Archiv


Der Biografie-Lieferdienst

Fast alle Informationen kann man heute umsonst im Internet finden. Trotz dieser Konkurrenz läuft das Geschäft mit Lebensläufen für das Munzinger Archiv gut. Denn Medien und Bibliotheken brauchen die stets aktuellen und geprüften Biografien.

Von Thomas Wagner |
    Dorotheea Kleine, eine Frau Ende 50, gibt ein S auf dem Tastenfeld ein. Dann setzt sich ein wenig behäbig der so genannte "Paternoster-Schrank" in Bewegung - eine riesige rotierende Trommel, an der, alphabetisch sortiert, kleine Aktenmappen hängen. Bei S stoppt das Gerät; Dorothea Kleine zieht die Mappe über Sarkozy heraus, heftet den kleinen Artikel an einen Stapel vieler anderer Artikel über den ehemaligen französischen Staatspräsidenten. Ein Mann im dunklen Anzug kommt herein, lächelt freundlich.

    "Das ist unser konventionelles Papierarchiv. Parallel dazu betreiben wir ein digitales Archiv, in dem wir das, was wir digital aufsammeln und recherchieren, speichern."

    Oberzell, ein kleines Dörfchen ganz in der Nähe der oberschwäbischen Stadt Ravensburg. Ernst Munzinger leitet bereits in dritter Generation ein Unternehmen, das sein Geschäft mit den führenden Köpfen dieser Welt betreibt – oder besser gesagt: mit deren Lebensläufen. Das war bereits damals so, vor genau 100 Jahren, als der Zeitungsredakteur Ludwig Munzinger seinen Job aufgab und den Schritt in die Selbständigkeit wagte.

    "Da kam er eigentlich durch die eigene Arbeit drauf, die ihn immer wieder an den Punkt gebracht hatte, dass er nicht die richtigen Unterlagen hatte, dass ihm was fehlte, vor allem, dass er darüber, was kürzlich gewesen war und noch nicht so lange zurücklag, nicht so richtig Bescheid wusste. Und das war die Idee: Seinen Journalistenkollegen ein laufend aktualisiertes Archiv, ein Nachschlagewerk zur Verfügung zu stellen über Tagesereignisse, aber auch im Bereich über Personen, die handeln, die wichtig sind im Bereich von Politik, Wirtschaft, Kultur. Das war seine Idee."

    Eine Geschäftsidee, die sofort zündete: Viele der damals erscheinenden 3500 Tageszeitungen wurden rasch Munzingers Kunde. Dessen Dienstleistung bestand in einer Art Lexikon, das er und seine Mitarbeiter täglich aktualisierten. Und an diesem Geschäftsprinzip hat sich bis heute nichts geändert.

    "Im Moment hat Beatrix abgedankt. Das heißt: Ich lasse die jetzt auch abdanken bei uns und inthronisiere König Willem Alexander und Maxima."

    Anne-Marie Schoch ist Archivleiterin bei Munzinger. Doch manchmal ist ihre Aufgabe auch zukunftsgerichtet: Am Tag des Wechsels im niederländischen Königshaus ändert sie die Einträge aller beteiligten Personen …

    "… in dem ich alle ‚Bio´, also die Personendaten aktualisiere, der Text muss aktualisiert werden. Der Lebenslauf, der vorangestellt ist, der tabellarische, der muss geändert werden. Adressen müssen aktualisiert werden. Also alle Daten müssen sofort aktualisiert werden."

    Das war die Stärke des Munzinger-Archivs bereits vor 100 Jahren – und das ist die Stärke des Unternehmens heute noch. Hinzu kommt: Alle Texte, die Munzinger herausgibt, schreiben entweder die fest angestellten Redakteure oder jene 50 freien Autoren, die dafür exklusiv von Munzinger beauftragt sind. Und genau dies unterscheidet die Qualität der Biografien, die Munzinger herausgibt, von Gratis-Internet-Diensten wie beispielsweise Wikipedia.

    "Vor allem diejenigen, über die wir schreiben, können nicht Einfluss nehmen. Das ist unsere Entscheidung, wen wir aufnehmen, wie wir über eine Person schreiben. Das ist in anderen Informationsmöglichkeiten im Internet unter Umständen anders."

    Mit dieser Art von selbst recherchierten und gegengeprüften Informationen lässt sich, trotz aller Gratis-Angebote im Internet, Geld verdienen. Munzinger bietet neben den ständig aktualisierten Biografien über derzeit rund 40.000 bedeutenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte längst auch einen Länder- und Zeitgeschichts-Informationsdienst an. Darüber hinaus ist das Archiv-Unternehmen mit Sitz in Oberschwaben auch mit zahlreichen Datenbanken von Verlagen vernetzt; die Abonnenten haben darauf ebenfalls Zugriff:

    "Also die Größenordnung liegt bei 2000 Kunden etwa, aus dem Bereich der Medien, Bibliotheken, größere Verbünde von Bibliotheken, Institutionen, Landtage, der Bundestag ist natürlich unser Kunde, die Ministerien, Bundesministerien und auch Landesministerien. Und ja, natürlich, der Deutschlandfunk gehört auch zu unseren Kunden, seit Anfang an, glaube ich."

