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Der 40. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages wird in Paris gefeiert

Die gepflasterte Auffahrt vor dem Versailler Schloss ist für große Reisebusse nicht geeignet: Sie schaukeln und wiegen sich, dass man schon um die begleitenden Motorradpolizisten fürchtet. Die haben vorher den Konvoi mit atemberaubender Geschwindigkeit durch Paris gelotst, haben mit herrischer Geste alle anderen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten gezwungen, bis die deutschen Abgeordneten, Regierungsmitglieder und Journalisten entlang gebraust kamen, ohne Rücksicht auf rote Ampeln, Stoppschilder oder sonstige Hindernisse. Und so treffen ein paar Hundert Mitglieder des Deutschen Bundestags minutengenau am geschichtlichen Ort ein: die deutsche Legislative im Schloss von Versailles. Der Symbolgehalt wurde so viele tausend Mal beschworen, dass nun von ihm atmosphärisch gar nichts mehr zu spüren ist: nicht der Schatten von Bismarck und Kaiser Wilhelm und nicht der Spuk der Versailler Verträge. Stattdessen ist der Prinzenflügel des Schlosses ein technologisch hochgerüstetes Konferenzzentrum, der dort befindliche Plenarsaal dient für besonders feierliche Parlamentsversammlungen, etwa wenn es um Verfassungsänderungen geht, bei denen die Assemblée Nationale und der Senat gemeinsam tagen.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Die deutschen Abgeordneten sind trotzdem wie geblendet von der höfischen Pracht; bei allem Norman-Foster-Chic zuhause in Berlin: so riesige rote Samtvorhänge wie in Frankreich haben sie nicht. Und erst die Sessel, auf denen Schröder und Chirac während der Ansprachen thronen. Diese gepolsterte Herausgehobenheit des Präsidenten gehört in Frankreich zum Erbe der Monarchie, doch auf speziellen Wunsch der Deutschen hat man diesmal nur mäßig luxuriöse Fauteuils herausgeholt: nicht zuviel Gold, lautete die Mahnung. Denn die Deutschen dürfen die Feier eines ihrer wichtigsten Staatsverträge nur nach den Auflagen der Bildzeitung begehen. Ausgerechnet im Zeitalter der Billigfliegerei rechnete das Blatt vor, was der Paris-Trip deutscher Volksvertreter das deutsche Volk wohl kosten werde. Die Franzosen, die immerhin das Einzigartige getan und eine Einladung zur gemeinsamen Sitzung beider Parlamente ausgesprochen hatten, kratzten sich am Kopf und ließen Kaviar und Champagner vom Menüplan streichen.

    Am Vormittag hatten bereits beide Regierungen in großer Kabinettsrunde gemeinsam getagt, und zwar - wie in Frankreich üblich - beim Staatspräsidenten im Elysée-Palast. Da dürften die deutschen Minister gehörig gestaunt haben, wie autoritär und zeremoniell so etwas vor sich geht: Der Präsident erteilt Anweisungen und nimmt Berichte entgegen, allenfalls Rückfragen sind erlaubt, doch diskutiert wird im Ministerrat mitnichten. So ähnlich sind die Erfahrungen, mit denen deutsche Austauschschüler von einem Aufenthalt in Frankreich zurückkehren: Das Lehrerpult steht vorne in der Klasse auf einem Podest, es ist mucksmäuschenstill, und alles, was Monsieur le professeur vorträgt, wird kritiklos mitgekritzelt. Genau darin liegt andererseits der Grund für die Zurückhaltung französischer Gymnasien, den Schüleraustausch mit Deutschland so zu pflegen und zu fördern, wie es in politischen Sonntagsreden stets gefordert und gefeiert wird. Nach ein paar Wochen im westlichen Nachbarland ist die Disziplin französischer Schulklassen erst mal dahin.

    Und doch kommt es in Sachen Völkerfreundschaft auf nichts so sehr an wie auf den Umgang der Jugendlichen miteinander. Der politische Genius von De Gaulle zeigt sich darin, dass er dies verstanden und darauf gesetzt hat. Vor vierzig Jahren war es in der Tat ein Wunder, dass zwei Politiker wie Adenauer und De Gaulle so weit über den Mentalitäten ihrer Völker standen, eine Form von nachbarlicher Zuneigung zu institutionalisieren, die als solche noch gar nicht vorhanden war. Ohne Zuneigung jedoch ist die Zusammenarbeit zwecklos - wie notwendig diese Zusammenarbeit auch immer sei. Zusammenarbeit kann man beschließen, Zuneigung nicht. Das gilt von den Regierungschefs, die im deutsch-französischen Verhältnis bekanntlich unterschiedlich innige Freundschaften pflegten, bis zu jedem Bürger.

    Deshalb gibt es stets zwei Ebenen der deutsch-französischen Beziehungen: eine offiziell-politisch-bürokratische und eine kulturell-gefühlsmäßige. Dass diese beiden Welten immer noch weit auseinander klaffen, bekam man in Versailles deutlich vor Augen geführt, wenn diejenigen, die sich im Medium der Rede verbinden und verbünden wollten, auf die Prothese der Simultandolmetscherei angewiesen waren und mit Knöpfen in den Ohren verzweifelt Anschluss an den Text zu finden suchten. In der Tat: So wenig wie De Gaulle des Deutschen und Adenauer des Französischen mächtig waren, so wenig sprechen Chirac und Schröder oder die Parlamentspräsidenten Debré und Thierse die Sprache des jeweils wichtigsten Nachbarn und engsten Handelspartners. Unter den Abgeordneten der beiden Länder können jeweils nur zwanzig die betreffende Sprache; präzisere Fragen danach bleiben von den Pressestellen beider Parlamente unbeantwortet.

    Es ist schade, dass auf diese Weise den Franzosen das hübscheste Detail des Nachmittags entging, nämlich ein vom Germanisten Thierse eröffneter Wortstreit im Deutschen um einen urfranzösischen und revolutionären Begriff: "fraternité". Thierse sagte in seiner Rede absichtsvoll "Geschwisterlichkeit". Und als der Bundeskanzler den Mund aufmachte und die traditionelle "Brüderlichkeit" entließ, lachte er mit dem halben Plenum und setzte hinzu, das sei nicht als Provokation gemeint. Fraglich, wie die Dolmetscher das alles in Sekundenschnelle hätten vermitteln können.

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