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Der Anfang vom Ende der Blockkonfrontation

"Frieden schaffen ohne Waffen" war der Slogan, mit dem sich bis 1983 die sich aus vielen Quellen speisende so genannte Friedensbewegung gegen die auf gegenseitige Abschreckung stützende Sicherheitspolitik in Europa wandte. Die ab 1982 in Deutschland regierende Koalition aus CDU/CSU und FDP beantwortete dies mit dem Slogan "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen". Am 12. Dezember 1979, vor 25 Jahren, beschloss die NATO den so genannten Doppelbeschluss: Die von der Sowjetunion vorgenommene Vorrüstung mit nuklearen Mittelstreckenraketen sollte durch eine eigene Aufrüstung der NATO beantwortet werden, wenn nicht bis 1983 eine Rüstungskontrollvereinbarung ausgehandelt sei. Der damalige Verteidigungsminister Hans Apel, nach dem Beschluss von 1979 zur Ratio der NATO:

Von Rolf Clement |
    Es haben alle Bündnispartner die militärischen Notwendigkeiten ausdrücklich akzeptiert, die Verantwortlichkeit dafür unterstrichen, das gemeinsame Handeln gewollt. Daneben enthält dieser Beschluss ein deutliches Angebot an Moskau, nun so schnell wie möglich auf einem möglichst niedrigen Niveau die Gleichheit der nuklearen Kräfte in Mitteleuropa, in Europa herzustellen. Und insofern ist es ein Beschluss, der sich an viele richtet.

    Apel damals zur Verhandlungsaufnahme mit Moskau:
    Entscheidend wird sein, dass wir so schnell wie möglich die vielen Kontakte, die es zwischen Ost und West in den nächsten Wochen gibt, nutzen, um der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt deutlich zu machen, dass es uns um Frieden, Friedenssicherung auf der Basis des Gleichgewichts geht und nicht um eine neue Rüstungsspirale.

    Hintergrund der damaligen Auseinandersetzung zwischen NATO und dem Warschauer Pakt, dem osteuropäischen Militärbündnis, waren die unterschiedlichen strategischen Konzepte der beiden Bündnisse. NATO und Warschauer Pakt hatten nach ihren jeweiligen Planungen die Nuklearwaffen für unterschiedliche Zwecke vorgesehen.

    Die NATO war in ihrer Strategie und Ausrüstung darauf angelegt, einen Angriff auf das Bündnisterritorium abzuwehren. Der damaligen Strategie des Warschauer Paktes, die im Kriegsfall auf Gebietgewinne im Westen abzielte, musste ein entsprechendes Gegengewicht gegenübergestellt werden. Dies sollte so stark sein, dass es möglichst schon abschreckend wirkt, also, dass dem Warschauer Pakt glaubwürdig verdeutlicht wird, dass ein denkbarer Angriff auf das Territorium der NATO nicht erfolgreich sein könnte. Da aber die NATO in ihrer konventionellen Rüstung dem Warschauer Pakt deutlich unterlegen war, bedurfte es eines Mittels, das diese konventionelle Unterlegenheit ausgleichen konnte. Dem dienten zum einen die nuklearen Gefechtsfeldwaffen, also atomare Granaten, die geeignet waren, einen konventionell, zum Beispiel mit einer Panzertruppe, vorgetragenen Angriff zu stoppen. Die NATO ging also davon aus, dass sie in einem solchen Fall der konventionellen Unterlegenheit auf dem Schlachtfeld Nuklearwaffen als erste einsetzen würde, allerdings in einem regional begrenzten Rahmen und - was noch wichtig sein wird - auf dem zu verteidigenden, also dem eigenen Territorium.

    Der Warschauer Pakt hatte dagegen seinen Nuklearwaffen eine andere Aufgabe zugedacht. Die von Moskau formulierte Strategie des Warschauer Paktes ging davon aus, dass ein Krieg immer auf des Gegners Territorium stattfinden müsse. Aus dem Zweiten Weltkrieg
    hat Moskau die Lektion gelernt, dass ein Krieg nie mehr auf dem eigenen Gebiet stattfinden dürfe, und diese Lektion hat man für die Bündnispartner übernommen. Sollte es nicht gelingen, im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung diese auf das Gebiet des Gegners zu verlagern, sollte durch einen nuklearen Erstschlag dessen Führungsfähigkeit vernichtet werden. Warschauer-Pakt-Nuklearwaffen sollten also die gesamten Führungs- und Befehlsstände des Gegners auf einen Schlag vernichten. Dafür benötigte Moskau Systeme mit größerer Reichweite, Mittelstreckenraketen also.

