Angela Merkel ist so etwas wie die Riemannsche Vermutung der Politik. Die Riemannsche Vermutung ist eine der schwierigsten Mathematik-Aufgaben der Welt. Niemand hat sie bisher lösen können. Das Clay Mathematics Institute in Cambridge, Massachusetts, hat für denjenigen, der einen schlüssige Lösung des Problems vorlegt, ein Preisgeld von 1 Million Dollar ausgesetzt. Während die Mathematiker dieser Welt über der Riemannschen Vermutung brüten, arbeiten sich Journalisten aus allen Herren Länder an der Dechiffrierung Angela Merkels ab:
"Wir sind vom dänischen Fernsehen. Was sind ihre Gefühle, Frau Merkel? Welches sind ihre Gefühle? Ist heute ein glücklicher Tag für Deutschland? Sind sie eine Glückliche Frau?"
Zu denen, die vor bald acht Jahren versuchten dahinter zu kommen, was in der Frau vor sich geht, die gerade zur ersten Deutschen Bundeskanzlerin gewählt worden war, gehörte auch die Berliner Korrespondentin der International Herald Tribune, Judy Dempsey:
"Wirklich, wie geht es Ihnen? Wir sind neugierig! Sehr, sehr neugierig!"
"Ja, also ich – erstens mir geht es, mir geht es gut … um Sie erstmal . .. Zweitens, ich glaube, dass sehr, sehr viel Arbeit vor uns liegt."
Die Merkel-Exegeten waren platt. Sie sei in einem "Zustand gespannter Aufmerksamkeit", fügte die frisch gewählte Kanzlerin später hinzu. Das Zitat ging 2005 als Beleg für den eigenartig nüchternen Geisteszustand dieser Frau um die Welt.
Das Phänomen Merkel
hat Dempsey ihren neuen Versuch genannt, Merkel nach acht Jahren intensiver Nahbeobachtung doch noch zu enträtseln. Keiner der Autoren, die sich dieser Tage daran machen, den Merkel-Code zu knacken, kommt umhin, der Frau etwas Phänomenales zuzuschreiben. Die Decodierung der Kanzlerin führt auf unterschiedlichen Wegen zur Beschreibung zeitgeschichtlicher Prägungen, zur Analyse politischer Entwürfe und zu einer Stilkritik des Regierungshandelns im 21. Jahrhundert. Die Ergebnisse variieren. Immer aber geht es auch darum, Merkel als menschlichem Phänomen näherzukommen.
"Wir haben mehr Humor, als man manchmal denkt. Man muss ihn nur hervorkitzeln. Selbst ich lache gerne."
Das Lachen der Kanzlerin ist ansteckend. Sie kann sich wegschütten vor freundlich schadenfrohem Kichern.
weiß der Leiter des Parlamentsbüros der BILD-Zeitung, Nikolaus Blome. Sein übersichtliches Buch ist eine Art Vademecum für Merkelversteher und solche, die es werden wollen.
Wie ist Angela Merkel so aus der Nähe? Warum hält sie die Hände immer so komisch? Sagt sie auch mal ‚Scheiße’?
Was sie schon immer über Merkel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Nikolaus Blome arbeitet Frage für Frage Kapitel für Kapitel ab. Und er findet lauter handlich formulierte, gut beobachtete und gedanklich klar sortierte Antworten.
Wer ist diese Frau, die so lange stillgehalten hat, nur um in nicht mal einer halben Generation die Macht in Deutschlands konservativer Volkspartei an sich zu nehmen?
Leitet auch Stefan Kornelius, Chef-Außenpolitiker der Süddeutschen Zeitung, seinen Beitrag zum Merkel-Entschlüsselungs-Wettbewerb ein.
Die Kanzlerin und Ihre Welt.
führt weit hinaus ins Globale, zurück in die Geschichte und stets tief in die Merkel-Materie hinein. Kornelius entdeckt die polnischen Wurzeln ihrer väterlichen Vorfahren, beschreibt Prägungen ihres Geschichtsverständnisses in der DDR und im evangelischen Pfarrhaus ihrer Eltern, analysiert erkenntnisreich die Reden der Kanzlerin und zieht die Verbindungslinien zu ihren politischen Grundeinstellungen, etwa im Verhältnis zu den USA oder zu Israel.
"Da kann man etwas lernen, wie schwer es ist aus einem bekannten Weltbild hinüberzugehen in ein neues Bild, das durch wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen wurde."
Die eigentliche Lösung des Rätsels Merkel scheint für die meisten Autoren in einem Denken zu liegen, das einst im politikfernen Labor des Zentralinstituts für physikalische Chemie in Berlin Adlershof geschult wurde und sich heute auf wundersame Weise in einem Politikstil neuen Typs aktualisiert.