    Munzinger schreibt schwarze Zahlen

    "Salt-II-Abkommen. Soll man das nun erklären oder nicht? Das ist ja auch so eine Sache, die vielleicht nicht jeder Leser gleich weiß."

    "Das, denke ich, lässt sich relativ einfach lösen mit USA und Sowjetunion. Scheue Dich nicht, nicht zu viele Fragezeichen lassen."

    Redaktionskonferenz im Obergeschoss des zwar modernen, aber beschaulichen Munzinger-Gebäudes in dem Dörfchen Oberzell. Hier ringen die Redakteure des zeitgeschichtlichen Informationsdienstes um einzelne Formulierungen: Welche Begriffe muss man erklären und welche eher nicht?

    Rolf Lachenmeyer arbeitet bereits seit 20 Jahren als Redakteur bei der Munzinger-Archiv GmbH:

    "Der Hauptpunkt hier war jetzt, inwiefern inhaltliche Dinge erklärungsbedürftig sind: Ist ein Salt-II-Abkommen erklärungsbedürftig für die normalen Nutzer und Leser? Oder ein Libanon-Krieg oder ein Jom-Kippur-Krieg, was ja eigentlich schon historische Daten sind. Das ist eigentlich immer eine laufende Diskussion."

    Die nur von gut ausgebildeten Fachleuten geführt werden kann. Ernst Munzinger:

    "Das sind in der Redaktion in aller Regel Menschen, die ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert haben, ob Politik, Geschichte, Soziologie. Man kann auch Volkswirtschaft gut gebrauchen. Also den Überblick, was so im Wirtschafts-Staatswesen passiert, den sollte man haben."

    Firmenchef Ernst Munzinger allerdings ist von Hause aus Ingenieur – und auch das hat mit der Firmengeschichte zu tun. In den 60er Jahren sprangen dem Archivdienst reihenweise die Kunden ab. Der Grund: Das war die große Zeit der Fusionen von ehemals selbstständigen Tageszeitungen. Ernst Munzinger sah keine Zukunft mehr in der Firma seines Vaters und Großvaters und studierte Maschinenbau. Doch das Unternehmen kam wirtschaftlich wieder auf die Beine, weil es sich neue Kunden erschließen konnte - Bibliotheken und wissenschaftlichen Institutionen.

    Erst 1985 kehrte Ernst Munzinger ins Familienunternehmen zurück. Seine technische Ausbildung sollte sich in den Folgejahren als Segen erweisen:

    "Klar was das auch für mich eine spannende Frage, einen kleinen Verlag, der Loseblattwerke herstellt, auf die neue Schiene, auf die digitale Schiene zu setzen. Da waren dann durchaus Möglichkeiten zu sehen, die mich interessiert haben."

    Ernst Munzinger bot daraufhin die Archivdienste erst im damaligen Bildschirmtext, später dann über die firmeneigene Plattform "Munzinger online" an. Wenn auch der Paternosterschrank mit den Zeitungsausschnitten ab und zu noch in Betrieb geht – rund 99 Prozent aller Informationen verbreitet die Munzinger Archiv GmbH heutzutage digital; die Kunden können sich direkt in die Datenbanken des Unternehmens einloggen und nach Herzenslust auf die Biografien von Königen, Politikern, Wirtschaftskapitänen, Sängern, Maler und vielen anderen bedeutenden Persönlichkeiten mehr zurückgreifen. Ergebnis: Die Munzinger Archiv GmbH erwirtschaftet regelmäßig Jahresumsätze im einstelligen Millionenbereich; das Unternehmen schreibe, sagt der Chef, konstant schwarze Zahlen.

    Doch rasten rostet, weiß der gebürtige Oberschwabe Ernst Munzinger – und denkt an die nächsten 100 Jahre seines Unternehmens:

    "Es geht dahin, dass wir unser Profil noch klarer machen und auch wirklich Zusatznutzen erzeugen. Wir versuchen, die Informationen, die dort zu finden sind, miteinander zu vernetzen und dem Benutzer direkt zu zeigen: Hier geht es weiter zu einer anderen, sehr guten Information. So können wir durch Datenbanken, die wir flankierend betreiben auf Munzinger online, doch noch tiefer einsteigen in einem Literaturlexikon, das es eben auch nicht so einfach kostenlos im Internet gibt, weil diese Dinge von Leuten gemacht werden müssen, die davon leben, dass sie solche Informationen bereitstellen."