    Um diese Bedrohung auszugleichen, beschaffte sich auch die NATO Mittelstreckenraketen, um in einer Form der Gegendrohung deutlich zu machen, dass sie auch den Warschauer Pakt mit der Vernichtung dessen Führungszentralen erheblich schwächen könnte. Die NATO wollte die Zweitschlagfähigkeit erhalten, also die Fähigkeit, einen östlichen Erstschlag ebenso zu beantworten.

    1979 hatte die NATO beschlossen, dass ihr Mittelstreckenarsenal, die Pershing I A, durch ein neues System, die Pershing II, modernisiert werden sollte. Die NATO wollte nicht mehr, sondern ebenso viele Sprengköpfe in Mitteleuropa stationieren, vorwiegend in der damaligen Bundesrepublik. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte einige Zeit zuvor durch eine Rede vor dem Londoner Institut für Strategische Studien diese Modernisierung mit einem Abrüstungsvorschlag verbunden - der NATO-Doppelbeschluss wurde begründet, von dem 1983 allerdings nur noch der so genannte Nachrüstungsteil die politische Debatte beherrschte. Die NATO beschloss am 12. Dezember 1979:

    Im Laufe der Jahre hat der Warschauer Pakt ein großes und ständig weiter wachsendes Potential von Nuklearsystemen entwickelt, das | Westeuropa unmittelbar bedroht und eine strategische Bedeutung für das Bündnis in Europa hat. Diese Lage hat sich innerhalb der letzten Jahre in besonderem Maße durch die sowjetischen Entscheidungen verschärft, Programme zur substantiellen Modernisierung und Verstärkung ihrer weit reichenden Nuklearsysteme durchzuführen. Insbesondere hat die Sowjetunion die SS-20-Rakete disloziert, die durch größere Treffgenauigkeit, Beweglichkeit und Reichweite sowie durch die Ausrüstung mit Mehrfachsprengköpfen eine bedeutende Verbesserung gegenüber früheren Systemen darstellt, und sie hat den "BACKFIRE-Bomber" eingeführt, der wesentlich leistungsfähiger ist als andere sowjetische Flugzeuge, die bisher für kontinentalstrategische Aufgaben vorgesehen waren. Während die Sowjetunion in diesem Zeitraum ihre Überlegenheit bei den nuklearen Mittelstreckensystemen (LRTNF) sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgebaut hat, ist das entsprechende Potential des Westens auf demselben Stand geblieben. Darüber hinaus veralten diese westlichen Systeme, werden zunehmend verwundbarer und umfassen zudem keine landgestützten LRTNF-Raketensysteme. Gleichzeitig hat die Sowjetunion auch ihre Nuklearsysteme kürzerer Reichweite modernisiert und vermehrt und die Qualität ihrer konventionellen Streitkräfte insgesamt bedeutend verbessert. Diese Entwicklungen haben im Bündnis ernste Besorgnis hervorgerufen. Durch diese Entwicklungen könnte auch die Glaubwürdigkeit der Abschreckungsstrategie des Bündnisses dadurch in Zweifel gezogen werden, dass die Lücke im Spektrum der dem Bündnis zur Verfügung stehenden nuklearen Reaktionen auf eine Aggression stärker akzentuiert würde.

    Die Minister stellten fest, dass diese jüngsten Entwicklungen konkrete Maßnahmen des Bündnisses erfordern, wenn die NATO-Strategie der flexiblen Reaktion glaubwürdig bleiben soll. Nach intensiven Beratungen auch über alternative Ansätze und deren Wert und nach Kenntnisnahme der Haltung bestimmter Bündnispartner kamen die Minister überein, dass dem Gesamtinteresse der Allianz am besten dadurch entsprochen wird, dass die zwei parallel und sich ergänzenden Ansätze: LRTNF-Modernisierung und Rüstungskontrolle verfolgt werden.


