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Der Altmeister inszeniert

George Tabori, Dramatiker, Regisseur, und Romancier, ein in Budapest geborener ungarischer Jude mit englischem Paß, amerikanischem Exil und deutscher Theatergeschichte lässt es sich nicht nehmen, wie ein Trainer am Rande des Spielfelds zu sitzen, wenn seine Inszenierung von "Warten auf Godot" gespielt wird.

Von Hartmut Krug |
    An einer Seitenwand der Bühne sitzt der Regisseur George Tabori wie Gottvater in seinem mächtigen roten Ohrensessel, neben ihm die Souffleuse, und schaut auf sein Reich: es ist die leere Bühne. Ein Stuhl, zwei Sessel und ein Baum auf einem kreisrunden, von grünem Leuchtstreifen umrandetem Spielteppich, dazu vier Schauspieler vor nackter, weißer Brandmauer: hier wird mit großer, klarer Selbstverständlichkeit Theater gespielt. George Tabori sucht den vielen Deutungen von Becketts "Godot" keine tiefschürfend neue hinzuzufügen, sondern er erzählt einfach die Geschichte von zwei Menschen, die warten. Auf Godot, auf Gott, auf einen Sinn, auf die Erlösung. Auf dem Vorhang sieht man anfangs Jesus und die im Stück immer wieder angesprochenen Schächer auf dem Kreuzweg, und Wladimirs Fragen nach Gott werden in dieser Inszenierung keineswegs unterspielt. Insgesamt ist dies aber vor allem eine sehr nüchtern direkte und lebendig einfache Geschichte von zwei durchaus heutig wirkenden Menschen, die gemeinsam mit dem vorbeikommenden Diener-Herr-Paar Pozzo und Lucky zugleich deutlich Theaterfiguren sind. Die wartenden Wladimir und Estragon sind ganz in schwarz gekleidet, tragen überm Anzug den Mantel und einen Hut auf dem Kopf, die vorbeiziehenden Lucky und Pozzo wirken mit ihren eleganten, weißen Anzügen modisch schick, und Godots Bote wurde von Kostümbildnerin Margit Koppendorfer in kräftiges Rot gekleidet. Sie alle gemahnt immer wieder lauter Uhrenschlag an die verstreichende Zeit, und das Bühnenreich ist wie Prosperos Zauberinsel bei Shakespeare erfüllt von allerlei geheimnisvollen Geräuschen: ob sich da jemand auf eine Bank setzt oder an den Baum stößt, immer klingt es zurück.

    Hatte George Tabori bei seiner legendären "Godot"-Inszenierung 1984 an den Münchner Kammerspielen, mit dem ihm sein endgültiger Durchbruch im deutschen Theater gelang, das Stück mit den grandiosen Mimen Peter Lühr und Thomas Holtzmann als eine Spielsituation rund um den Leseprobentisch auf die Bühne gebracht, so zeigt er auch in seiner neuen Inszenierung immer wieder mit illusionsbrechendem Witz, dass hier Theater gespielt wird. Zu Beginn steigt Wladimir zu dem bereits unterm Baum liegenden Estragon aus dem Schnürboden herab, tritt vors Publikum und spricht die Regieanweisungen: "Landstraße. Ein Baum. Abend". Darauf wird es ganz dunkel, und der Schauspieler kritisiert die Beleuchtungstechnik mit der Bemerkung "ich sagte Abend, nicht Nacht.", worauf die Lichtkorrektur erfolgt. Immer mal wieder wird die Souffleuse ins Spiel einbezogen. Mal muss sie die berühmte Möhre hereinreichen, dann wieder mancherlei, von Wladimir meist missverstandene Spielhinweise geben, und wenn Estragon unterm Baum nicht einschlafen kann, wird das Publikum zum gemeinsamen Gesang von "Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein" animiert. All diese Gags kommen aber völlig unterspielt daher, wie ohnehin George Tabori viel weniger auf kräftige Komik setzt als in seiner alten Münchner Inszenierung. Axel Werner, lang, hager, schlaksig knickebeinig, ist am Berliner Ensemble mit pfiffiger Lust der intelligente und realistische Wladimir, ein Schauspieler, der Sehnsucht und Lust des Denkens wunderbar zu versinnlichen versteht. Während der kleinere, dickliche Michael Rothmann mit staunender Ängstlichkeit und mit Leidensgejammer einen eher naiv begriffsstutzigen Estragon gibt. Die beiden zeigen keine ausgestellten Existentialclowns, sondern einfach suchende Menschen. Taboris Inszenierung dimmt die komischen Effekte und philosophischen Aspekte herunter auf eine altersmilde Beiläufigkeit. So wird die Beziehung zwischen Lucky und Pozzo nicht zu erklären versucht, sondern eben einfach gespielt. Roman Kaminski ist ein wunderbar präsenter, unentwegt lautlos vor sich her denkender Lucky, der seine große Denknummer nicht wie viele Schauspieler vor ihm zum virtuos überbordenden Solo missbraucht. Und Gerd Kunath zeigt eine scharf umrissene Verzweiflung hinter dem laut und leer dröhnenden Auftritt seines Pozzo.

    Es ist dies keine sensationelle, keine epochale Inszenierung wie Taboris Münchner Inszenierung des Stückes im Jahr 1984, sondern eine szenische Arbeit, die einen oft zum effektvollen Klassiker erstarrten Text dem Theater als ein einfaches Spiel neu erschließt.