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Der besondere Fall
Pusteln an Händen und Füßen

Die Patientin lebt monatelang mit einem seltsamen Körpergefühl, fühlt sich, als wäre sie die Treppe runtergefallen. Auch Sehnen und Bänder schmerzen. Dann kommen an Händen und Fußsohlen Punkte zutage, die aussehen wie dicke Eiterpusteln. Endlich findet ein Arzt heraus: Die Frau leidet an einer sehr seltenen Form der Schuppenflechten-Gelenksentzündung.

Von Mirko Smiljanic | 31.01.2017
    Eine junge Frau putzt sich die Nase.
    Die Patientin fühlte sich müde, kaputt, erschlagen und dachte, sie hätte einen grippalen Infekt. Die Diagnose war aber eine ganz andere. (dpa picture alliance / Klaus Rose)
    Frühjahr 2008, irgendwo im Rheinland. Der damals 47 Jahre alten Verwaltungsangestellten im öffentlichen Dienst – Namen spielen keine Rolle – geht es an diesem Nachmittag schlecht.
    "Da habe ich mich total müde, kaputt, erschlagen gefühlt und ich hatte so wie einen grippalen Infekt. Dann kamen ganz furchtbare Kopfschmerzen hinzu, wo ich gedacht hab, jetzt wird das bestimmt ein Tumor sein oder so." Seit mehr als einer Woche fühlt sie sich krank, Besserung ist nicht in Sicht.
    "Dann bin ich zu meinem Hausarzt, der hat mir eine Überweisung zu einem Neurologen gegeben, dann wurde da halt alles abgeklärt und Gott sei Dank war da alles normal, aber der hat mich dann noch an demselben Abend angerufen, weil er mir noch Blut abgenommen hat, und hat dann gesagt, dass bei mir eine Borreliose vorliegt, und dann sollte ich sofort am nächsten Tag dahin kommen, ja, und dann fing eigentlich mehr oder weniger das Drama damit an."
    Das Stevens-Johnson-Syndrom kennt kaum jemand
    Borreliose im Frühjahr? Warum nicht, Zecken sind ausgesprochen stechfreudig. Aber führt jeder Stich zu der gefürchteten Infektion? Professor Ulf Müller-Ladner, ärztlicher Direktor und Rheumatologe an der Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim, mahnt zur Vorsicht.
    "Da viele Menschen in die Natur gehen und mehr oder weniger häufig unbemerkt gestochen werden, merkt es das Immunsystem und die meisten Menschen haben irgendwelche Abwehrreaktionen, die man messen kann, und daher kommt oft die Fehldiagnose "Borreliose", die dann zu verschiedenen Therapien führt, die nicht immer sinnvoll sind."
    "Ich habe dann damals Doxicyclin bekommen, eigentlich das gängige Antibiotika, was ich dann halt drei Wochen nehmen sollte. Da ich aber die meisten Beschwerden im Kopf hatte und das Doxicyclin nicht hirngängig ist, habe ich gedacht, wie soll es denn da helfen können? Daraufhin habe ich dann versucht, mit dem Arzt zu sprechen, der war aber nicht so kooperativ, und dann habe ich gedacht, okay, dann sind wir eben nicht kompatibel."
    Die Mutter von vier Kindern ist selbstbewusst und resolut. Bevor sie klein beigibt, wechselt sie lieber zu einem "kompatiblen" Arzt. Der neue Mediziner ist kommunikationsfähig – und ein Verfechter therapeutischer Brachialrundumschläge. Sechs Wochen lang bekommt die Rheinländerin täglich eine Infusion mit Antibiotika.
    "Dann musste ich pausieren, dann begann die zweite Phase, und dann habe ich allergisch reagiert und das Stevens-Johnson-Syndrom bekommen, eine lebensbedrohliche Hautallergie, und damit bin ich dann in der Uniklinik Bonn gelandet."
    Das Stevens-Johnson-Syndrom kennt kaum jemand – zum Glück! Es ist eine der schlimmsten allergischen Reaktionen überhaupt, ein Totalangriff aller Kräfte des Immunsystems gegen die Haut.