    Konkret bedeutete dies: Die NATO wollte 108 Pershing II-Abschussrampen und 464 Marschflugkörper stationieren. Alle NATO-Nuklearsysteme sollten nur mit einem Sprengkopf versehen sein. Im Zusammenhang mit dieser Modernisierung sollten 1.000 Nuklearsprengköpfe aus Europa abgezogen werden, so dass am Ende eher weniger als mehr Nuklearsprengköpfe auf westlicher Seite in Europa stationiert sind, diese aber hochmodern. Daraus wird deutlich, dass in den Gremien der NATO weniger an ein zahlenmäßiges Gleichgewicht als an ein Gleichgewicht der Möglichkeiten, der Optionen, gedacht wurde. Und die NATO verknüpfte dies mit einem konkreten Verhandlungsangebot:

    Die Minister haben sich zu diesen parallel laufenden und komplementären Vorgehensweisen entschlossen, um einen durch den sowjetischen TNF-Aufwuchs verursachten Rüstungswettlauf in Europa abzuwenden, dabei jedoch die Funktionsfähigkeit der Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie der NATO weiterhin zu erhalten und damit die Sicherheit ihrer Mitgliedsstaaten weiterhin zu gewährleisten.

    a) Ein Modernisierungsbeschluss, einschließlich einer
    verbindlichen Festlegung auf Dislozierungen, ist erforderlich, um den Abschreckungs- und Verteidigungsbedürfnissen der NATO gerecht zu werden, um in glaubwürdiger Weise auf die einseitigen TNF-Dislozierungen der Sowjetunion zu reagieren und um das Fundament für ernsthafte Verhandlungen über TNF zu schaffen.

    b) Erfolgreiche Rüstungskontrolle, die den sowjetischen Aufwuchs begrenzt, kann die Sicherheit des Bündnisses stärken, den Umfang des TNF-Bedarfs der NATO beeinflussen und im Einklang mit der grundlegenden NATO-Politik von Abschreckung,
    Verteidigung und Entspannung - wie sie im Harmel-Bericht niedergelegt wurde - Stabilität und Entspannung in Europa fördern. Der TNF-Bedarf der NATO wird im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden.



    Kriterien für ein solches Abkommen sollten sein

    1. Wenn die NATO-Systeme begrenzt werden, müssen auch die östlichen zahlenmäßig begrenzt sein.

    2. Die Verhandlungen über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen sollen von den USA und der Sowjetunion geführt werden.

    3. Die Vereinbarungen müssen überprüfbar, also verifizierbar sein.

    Erst später kam in der politischen Debatte das Wort von der Null-Lösung auf, also vom Verhandlungsziel: Keine US-Pershings und Marschflugkörper in Europa, wenn Moskau alle sowjetischen SS 20 aus Mittelosteuropa abzieht. Vor allem in der Bundesrepublik erregte dieser Beschluss die Gemüter. Die Argumentation dagegen verlief im Kern entlang der folgenden Linien.

    Durch den nuklearen Rüstungswettlauf wird das Risiko eines Nuklearwaffeneinsatzes erhöht. Wer solche Waffen hat, will sie auch einsetzen. Wenn sie eingesetzt werden, werden sie auf jeden Fall auf deutschem Gebiet zur Explosion kommen. Die Gefährdung
    der Bundesrepublik Deutschland ist durch diese Nuklearrüstung also am höchsten. Vor den Folgen eines Nuklearwaffeneinsatzes gibt es keine Rettung, er betrifft alle im weiten Umkreis der Detonation. Besonders gefährdet sind jene Regionen, in denen die NATO die amerikanischen Pershing II-Raketen stationieren würde, da diese Regionen bevorzugte Ziele einer möglichen Attacke sind.
    Neben diesen Gegenargumenten, die die militärischen Planungen der beiden Blocksysteme noch berücksichtigte, gab es auch jene, die der NATO den Willen zum Erstschlag - wie gesagt, etwas anderes als Ersteinsatz - unterstellten und annahmen, dass die NATO damit offensive Optionen verfolge. Und es kamen jene hinzu, die einfach ein Gefühl der Angst ohne die militärischen und politischen Detailkenntnisse hatten. So kam es im Vorfeld der Entscheidung zu großen Demonstrationen gegen den, wie es damals hieß, Nachrüstungsbeschluss.

