Freitag, 03. Mai 2024

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Der Berliner Verleger Hans Schiler. Ein Radioporträt

Hans Schiler ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Krisenmanagement, wie man heute in Bezug auf Kleinverlage wirtschaftsdeutsch angepasst alles das nennt, was mit dem Verkauf von Büchern zu tun hat, ist seit nunmehr fast fünfundzwanzig Jahren der Alltag des Verlegers aus Berlin. Aus der Abstellkammer hat er einen zweiten Stuhl geholt, einige Kisten beiseite geschoben und auf dem Schreibtisch ein wenig Platz für ein Glas Wasser geschaffen. Erst vor einigen Wochen ist er mit seinem neuen, nach ihm benannten Verlag in ein Ladenlokal in die Fidicinstrasse 29 nach Berlin Kreuzberg umgezogen. Er ist derzeit der einzige Bewohner des mehrstöckigen Altbaus. Das Haus wird kernsaniert. Bohren, Hämmern, das Verlegen neuer Wasser- und Stromleitungen, nichts scheint den Verleger zu stören. Natürlich ist Hans Schiler ein Idealist. Aber sicher kein Phantast, wie so mancher Kleinverleger. Eitelkeiten kann er sich nicht leisten, ja, noch nicht einmal eine Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ist finanziell möglich. Dabei hat Hans Schiler schon mehr zum Verständnis der arabisch-islamischen Welt beigetragen als mach Anderer. 1977, als der studierte Islamwissenschaftler in Berlin den Verlag "Das Arabische Buch" gründete, gehörte er zu den Pionieren, die Literatur aus der Arabischen Welt verlegten:

Christoph Burgmer | 06.09.2002
    Der Verlag ist damals gemeinsam mit der Buchhandlung entstanden und das Konzept war eigentlich so einen kulturellen Raum zu schaffen in dem Begegnung zwischen arabisch, aber wir haben ja nicht nur den arabischen Bereich gemacht, sondern auch Türkei, Iran bis Indien, das heißt in dem Sinne, dass der Orient und Europa in Austausch treten. Zu der Zeit, das ist 1977 gegründet, war es eben mitnichten so, dass man die Titel in größeren Verlagsprogrammen, zumindest nicht regelmäßig gefunden hat und auch nicht im größeren Buchhandel. Das heißt, es war damals noch relativ schwierig an bestimmte Titel heranzukommen und von daher hat sich eben auch angeboten so etwas konzentriert auf ein Thema bezogen zu machen.

    Zur Erinnerung. 1977, nach der überwundenen sogenannten Ölkrise einige Jahre zuvor und noch zwei Jahre vor dem Schock der islamischen Revolution in Iran, fanden sich Literatur aus und Sachbücher zur islamischen Region fast ausschließlich an den Fachinstituten der Universitäten. Islam, Koran, Sharia und islamischer Fundamentalismus waren Fremdwörter in öffentlichen Diskussionen. Und auch die innerarabische Literaturdiskussion war bestenfalls eingeweihten Kreisen bekannt. Hans Schiler sollte dies ändern helfen. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen wurden veröffentlicht, die sonst keinen Verlag gefunden hätten. Auch zweisprachige Texte, insbesondere arabischer Lyrik und Übersetzungen klassischer arabischer, persischer und türkischer Texte bestimmten das Verlagsprofil. Ein Pionierarbeit, mit der Hans Schiler, zumindest in Fachkreisen, Erfolg hatte:

