In Matt Cohens Roman "Der Buchhändler" taucht eine ähnliche Figur auf, die alte, etwas heruntergekommene Lyrikerin Meribel T. Simmons. Auch sie verfolgt in Buchhandlungen eine besondere Passion. Und zwar kauft sie eigene Gedichtbände zurück, die - von ihren Erstbesitzem meist ungelesen - irgendwann in Torontos Antiquariaten gelandet sind. Gegen Ende geschieht Überraschendes: Meribel wird durch einen Zufall wiederentdeckt. Ihre Lyrik findet plötzlich Leser. Die örtliche Brauerei, deren Marke sie bevorzugt trinkt, verleiht ihr einen Literaturpreis. - Eine Episode, die zeigt, daß Matt Cohens Stärke in der literarischen Kurzform liegt. Sein Roman aber kann nicht überzeugen. Das liegt daran, daß er sich zuviel vorgenommen hat. "Der Buchhändler" handelt von den ganz großen Themen: Von Liebe, Tod und Literatur - alles auf einmal, und nichts wird dabei wirklich greifbar.
Cohens Titelheld heißt Paul Stevens. Als Ich-Erzähler blickt er mit zeitlichem Abstand auf eine dramatische Phase seines Lebens irgendwann in den 70er Jahren zurück. Paul stammt aus tristen Verhältnissen: Der Vater ein Trinker, die Mutter durchgebrannt, er selbst übers erträgliche Maß hinaus von seinem älteren Bruder Henry abhängig. Der wußte immer schon besser, wo's langgeht, oder hat das wenigstens immer schon behauptet. In den Buchhandel gerät Paul Stevens genauso zufällig wie an die Probleme, mit denen er sich herumschlägt. Beidem aber widmet er sich mit Leidenschaft. Der Leser weiß nicht, warum, und Matt Cohen tut wenig, es ihm zu erklären. Statt dessen bietet er Schablonen an. Pauls erstes Leseerlebnis beispielsweise ist Charles Dickens, dessen Bücher er als Halbwüchsiger verschlingt. Diese Lektüre weckt seine Liebe zur Literatur, und man sollte meinen, das sei tieferer Betrachtung würdig. Cohen aber schildert das Geschehen so oberflächlich, daß man noch dutzende Seiten später auf die literarische Initiation des späteren Buchhändlers wartet. Aber vielleicht wird Paul ja auch nur deshalb Buchhändler, weil der Laden, in dem er den Beruf erlernt, so malerisch ist. Fenwick's Antiquariat schimmert mahagoni-golden. Dicke Schmöker in verstaubten Ledereinbänden werden hier mehr gehätschelt als gehandelt. Doch das Idyll ist nicht von Dauer. Ein zwielichtiger Cop tritt auf, der seine guten Kontakte zum Milieu mißbraucht und ausgerechnet die Menschen von sich abhängig macht, die Paul am meisten liebt. Es geht um Drogenhandel und Schutzgelderpressung und um Pauls Kampf gegen einen skrupellosen Gegner, der in einer dramatischen Rettungs- und Racheaktion gipfelt. Matt Cohen arbeitet mit klassischen Mitteln des Kriminalromans. So erfahren wir schon auf der ersten Seite, daß es in dieser Geschichte Tote geben wird, wer dran glauben muß, bleibt aber bis zum Schluß offen.
Das könnte sehr spannend sein, würde die Handlung nicht immer wieder durch lange Passagen über eine Entwicklung des Titelhelden unterbrochen, die es gar nicht gibt, weil Paul sich immer nur im Kreis bewegt. Alle Versuche, sich aus seiner symbiotischen Beziehung zum Bruder zu lösen, scheitern. Selbst im Rückblick kann Paul "nicht behaupten, er wüßte, wo er aufhört, und wo Henry anfängt." Vielleicht versucht Paul Stevens nur am falschen Ort und mit den falschen Menschen, der doppelbödigen und gefährlichen Welt zu entkommen, in der sein Bruder lebt. Weder Fenwick's Antiquariat noch Pauls große Liebe Judith sind die autonomen Sphären, für die der inzwischen 25jährige sie lange hält. Längst ist auch in diese idealisierten Horte des Guten, Wahren und Schönen das böse Prinzip eingebrochen, nur daß Paul der Letzte ist, der das bemerkt. Wie sich Gegensätze in dieser Erzählung allmählich annähern, wie ihre Struktur unterstreicht, daß nichts Schwarz oder Weiß ist, sondern alles sich in einer grauen Schnittmenge überlappt - das ist gut gemacht.