    In Genf verhandelten derweil die USA und die Sowjetunion über eine so genannte Null-Lösung: Der Warschauer Pakt zieht seine Mittelstreckenraketen aus Mittel- und Mittelosteuropa ab, die NATO verzichtet auf die Aufstellung ihrer modernisierten Pershing II-Raketen, wobei klar war, dass die veralteten Pershing-I-A-Raketen sowieso abgezogen würden. Aufgrund der unterschiedlichen strategischen Planungen verliefen diese Verhandlungen schleppend.

    Für die Auseinandersetzung war aus zwei Gründen die Bundesrepublik das große politische Schlachtfeld: Zum einen würden die meisten der Pershing II-Raketen in Westdeutschland stationiert werden, zum anderen war hier die größte
    Protestbewegung dagegen zu mobilisieren.

    Die Ausgangslage war eigentlich klar: Die CDU/CSU und die FDP hatten mit ihrem Ja zum Nachrüstungsteil des NATO-Doppelbeschlusses die Bundestagswahl am 6. März 1983 gewonnen. Die SPD, die über ihre Haltung zu dieser Frage in die Opposition gelangt war, hatte einige Tage zuvor auf einem Sonderparteitag in Köln mit ganz wenigen Gegenstimmen ihr Nein dazu beschlossen. Die Grünen, seit März 1983 im Bundestag, hatten ebenfalls ihr Nein festgeschrieben. Einige Argumente aus der zweitägigen Bundestagsdebatte aus dem Jahr 1983. Bundeskanzler Helmut Kohl:

    Am 26. Mai 1981 wurde auf Antrag der damaligen Bundesregierung unter der Führung von Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Entschließung des Deutschen Bundestags mit nur fünf Gegenstimmen und sechs Enthaltungen verabschiedet. Darin heißt es: Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen. Die von mir geführte Bundesregierung hat diese Politik fortgesetzt. Ich persönlich habe mehrfach erklärt, dass ich mich an den Beschluss der NATO in beiden Teilen gebunden fühle. Die damaligen Bedingungen für beide Teile des Doppelbeschlusses gelten unverändert.

    Der damalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt zu dem Argument, nur durch eine Stationierungsentscheidung könnte Stabilität wieder hergestellt werden:

    Die sowjetischen SS-20-Raketen haben schwere Destabilisierung bewirkt. Und wir können uns damit nicht abfinden. Es ist jedoch ein Irrtum zu meinen, Herr Kollege, die Destabilisierung auf der einen plus der Destabilisierung auf der anderen Seite hebe sich zu Null. Das ist so nicht. Also, zur Stabilisierung auch: Das Ergebnis ist eher potenzierte Destabilisierung.

    Ein anderes Argument führte Verteidigungsminister Manfred Wörner
    an:

    Wie eigentlich stellen Sie sich jetzt vor, wie man die Sowjets zum Verzicht oder zur Verminderung ihrer Raketen bewegen soll, wenn Sie das einzig mögliche Druckmittel aus der Hand gegeben haben, wenn Sie ihnen die Gewissheit geben, dass wir nicht stationieren, gleichgültig ob die Sowjets nachgeben oder nicht, gleichgültig ob sie weiter SS-20 aufstellen oder nicht.


    Ernst Walthemathe, ein Sozialdemokrat, der sich als Pazifist bezeichnete, griff das Thema Angst auf, mit dem beide Seiten argumentierten, die einen, indem sie die Angst vor einem möglichen Ungleichgewicht - daraus resultierend vor einer Kriegsgefahr - heranzogen, die anderen, die auf Angst vor einem möglichen Einsatz der Systeme, natürlich auf deutschem Boden, aufmerksam machten:

    Es geht die Angst um, und Angst ist auch begründet. Denn in einer kaum noch durchschaubaren Welt mit kaum noch durchschaubaren, sehr ausgeklügelten computerisierten Strategien will der Bürger wissen, ob seine Sicherheit noch gewährleistet ist oder noch gewährleistet werden kann. Angst ist auch ein vortreffliches Mittel der innenpolitischen Einschüchterung. Wenn einem nämlich zur Plausibilität von Aufrüstungsschritten keine Sicherheitsargumente mehr einfallen, kann man Bockbeinige immer noch als im Leninschen Sinne die "nützlichen Idioten der anderen Seite" abmalen.