    Höhepunkte würde ich so im Nachhinein mit Sicherheit sagen, wir hatten ja einen Einsatz in einem Bereich, in dem ich heute auch wieder anknüpfe auf jeden Fall, das ist der Bereich von Literatur in deutscher Sprache, also zum Beispiel arabische Autoren, die aber in Deutsch schreiben. Da habe ich im Verlag ja zwei Bücher gemacht. Das eine zu einem Zeitpunkt, als Rafik Schami eben noch nicht der berühmte Rafik Schami von heute war, sondern am Anfang seiner Karriere stand. Und es ist nicht sein erstes Buch gewesen, aber es ist das erste Buch mit Literaturpreis gewesen für ihn, was ich damals verlegt habe. Und der ökonomisch, sagen wir mal von der Verbreitung her größte Erfolg war mit Salim Alafenisch. Das war damals sein Erstling und der ist ja auch zum bekannten Autoren geworden, der ja mittlerweile mit 10 Titeln auf dem deutschen Markt zu bekommen ist. Die Schwierigkeit als Kleinverlag ist natürlich, wenn dieser Erfolg mit den Autoren eintritt, dann kriegen die Autoren natürlich sofort von großen Verlagen Angebote. Das ist im Grunde genommen etwas, was man als kleiner Verlag befürworten sollte, aber es ist eben auch schwierig, Autoren aufzubauen, wenn nicht eine kontinuierliche Kooperation auch zustande kommt.

    Als der Verlag "Das arabische Buch" im Sommer vergangen Jahres schließen musste, weil insbesondere die Etats der Universitäten für Fachbucheinkauf zusammengestrichen worden waren, übernahm Hans Schiler einen Teil der Bücher in die Backlist des neuen Hans Schiler Verlages. Lieferbar sind nur noch wenige ausgewählte Titel, wie eine exzellente Übersetzung des Rosengartens von Saadi oder die von dem in Köln im Exil lebenden irakischen Lyriker Khalid Al-Maaly zusammengestellte Antologie zeitgenössischer arabischer Lyrik, der Einzigen in ganz Europa. Titel : Zwischen Zauber und Zeichen. Moderne Arabische Lyrik von 1945 bis heute. Manch eines der Bücher, die Hans Schiler heute noch betreut, hat weltweite Diskussionen hervorgerufen. Als sich vor zwei Jahren kein Verlag für die wissenschaftliche Untersuchung mit dem schwierigen Titel: "Die Syro-Aramäische Lesart des Koran" fand, war es wiederum der Kreuzberger Verleger, der erkannte, welche Bedeutung diese Untersuchung hatte und der das Risiko der Veröffentlichung auf sich nahm:

    Der Autor ist Sprachwissenschaftler und geht textexegetisch an den Koran ran. Das ist einigermaßen neu. Seine Hauptthese ist die, was er sprachwissenschaftlich versucht in dem Band nachzuweisen, dass Teile der Koransprache nicht in Arabisch, sondern Syro-Aramäisch zu lesen sind. Das heißt, die Verkehrssprache in der Zeit, als Mohammed gelebt hat, war die Verkehrssprache das Aramäische. Einzelne schwierige Stellen, es gibt ja Stellen im Koran, die auch von den klassischen Koraninterpretationen der islamischen Interpreten als kompliziert gelten, das heißt, die werden meistens als ´agaz, das heißt irgendwie geheimnisumwittert und bedürfen dann langer Interpretationen, was das genau ist. Und genau diese Worte oder Begriffe aramäisch gelesen ergeben tatsächlich einen neuen Sinn, der sehr viel Sinn macht und das ist der eigentliche Kern dessen, was der Autor mit der "Syro-Aramäischen Leseart des Koran" vorgelegt hat, der Christoph Luxenberg. Dieses Buch hat zu einer großen Diskussion geführt. Es war eine ganze Seite im Guardian diskutiert, danach kam die New York Times mit einer ganz großen, die Los Angeles Times, mittlerweile auch La Stampa, große holländische Zeitungen, in Luxemburg und in Frankreich. In Deutschland ist das Buch quasi negiert worden. Obwohl wir es überall in der Presse beworben und angeboten haben, war jetzt erst im Focus ein Dreiseiter. Das ist aber im Grunde das erste, was nach zwei Jahren an Besprechungen kam.