Der Philosoph Joseph Vogl hat das Zaudern vor einigen Jahren in einem viel gepriesenen literaturwissenschaftlichen Essay als einen Reserveraum schöpferischer Gestaltungskraft am Übergang vom Nichthandeln zur Tat beschrieben. Jetzt entdeckt der BILD-Journalist Blome in der Kanzlerin eine Zauder-Künstlerin:
In der ersten Etappe saugt sie sich voll mit zahllosen Daten, Fakten, mit möglichst hochgradig objektiviertem Expertenwissen. Dann kommt eine Phase des Zauderns und Haderns. Dann legt sie sich fest.
Stefan Kornelius beschreibt Merkels Regierungsstil als Ausdruck eines aufgeklärt-nüchternen Skeptizismus:
Die Methode Merkel: Das ist der stille Kampf mit sich und den engsten Getreuen, das ist die methodische Aneignung eines Problems, die Zerlegung dieses Problems in kleine Portionen und dann die Arbeit an einer Lösung. Schritt für Schritt. Portion für Portion.
Wer Merkel so wie Kornelius, Blome und Dempsey mit einer von Respekt getragenen Grundsympathie beschreibt, tut dies, weil er oder sie gerade in ihrem bedachtsam-zögerlichen Vorgehen eine politische Qualität entdeckt. Es scheint einer fundamentalen Antipathie zu bedürfen, um Merkel einen geradlinig orientierten Machtwillen zu unterstellen. Stefan Hebels
Mutter Blamage
ist eine Erbauungsschrift für eingefleischte Merkel Hasser.
Angela Merkel verdankt ihren Erfolg einem permanenten Betrugsmanöver. Sie hat, auch wenn es nicht so scheint, sehr wohl eine politische Agenda. (…) Sie agiert souverän, zielstrebig wie kaum jemand sonst in der politischen Arena.
Der Abbau der sozialen Sicherungssysteme, die Sicherung der Vorherrschaft Deutschlands in Europa und ein nationalistischer Neoliberalismus sind die angeblichen Triebkräfte Merkels, die den Autor der Frankfurter Rundschau in kalte Wut versetzen.
Judy Dempsey dagegen hält Merkel aus transatlantischer Perspektive vor, ihre Möglichkeiten gerade auf internationaler Bühne nicht genügend einzusetzen:
Nur selten ist sie bereit, ihre Macht zu nutzen, um Europas Potenzial zu erklären. Und nur selten ist sie bereit, in der EU die Führungsrolle zu übernehmen, die von einem Land wie Deutschland erwartet wird.
Nikolaus Blome beschränkt seine kritischen Anmerkungen auf die indirekten Wirkungen von Merkels moderierend-präsidialem Regierungsstil in der deutschen Innenpolitik.
Wenn die Betriebstemperatur im Polit-Labor der Kanzlerin stetig nach unten moderiert wird, wächst an den Rändern des Parteienspektrums die Sehnsucht nach neuer Lebendigkeit, Wärme und Frische.
Blomes Annahme, die Piratenpartei werde als Nebenwirkung von Merkels Dominanz ihren Siegeszug fortsetzen, hat sich allerdings ebenso erledigt wie seine Vorhersage, Merkel werde ihr Amt im Falle eines Wahlsieges nach der Hälfte der kommenden Legislaturperiode abgeben. Sie will bleiben, hat die Kanzlerin unmittelbar nach Erscheinen des Buches erklärt. Natürlich in der BILD-Zeitung. Ein Schelm, wer meint, da könnten sich zwei zusammengetan haben, um für beide Seiten nützliche Aufmerksamkeit auf These und Dementi zu ziehen.
Angela Merkel ist eine kluge, mächtige, von tiefen Widersprüchen geprägte Frau, die vieles erreicht und noch mehr hat liegen lassen. Sie passt zu Deutschland, diesem Land, das sich seiner Geschichte, seiner Zukunft und seiner Rolle in der Welt, seiner Macht und seiner Möglichkeiten immer wieder vergewissern muss.
Schreibt Judy Dempsey als Resummée ihrer Studie – und legt damit den Schluss nahe, dass es im Herst eine Fristverlängerung für die Lösung der Riemannschen Vermutung der deutschen Politik geben wird.
Buchinfos:
Nikolaus Blome: "Angela Merkel – die Zauder-Künstlerin", Pantheon-Verlag, 208 Seiten, 16,99 Euro.
Stefan Kornelius: "Angela Merkel: Die Kanzlerin und die Welt", Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 19,99 Euro.