    An Opfer von Nuklearwaffeneinsätzen erinnerte die Grüne Christa Nickels:

    Hiroshima bietet eine ganz schwache Ahnung davon, was uns in einem Atomkrieg bevorstehen könnte. Und das sind nicht die Denkmäler, der Friedenspark, der Atomdom, die davon zeugen, das sind die Menschen, die lebenden Menschen, in deren Haut, in deren Knochen, in deren Blut, in deren Keimzellen da hat sich die Erinnerung an jenen Tag unauslöschlich eingebrannt. Die Atombombe in Hiroshima hat zum ersten Mal klar gezeigt, dass ein Atomkrieg nicht nur das Hier und Heute zerstört, sondern auch die Zukunft.

    Wie bei jeder solchen Debatte wogten die Argumente und Emotionen
    hin und her. Wie stark ist das NATO-Bündnis belastbar, wenn die
    Deutschen als einzige, aber auch als Hauptbetroffene, diese als
    wichtig erachtete Entscheidung nicht im Sinne des Bündnisses fällten? Und ganz konkret, wie geht es mit der Rüstungskontrolle in diesem sensiblen Bereich weiter? Zum letzten Punkt äußerten sich in der Debatte Hans-Jochen Vogel und Bundeskanzler Helmut Kohl:

    Der Beginn der Stationierung wird die Aufnahme solcher Verhandlungen sehr schwer werden lassen. Dennoch - wir wollen diese Verhandlungen, und wir wünschen ihren Erfolg. Die Ergebnisse solcher Verhandlungen werden wir verantwortungsbewusst und mit großer Sorgfalt prüfen. Aber das genügt nicht. Friedenssicherung verlangt mehr. Sie verlangt neue und verstärkte Ansätze im Rahmen einer umfassenden Strategie. Deshalb treten wir ein für die Eröffnung einer neuen und konstruktiven Debatte über die künftige Strategie des Bündnisses.

    Der Beginn der Stationierung schlägt die Tür zu Verhandlungen nicht zu. Der Westen ist bereit, so lange weiterzuverhandeln bis ein für beide Seiten annehmbarer Kompromiss gefunden ist. Die Sowjetunion hat wenige Tage vor dieser Aussprache in Genf zu erkennen gegeben, dass sie unter Aufgabe ihrer bisherigen Position bereit sein könnte, über die britischen und französischen Systeme mit den betroffenen Staaten in einem anderen Forum zu verhandeln. Ich wiederhole: Es gibt keine Veranlassung für die Sowjetunion vom Verhandlungstisch aufzustehen. Wenn sie wirklich ein Ergebnis will, kann sie ein Ergebnis haben.

    Heute wissen wir, wie es damals weiterging: Einen Tag nach der Entscheidung des Bundestages kamen die ersten Pershing-Raketen in Deutschland an. Die Sowjetunion verließ sofort den
    Verhandlungstisch in Genf und kehrte erst am 12. März 1985 wieder dorthin zurück. Dann aber gab es ein Ergebnis, die Null-Lösung wurde beschlossen - auf einem Gipfel, den der damalige US-Präsident Reagan und der sowjetische Präsident Gorbatschow in Reykjavik abhielten. Vom dortigen Durchbruch waren alle überrascht, keiner war mehr konsultiert worden. Seit dem 1. Oktober 1990 gibt es in Mitteleuropa keine Pershings und keine SS 20 mehr.

    Heute stehen wir vor anderen Problemen. Die Sicherheit der noch vorhandenen Nuklearwaffen ist immer noch nicht zuverlässig gewährleistet. Andere Staaten haben die Fähigkeit erworben, Mittelstreckenraketen zu entwickeln, die nukleare Sprengköpfe tragen können. Das gilt vor allem für Nord-Korea, war aber auch eine Befürchtung, die sich auf den Irak gerichtet hatte. Immer wieder wird auch - vor allem in den USA - China genannt. Wer über solche Trägersysteme verfügt oder verfügen könnte, hat damit einen Türöffner für politische Verhandlungen, um andere Interessen durchsetzen zu können. Aber der Graben, der damals durch das deutsche, vor allem westdeutsche Volk ging, ist mittlerweile weitgehend zugeschüttet. Es besteht kaum noch Zweifel daran, dass der damalige Beschluss, den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses umzusetzen, ein wesentlicher Grund für das spätere Zusammenbrechen des kommunistischen Systems wurde. Der Westen hatte Festigkeit und die Bereitschaft zur Verteidigung seiner Interessen gezeigt.