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Der bayrische Ring

Unter Kent Nagano und Andreas Kriegenburg beginnt die Wagner-Tetralogie an der Staatsoper München. Während das Stück musikalisch insgesamt überzeugt, lässt die Inszenierung einige Fragen offen.

Mit Jörn Florian Fuchs | 05.02.2012
    Ungemein feinsinnig und sehr sinnlich beginnt dieses "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper. Zu Anfang gibt es folgende Szene: Vielleicht eine Hundertschaft weiß gekleideter Statisten unterhält sich leise, dann streicheln die trotz Masse ausdifferenzierten Individuen einander und streichen sich danach gegenseitig mit blauer Farbe an. Sobald das Orchester einsetzt, wird diese eigenartige Gruppe zum Rhein – mit schönen fließenden Bewegungen und anmutigen Gesten.

    Bald schälen sich drei goldige Schatzbewacherinnen heraus und alles scheint in schönster Harmonie, bis jemand das Ganze stört. Alberich ist es, er bringt die Chose aus dem Gleichgewicht, weil er als ungelenkes, fremdes Element weder mitmachen kann noch will. Und schon nimmt das Unheil seinen altbekannten Lauf, nur dass das Rheingold hier ein goldenes Menschlein ist, welches später zum glänzenden Tresorraum für Barren wird, und dass Andreas Kriegenburgs Mannen und Frauen Wagners Spiel- und Handlungsräume gelegentlich etwas ergänzen beziehungsweise erweitern.

    Wenn die weise Ur-Seherin Erda Wotan vor dem Fluch des Rings warnt, sorgen lemurenhafte, kalkige Wesen für ihren Schutz, der heranstürmende Obergott kriegt dabei ordentlich Schmutz auf seinen Anzug. Die Riesen kommen auf seltsamen Viereckfahrzeugen daher, die ganz aus Menschenleibern geformt sind, Fafner und Fasolt sind eigentlich normal groß, umtriebige Helfer heften ihnen aber riesige Gliedmaßen an.

    Das dunkle Reich des Zwergen Alberich wird mittels pyrotechnischer Tricks und sehr viel Nebel in eine Endzeithölle verwandelt. Der Weg dorthin von der Oberwelt entsteht sozusagen nur virtuell, es erscheint ein auf die schräge Guckkastenbühne projizierter Text: Wagners Beschreibung der Reise von Wotan und Loge.

    Als ästhetisches Gesamterlebnis kann man diesen lange ersehnten Ring-Auftakt durchaus goutieren, auch wenn insgesamt etwas zu viel herum geturnt wird. Aber was interessiert Kriegenburg am Stück, was will er uns sagen? Wotan erscheint als schwacher Normalo von nebenan, der seltsamerweise meist einen Speer mit sich führt. Wie er, so haben auch alle anderen Götter semmelblonde Haare, die Unterschichtler – Alberich, Mime und Riesen – tragen zottelige Frisuren und fallen durch miserable Manieren auf. Irgendwo dazwischen agiert Loge in seinem roten Anzug. Was fehlt, ist wirkliche Fallhöhe. Es sind alles simple, eindimensionale Figuren. Nur Loge bleibt undurchschaubar, er scheint ein mindestens doppeltes Spiel zu spielen. Als die Riesen sich um den Goldschatz streiten, reicht er Fafner ein Messer und stiftet ihn so zum Brudermord an. Aber warum?

    In der Walküre und den weiteren Teilen muss Kriegenburg konzeptionell ordentlich nachlegen.

    Musikalisch stand die Premiere unter einem ziemlich guten Stern. Kent Nagano dehnt zwar einige Stellen zu sehr, insgesamt überzeugen er und das Staatsorchester jedoch durch Präzision, Kultiviertheit und ein paar anregende Blech-Ausbrüche. Johan Reuter gibt einen recht lyrischen Wotan, Sophie Koch mimt seine Gattin mit unverbrauchtem, höhensicherem Sopran. Ganz wunderbar der kurzfristig eingesprungene Johannes Martin Kränzle als Alberich und Stefan Margitas nicht nur kantabel vielschichtig verschlagener Loge. Catherine Wyn-Rogers singt eine solide Erda, auch die Nebengötter Donner und Froh (Levente Molnár und Thomas Blondelle) machen ihre Sache gut. Auch bei den Riesen (Phillip Ens als Fafner, Thorsten Grümbel als Fasolt) und den Rheintöchtern (Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau) blieben kaum Wünsche offen.