brausetabletten in Frankreich wohl jeder kennt. Hier, in Italien, die Geschichte der Musik des ja eigentlich französischen Rompreises zu erforschen, erscheint vor dem geschichtlichen Hintergrund besonders sinnvoll, wurde dieser Preis doch vom französischen König Ludwig XIV. im Jahr 1666 ins Leben gerufen, wobei es am Anfang darum ging, jungen talentierten Architekten, Malern, Radierern sowie Bildhauern das Studium der klassischen Künste in Rom, der Wiege der europäischen Kunst, zu ermöglichen. Hören Sie zum Schluss Max d’Ollones "Hymne", einen Lobgesang auf die Heilige Dreifaltigkeit. Ihr liegt ein Text von Jean Racine zugrunde.

    Max d‘Ollone: Hymne

    Exquisite Raritäten des Rompreisträgers Max d’Ollone. Und exquisit ist auch die Aufmachung dieser CD, denn eigentlich handelt es sich um ein beim spanischen Verlag Ediciones Singulares erschienenes gebundenes Buch mit an die 140 Seiten, auf denen man in Französisch und Englisch viel über den Komponisten, aber auch über den "Prix de Rome" erfährt. Und vielleicht wird ja auch einmal eine viel gesuchte Rarität daraus, denn die Auflage ist auf 3000 Stück begrenzt – mein Exemplar hat die Nummer 2689.
    Mit Wünschen für einen schönen Sonntag verabschiedet sich im Studio Ludwig Rink.

    Musik:
    Max d‘Ollone
    Flemish Radio Choir
    Brussels Philharmonie
    Leitung: Hervé Niquet
    ISBN 978-84-939-6863-2