    "Wie eine Himbeere habe ich ausgesehen"
    "Die entzündet sich maximal, hebt sich dann ab, gibt große Blasen, und wenn das zu viel Haut betrifft ähnlich wie bei Verbrennungsopfern, dann kann man alleine durch das auch versterben. Das ist schon eine Notfallsituation, eine der schwersten Krankheitsbilder, die wir kennen in der Medizin."
    "Wie eine Himbeere habe ich ausgesehen, die Füße und die Hände, als wäre ein Auto drübergefahren, die waren blau-rot und geschwollen."
    Die Ärzte der Dermatologischen Klinik am Uniklinikum Bonn verabreichen als Sofortmaßnahme hoch dosiertes Kortison – tatsächlich bilden sich die Symptome zurück. Wirklich gut geht es der Patientin aber trotzdem nicht. Sie sei phasenweise "komatös müde", außerdem schwillt ohne erkennbaren Grund ihr rechtes Knie an.
    "Ich hatte ja im Gesicht auch negroide Züge, das war ja auch nicht alles so prickelnd, und dann kam dann eben noch die Gehbehinderung dazu, ja, und dann sollte ich zuerst nach Hause gehen, und dann habe ich gesagt, das dicke Knie habe ich hier bekommen und dann wäre es auch schön, wenn man es mir hier wieder wegmacht."
    Die Patientin wird in die Orthopädische Klinik verlegt, wo das Drama in eine neue Runde geht: Neben dem Knie schwellen noch andere Gelenke an.
    "Die Finger und die Handgelenke, alles wurde dick und unbeweglich und steif, ich war nicht mehr in der Lage, mich selbst zu pflegen, weder die Zähne zu putzen, die Haare zu kämmen oder an- oder auszuziehen, das war alles erheblich eingeschränkt."
    Für Ulf Müller-Ladner reicht ein Blick und er kennt die komplette Diagnose
    Wochen vergehen, niemand kann der Rheinländerin helfen. Wieder wird sie weiter überwiesen, diesmal in die Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim. Professor Ulf Müller-Ladner, Ärztlicher Direktor und Rheumatologe, kennt ihre Vorgeschichte von Kollegen. "Ich glaube, ich bin donnerstags hergekommen und dann stand auch bereits Freitag die Diagnose, um was es sich dann konkret handelt."
    Sie leidet an einer "Rheumatoiden Arthritis". Auf eine so gängige, ja fast schon banale Diagnose soll bisher niemand gekommen sein? Natürlich stand sie immer wieder zur Diskussion, aber manche Symptome stimmten nicht. Leider ist die "Rheumatoide Arthritis" deshalb auch nur eine erste Diagnose, genauer, die erste halbe richtige. Bis zur kompletten richtigen Diagnose vergehen Monate mit einem seltsamen Körpergefühl.
    "Als wäre ich die Treppe runtergefallen, dass Sehnen und Bänder wehgetan haben, und dann kamen zunächst auch in meinen Handinnenflächen so Punkte, das sah aus wie kleine Eiterpöckchen, dem habe ich aber nicht viel Bedeutung geschenkt, bis das dann halt an den Füßen gekommen ist, also unter den Fußsohlen, da waren ich sag mal mindestens wie ein Zehncentstück oder größer dicke wie Eiterpusteln haben die ausgesehen."
    Für Ulf Müller-Ladner reicht ein Blick und er kennt die komplette Diagnose: "Psoriasis pustulosa"! Die Frau leidet an einer sehr seltenen Form der Schuppenflechten-Gelenksentzündung. Um Gelenke und Haut zu beruhigen, behandelt Müller-Ladner seine Patientin mit Biologika, biotechnologisch aus lebenden Zellen hergestellten Medikamenten. Verglichen mit der Situation vor einigen Monaten geht es ihr heute gut, aber eben noch nicht sehr gut. Zum Beispiel sei sie ausgesprochen wetterfühlig.
    "Ich hab schon gedacht, meine zweite Berufskarriere werde ich vielleicht als Wetterfrosch oder so was machen, (lacht), also heute habe ich zum Beispiel relativ starke, ja, was heißt Schmerzen, als wäre ich die Treppe runtergefallen, alles ist halt irgendwie so unbeweglich, fühlt man sich, Sehnen, Bänder und so was, es gibt solche Tage und es gibt auch mal ganz gute Tage, ne."