Judy Dempsey: "Das Phänomen Merkel. Deutschlands Macht und Möglichkeiten" Edition Körber-Stiftung, 208 Seiten, 16,00 Euro.
Stephan Hebel: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht", Westend-Verlag, 160 Seiten, 13,99 Euro.
"Wir sind vom dänischen Fernsehen. Was sind ihre Gefühle, Frau Merkel? Welches sind ihre Gefühle? Ist heute ein glücklicher Tag für Deutschland? Sind sie eine Glückliche Frau?"
Zu denen, die vor bald acht Jahren versuchten dahinter zu kommen, was in der Frau vor sich geht, die gerade zur ersten Deutschen Bundeskanzlerin gewählt worden war, gehörte auch die Berliner Korrespondentin der International Herald Tribune, Judy Dempsey:
"Wirklich, wie geht es Ihnen? Wir sind neugierig! Sehr, sehr neugierig!"
"Ja, also ich – erstens mir geht es, mir geht es gut … um Sie erstmal . .. Zweitens, ich glaube, dass sehr, sehr viel Arbeit vor uns liegt."
Die Merkel-Exegeten waren platt. Sie sei in einem "Zustand gespannter Aufmerksamkeit", fügte die frisch gewählte Kanzlerin später hinzu. Das Zitat ging 2005 als Beleg für den eigenartig nüchternen Geisteszustand dieser Frau um die Welt.
Das Phänomen Merkel
hat Dempsey ihren neuen Versuch genannt, Merkel nach acht Jahren intensiver Nahbeobachtung doch noch zu enträtseln. Keiner der Autoren, die sich dieser Tage daran machen, den Merkel-Code zu knacken, kommt umhin, der Frau etwas Phänomenales zuzuschreiben. Die Decodierung der Kanzlerin führt auf unterschiedlichen Wegen zur Beschreibung zeitgeschichtlicher Prägungen, zur Analyse politischer Entwürfe und zu einer Stilkritik des Regierungshandelns im 21. Jahrhundert. Die Ergebnisse variieren. Immer aber geht es auch darum, Merkel als menschlichem Phänomen näherzukommen.
"Wir haben mehr Humor, als man manchmal denkt. Man muss ihn nur hervorkitzeln. Selbst ich lache gerne."
Das Lachen der Kanzlerin ist ansteckend. Sie kann sich wegschütten vor freundlich schadenfrohem Kichern.
weiß der Leiter des Parlamentsbüros der BILD-Zeitung, Nikolaus Blome. Sein übersichtliches Buch ist eine Art Vademecum für Merkelversteher und solche, die es werden wollen.
Wie ist Angela Merkel so aus der Nähe? Warum hält sie die Hände immer so komisch? Sagt sie auch mal ‚Scheiße’?
Was sie schon immer über Merkel wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Nikolaus Blome arbeitet Frage für Frage Kapitel für Kapitel ab. Und er findet lauter handlich formulierte, gut beobachtete und gedanklich klar sortierte Antworten.
Wer ist diese Frau, die so lange stillgehalten hat, nur um in nicht mal einer halben Generation die Macht in Deutschlands konservativer Volkspartei an sich zu nehmen?
Leitet auch Stefan Kornelius, Chef-Außenpolitiker der Süddeutschen Zeitung, seinen Beitrag zum Merkel-Entschlüsselungs-Wettbewerb ein.
Die Kanzlerin und Ihre Welt.
führt weit hinaus ins Globale, zurück in die Geschichte und stets tief in die Merkel-Materie hinein. Kornelius entdeckt die polnischen Wurzeln ihrer väterlichen Vorfahren, beschreibt Prägungen ihres Geschichtsverständnisses in der DDR und im evangelischen Pfarrhaus ihrer Eltern, analysiert erkenntnisreich die Reden der Kanzlerin und zieht die Verbindungslinien zu ihren politischen Grundeinstellungen, etwa im Verhältnis zu den USA oder zu Israel.
"Da kann man etwas lernen, wie schwer es ist aus einem bekannten Weltbild hinüberzugehen in ein neues Bild, das durch wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen wurde."
Die eigentliche Lösung des Rätsels Merkel scheint für die meisten Autoren in einem Denken zu liegen, das einst im politikfernen Labor des Zentralinstituts für physikalische Chemie in Berlin Adlershof geschult wurde und sich heute auf wundersame Weise in einem Politikstil neuen Typs aktualisiert.
