Mittwoch, 08. Mai 2024


Der Blick nach Hause

Nun sind es schon drei Wochen her, dass ich keine Post von Dir erhalten habe. Ich hatte Dir doch am 14. November per Luftpost geschickt, ist der schon angekommen? Schreib mir gleich wieder, wenn Du diesen Brief erhältst. Ich warte sehnsüchtig darauf.

Von Doris Bulau | 27.11.2002
    Der Obergefreite Wolfgang Berg am 7. Dezember 1942 an seine Frau. Die Feldpost, für Soldaten immer schon wichtig, ist zu einer geradezu lebensnotwendigen Verbindung nach Hause geworden. Aber für die eingeschlossenen Soldaten wird diese Verbindung immer brüchiger. Der Unteroffizier Karl Kaufmann am gleichen Tag, wenige Wochen vor seinem Tod im Kessel von Stalingrad:

    Sicher wirst Du schon einmal auf Zeilen von mir gewartet haben; aber nicht Faulheit, sondern die große Lage ist schuld, dass unsere Verbindung so mangelhaft, denn im Norden, Süden, Osten und Westen von mir sind Russen. Seit einiger Zeit sind wir eingekesselt. So leben wir das Leben von Insulanern, ohne jeden Nachschub anfangs, ohne Postverbindung auch noch heute.

    Mein lieber guter Engel! Schrecklich ist es, wenn man keine Post bekommt. Jetzt ist es schon einen Monat her, dass ich keine Post erhalten habe. Man erzählt aber, dass in den nächsten Tagen Post kommen soll. Allerdings nur Briefpost und keine Päckchen. Päckchen nehmen die JU’s nicht mit. Ich könnte das Heulen bekommen, wenn ich an die Weihnachtspäckchen denke, die Du mit soviel Liebe fertiggemacht hast.

    Der Kanonier Max Breuer; er stirbt später in der Gefangenschaft. - Die Nachrichten von zu Hause sind die Chance, für einen Moment dem trostlosen Kriegsalltag zu entfliehen. Der Funker Heinrich Becker

    Meine liebe Mami, (...) wie freue ich mich über jeden Brief von Dir, es ist so eine ganz andere Welt, eine schöne, liebenswerte Welt, die von Euch kommt, und die man hier so sehr nötig hat. Jeder Brief ist ein Geschenk für mich, für das ich Euch leider nur auf diese Weise danken kann. Wenn die Post mal länger ausbleibt, ist es bald schlimmer, als wenn es mal nichts zu essen gibt.

    Kaum mehr zu verbergen ist oft die Enttäuschung, wenn wieder kein Brief von Zuhause dabei ist, wenn die Nachrichten aus der Heimat ausbleiben, wie bei dem Obergefreiten Wolfgang Berg, der sich am 29. Dezember wieder an seine Familie wendet.

    Es hat ja alles keinen Zweck mehr, ich hab schon so viele Briefe an Dich geschrieben und bekomme von Dir keine Antwort. Dein letzter Brief war vom 17. November, den ich vor etwa 14 Tagen erhalten habe. Was ist bei Euch eigentlich zu Haus los? Hoffentlich bekomme ich auf diesen Brief gleich Nachricht. Liebling, Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie das ist, wenn ich keine Post von Dir erhalte.

    Der Obergefreite Berg wird einige Wochen später vermisst gemeldet. - Oft zeigt sich hinter dem Wunsch nach Post auch die Sorge um das Schicksal der Angehörigen in Deutschland. Wie bei dem Funker Heinrich Becker:

    Hilde machte auch Andeutungen, dass unser Haus in Bremen ernstlicher beschädigt sei, sollte es wirklich schwerer zerstört sein, so müsst Ihr mir das sofort schreiben, denn ich habe sodann Anspruch auf einen längeren Urlaub, zur Erledigung der entstandenen Schwierigkeiten, zumal da Vater nicht mehr lebt und ich der einzige Sohn bin und Du kein luftgefährdetes Gebiet betreten darfst. (...)Lieber wäre es mir natürlich, wenn unserem Haus nichts geschieht.

    Heinrich Becker kann noch einmal nach Hause zurückkehren. Er stirbt 1944 in Rostock an den Folgen einer Verwundung. - Zum Teil sind die Soldaten schon Jahre von den Familien getrennt, von kurzen Urlauben abgesehen. Und sie wollen unbedingt mitverfolgen, wie sich zum Beispiel die Kinder entwickeln. Der Hauptfeldwebel Reinhold Moog am 4. Januar 1943

    Mein lieber Schatz! Wenn Dich diese Zeilen erreichen, hast Du vielleicht gerade Geburtstag. Wie schön war da doch Dein Geburtstag im vorigen Jahr..... Möge uns der liebe Gott doch noch einige Jahre des Beisammenseins schenken, vielleicht nach dieser schweren Zeit. Ob ich’s wohl erlebe, zu sehen, wenn mein kleiner Sonnenschein zur Schule kommt? Oder ob Du da wieder allein sein mußt wie zur Gerhards Konfirmation? Es ist gut, dass wir vorher nichts wissen. Hoffen wir weiter, dass uns doch bald ein Wiedersehen vergönnt sein möge.

    Fünf Tage später verliert sich die Spur des Hauptfeldwebels Moog in Stalingrad. - Für manche ist das Briefschreiben ein Mittel, sich für kurze Zeit wegzuträumen, eine kleine gedankliche Flucht, wie sie sich zum Beispiel der Fahnenjunker Werner Karl Ehling Anfang Januar erlaubt, wenige Tage, bevor er verschollen ist.

    Ich nehme an, dass es Euch allen noch gut geht. Wenn ich in nächster Zeit zu Haus auf einmal auftauche, werde ich mir erst mal ein paar gemütliche Tage machen. Jetzt eine anständige Mailändertorte hier. Ich glaube, ich gäbe alles dafür. Oder ein Brötchen mit Schinken. Vorläufig alles noch Luftschlösser. Ihr könnte Euch denken, wie man sich das hier alles ausmalt.

    Für andere ist die Feldpost ein Ventil, um das Erlebte zumindest ansatzweise zu verarbeiten. Der Major Hugo Sigle, wenige Wochen vor seinem Tod:

    Wie viel hätte ich zu erzählen, und wie viel erlebe ich auf den paar Quadratmetern Lebensraum trotzdem an Menschenkenntnis. Nur ist man als Führer so stark der allein Gebende auf Tage und Nächte - Wochen, so dass man selber eines Zuspruches bedürfte, der einem unter diesen Umständen nur durch die Luft zugeführt werden kann.

    Der Tierarzt Franz Schmitt ahnt in einem seiner letzten Briefe an seine Frau, dass ihn das Grauen, das er erlebt hat, nicht unbeschädigt lassen wird, wenn er es denn überleben sollte. Aber auch Franz Schmitt kehrt nicht zurück.

    Man stumpft doch langsam sehr ab. Es war alles zu grausam hier, was hinter uns liegt, und es wird seine Zeit dauern, bis man sich mal wieder an normale Verhältnisse gewöhnt hat. Das einzige, woran ich mich sehr, sehr schnell gewöhnen werde, wenn ich mal wiederkomme, das bist Du, und ich weiß auch, dass mit Deiner warmen Herzensgüte all das harte Eis dann tauen wird, das sich uns hier auf die Herzen gelegt hat.