    Auf allein 160 Internetseiten wird das Buch derzeit diskutiert, der Autor Christoph Luxenberg, ein Synonym, ist inzwischen berühmt geworden. Die Konsequenzen dieser Untersuchung sind noch gar nicht absehbar, denn was würde es bedeuten, wenn zum Beispiel die Paradiesjungfrauen, von denen der Koran spricht, gar nicht mit dem Begriff "huris" gemeint sind, weil dies eine spätere Interpretation des islamischen Mittelalters ist. Zu der Zeit war das Verständnis der aramäischen Sprache schon längst aus dem Bewusstsein der Koranlektoren verschwunden. Wenn man mit in Betracht zieht, welche Bedeutung der Koran für die Ideologiebildung islamischer Terroristen hat, wird erst die gesamte Tragweite und politische Brisanz der Arbeit Luxenbergs deutlich. Aber auch auf das Alltagsverständnis der Muslime, soweit es religiös bestimmt ist durch koranische Vorgaben, könnte die wissenschaftliche Untersuchung Auswirkungen haben. Es ist bezeichnend, dass man in Deutschland ein solches Buch kaum wahrnimmt. Erinnerungen an die Peinlichkeiten nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an den Ägypter Nagib Machfus werden wach. Scheinbar muss in Deutschland ein Autor oder Verleger erst von islamischen Fundamentalisten bedroht sein, bevor man eine solches Buch öffentlich diskutiert. Das ist in diesem Fall nicht so. Ist es also Ahnungslosigkeit oder schlicht Ignoranz? Sicher ist, dass ein Verleger wie Hans Schiler, insbesondere nach den Ereignissen des 11. Septembers, in Frankreich, den USA oder Großbritannien eine bekannte öffentliche Person wäre. Denn kaum jemand in Deutschland hat die Fachkenntnis und Erfahrung bezüglich des Kulturaustausches zwischen der Islamischen Welt und dem Westen. Hans Schiler hat nach fast einem viertel Jahrhundert noch nicht völlig frustriert aufgegeben, etwas, was ihm angesichts der fehlenden Resonanz auf seine Tätigkeit als Verleger niemand hätte verdenken können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mit dem neuen Verlag will er wieder neue Wege gehen. Den Leser wird es freuen:

    Das Programm wird etwas andere Akzente bekommen. Das heißt ich arbeite natürlich auf Basis der 24 Jahre vorher, das heißt, was wir machen und weiterhin im Verlagsprogramm führen werden ist die Übersetzung aus dem Arabischen, also Belletristikprogramm wird es geben und ich werde auch einige Sachbücher in dem Bereich machen, also ich bin auch dabei den zweiten Band mit Luxenberg zu machen, der dann bald erscheinen wird und mit Sicherheit auch für Überraschungen sorgt, weil da auch neue Stellen im Koran zu ganz interessanten Interpretationen führen. Aber ich mache im Verlag auch ein erweitertes Programm, das heißt einerseits werde ich anknüpfen an internationale Autoren deutscher Sprache, das heißt mitnichten nur arabische Autoren, die in Deutsch schreiben sein, sondern wirklich internationale Literatur in deutscher Sprache. Also eine junge Wiener Türkin ist im Programm für das nächste Frühjahr vorgesehen. Auch im Sachbuchbereich arbeite ich auch sehr stark in diesem Migrationsbereich. Es ist ein Buch, das jetzt schon im Herbst erscheinen wird mit Hassan Schill, einem türkischen Autoren aus Bremen. Der hat die Lebenserfahrung der ersten Generation der Gastarbeitergeneration aufgenommen, ganz lange Interviews gemacht mit Männern und Frauen über ihr Leben, wie sie gekommen sind, mit welchen Erwartungen, was passiert ist, wie es dazu kommen, dass sie hier jetzt als Rentner leben und auch in Deutschland sterben werden, was wohl ursprünglich in der ganzen Konzeption schon gar nicht von Anwerberseite, auf deutscher Seite vorgesehen war. Also diese Generation zu Wort kommen zu lassen und das ist ein Stück deutsche Gegenwartsgeschichte. In dem Bereich werde ich mehr machen, das wird ein ganzes Profil, was diesen Migrationsbereich angeht und interkulturelles Leben in Deutschland.