Der Philosoph Joseph Vogl hat das Zaudern vor einigen Jahren in einem viel gepriesenen literaturwissenschaftlichen Essay als einen Reserveraum schöpferischer Gestaltungskraft am Übergang vom Nichthandeln zur Tat beschrieben. Jetzt entdeckt der BILD-Journalist Blome in der Kanzlerin eine Zauder-Künstlerin:
In der ersten Etappe saugt sie sich voll mit zahllosen Daten, Fakten, mit möglichst hochgradig objektiviertem Expertenwissen. Dann kommt eine Phase des Zauderns und Haderns. Dann legt sie sich fest.
Stefan Kornelius beschreibt Merkels Regierungsstil als Ausdruck eines aufgeklärt-nüchternen Skeptizismus:
Die Methode Merkel: Das ist der stille Kampf mit sich und den engsten Getreuen, das ist die methodische Aneignung eines Problems, die Zerlegung dieses Problems in kleine Portionen und dann die Arbeit an einer Lösung. Schritt für Schritt. Portion für Portion.
Wer Merkel so wie Kornelius, Blome und Dempsey mit einer von Respekt getragenen Grundsympathie beschreibt, tut dies, weil er oder sie gerade in ihrem bedachtsam-zögerlichen Vorgehen eine politische Qualität entdeckt. Es scheint einer fundamentalen Antipathie zu bedürfen, um Merkel einen geradlinig orientierten Machtwillen zu unterstellen. Stefan Hebels
Mutter Blamage
ist eine Erbauungsschrift für eingefleischte Merkel Hasser.
Angela Merkel verdankt ihren Erfolg einem permanenten Betrugsmanöver. Sie hat, auch wenn es nicht so scheint, sehr wohl eine politische Agenda. (…) Sie agiert souverän, zielstrebig wie kaum jemand sonst in der politischen Arena.
Der Abbau der sozialen Sicherungssysteme, die Sicherung der Vorherrschaft Deutschlands in Europa und ein nationalistischer Neoliberalismus sind die angeblichen Triebkräfte Merkels, die den Autor der Frankfurter Rundschau in kalte Wut versetzen.
Judy Dempsey dagegen hält Merkel aus transatlantischer Perspektive vor, ihre Möglichkeiten gerade auf internationaler Bühne nicht genügend einzusetzen:
Nur selten ist sie bereit, ihre Macht zu nutzen, um Europas Potenzial zu erklären. Und nur selten ist sie bereit, in der EU die Führungsrolle zu übernehmen, die von einem Land wie Deutschland erwartet wird.
Nikolaus Blome beschränkt seine kritischen Anmerkungen auf die indirekten Wirkungen von Merkels moderierend-präsidialem Regierungsstil in der deutschen Innenpolitik.
Wenn die Betriebstemperatur im Polit-Labor der Kanzlerin stetig nach unten moderiert wird, wächst an den Rändern des Parteienspektrums die Sehnsucht nach neuer Lebendigkeit, Wärme und Frische.
Blomes Annahme, die Piratenpartei werde als Nebenwirkung von Merkels Dominanz ihren Siegeszug fortsetzen, hat sich allerdings ebenso erledigt wie seine Vorhersage, Merkel werde ihr Amt im Falle eines Wahlsieges nach der Hälfte der kommenden Legislaturperiode abgeben. Sie will bleiben, hat die Kanzlerin unmittelbar nach Erscheinen des Buches erklärt. Natürlich in der BILD-Zeitung. Ein Schelm, wer meint, da könnten sich zwei zusammengetan haben, um für beide Seiten nützliche Aufmerksamkeit auf These und Dementi zu ziehen.
Angela Merkel ist eine kluge, mächtige, von tiefen Widersprüchen geprägte Frau, die vieles erreicht und noch mehr hat liegen lassen. Sie passt zu Deutschland, diesem Land, das sich seiner Geschichte, seiner Zukunft und seiner Rolle in der Welt, seiner Macht und seiner Möglichkeiten immer wieder vergewissern muss.
Schreibt Judy Dempsey als Resummée ihrer Studie – und legt damit den Schluss nahe, dass es im Herst eine Fristverlängerung für die Lösung der Riemannschen Vermutung der deutschen Politik geben wird.
Buchinfos:
Nikolaus Blome: "Angela Merkel – die Zauder-Künstlerin", Pantheon-Verlag, 208 Seiten, 16,99 Euro.
Stefan Kornelius: "Angela Merkel: Die Kanzlerin und die Welt", Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 19,99 Euro.
Judy Dempsey: "Das Phänomen Merkel. Deutschlands Macht und Möglichkeiten" Edition Körber-Stiftung, 208 Seiten, 16,00 Euro.
Stephan Hebel: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht", Westend-Verlag, 160 Seiten, 13,99 Euro.