Leider aber tappt Matt Cohen im Bemühen, die Naivität seines Helden zu beschreiben, in zwei selbstgestellte Fallen. Paul Stevens, wird uns immer wieder vorgeführt, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ständig reflektiert er über Gut und Böse. Gleichzeitig aber versteift er sich auf eine Weltsicht, in der nicht sein kann, was nicht sein darf "Ich bin ein Zyniker in manchen Dingen," beschreibt er sich selbst, "doch ich kann niemals glauben, daß eine Person absichtlich einer anderen Schaden zufügt. Und so sind die Herzen anderer für mich unergründlich." Unergründlich bleiben sie dann auch dem Leser. Das vielgestaltige Personal des Romans präsentiert sich ihm allein aus dem Blickwinkel des Ich-Erzählers. Und aus dem wirken die Hauptfiguren des Romans entweder eindimensional oder eben unergründlich, was allein daran liegt, daß Cohen sie als konturlose Stichwortgeber mißbraucht oder ihnen eindeutige Erfahrungen zuschreibt, die aus der Kindheit datieren, das Leben der Erwachsenen aber so unverändert und massiv bestimmen, als sei die Zwischenzeit ein Erlebnisvakuum. Auch Cohens Held erleidet dieses Schicksal: Von Kopf bis Fuß, von der Adoleszenz bis ins reife Mannesalter - Paul Stevens ist und bleibt ein einfältiger Philantrop. Der Roman wimmelt von Klischees. Das ist langweilig und Matt Cohens erste Ungeschicklichkeit. Die zweite ist, daß er seine Erzählung mit banalen literarischen Zitaten bestückt. Seine unglückliche Kindheit etwa assoziiert Paul Stevens mit seinem Lieblingsdichter Dickens, weil er in dessen, wie Paul sich erinnert, "sentimentaler, verwirrender Welt, in diesen armen Seelen, die sich mühsam durchs Leben schlagen, irgendwie den Zustand seiner eigenen lächerlichen Familie erkennt". Mag sein, daß solche Hinweise die Weltsicht des Helden beleuchten. Weniger Watt hätten es aber auch getan.
Gerade mit dem mißglückten literarischen Zitat wirbt die BertelsmannTochter btb für ihr neues Hardcover-Programm. Als Stoff für fortgeschrittene Bibliophile soll Matt Cohens Roman sich verkaufen. "Ein Buch der Bücher und Beziehungen - von der Welt zeitloser Literatur und großer Gefühle", lautet die Botschaft des Klappentextes. Schon möglich, daß es btb gelingt, damit Leser für den "Buchhändler" zu gewinnen. Die Methode, mit der Cohens Mutter für die Bücher ihres Sohnes wirbt, ist sympathischer.
Cohens Titelheld heißt Paul Stevens. Als Ich-Erzähler blickt er mit zeitlichem Abstand auf eine dramatische Phase seines Lebens irgendwann in den 70er Jahren zurück. Paul stammt aus tristen Verhältnissen: Der Vater ein Trinker, die Mutter durchgebrannt, er selbst übers erträgliche Maß hinaus von seinem älteren Bruder Henry abhängig. Der wußte immer schon besser, wo's langgeht, oder hat das wenigstens immer schon behauptet. In den Buchhandel gerät Paul Stevens genauso zufällig wie an die Probleme, mit denen er sich herumschlägt. Beidem aber widmet er sich mit Leidenschaft. Der Leser weiß nicht, warum, und Matt Cohen tut wenig, es ihm zu erklären. Statt dessen bietet er Schablonen an. Pauls erstes Leseerlebnis beispielsweise ist Charles Dickens, dessen Bücher er als Halbwüchsiger verschlingt. Diese Lektüre weckt seine Liebe zur Literatur, und man sollte meinen, das sei tieferer Betrachtung würdig. Cohen aber schildert das Geschehen so oberflächlich, daß man noch dutzende Seiten später auf die literarische Initiation des späteren Buchhändlers wartet. Aber vielleicht wird Paul ja auch nur deshalb Buchhändler, weil der Laden, in dem er den Beruf erlernt, so malerisch ist. Fenwick's Antiquariat schimmert mahagoni-golden. Dicke Schmöker in verstaubten Ledereinbänden werden hier mehr gehätschelt als gehandelt. Doch das Idyll ist nicht von Dauer. Ein zwielichtiger Cop tritt auf, der seine guten Kontakte zum Milieu mißbraucht und ausgerechnet die Menschen von sich abhängig macht, die Paul am meisten liebt. Es geht um Drogenhandel und Schutzgelderpressung und um Pauls Kampf gegen einen skrupellosen Gegner, der in einer dramatischen Rettungs- und Racheaktion gipfelt. Matt Cohen arbeitet mit klassischen Mitteln des Kriminalromans. So erfahren wir schon auf der ersten Seite, daß es in dieser Geschichte Tote geben wird, wer dran glauben muß, bleibt aber bis zum Schluß offen.
Das könnte sehr spannend sein, würde die Handlung nicht immer wieder durch lange Passagen über eine Entwicklung des Titelhelden unterbrochen, die es gar nicht gibt, weil Paul sich immer nur im Kreis bewegt. Alle Versuche, sich aus seiner symbiotischen Beziehung zum Bruder zu lösen, scheitern. Selbst im Rückblick kann Paul "nicht behaupten, er wüßte, wo er aufhört, und wo Henry anfängt." Vielleicht versucht Paul Stevens nur am falschen Ort und mit den falschen Menschen, der doppelbödigen und gefährlichen Welt zu entkommen, in der sein Bruder lebt. Weder Fenwick's Antiquariat noch Pauls große Liebe Judith sind die autonomen Sphären, für die der inzwischen 25jährige sie lange hält. Längst ist auch in diese idealisierten Horte des Guten, Wahren und Schönen das böse Prinzip eingebrochen, nur daß Paul der Letzte ist, der das bemerkt. Wie sich Gegensätze in dieser Erzählung allmählich annähern, wie ihre Struktur unterstreicht, daß nichts Schwarz oder Weiß ist, sondern alles sich in einer grauen Schnittmenge überlappt - das ist gut gemacht.
Leider aber tappt Matt Cohen im Bemühen, die Naivität seines Helden zu beschreiben, in zwei selbstgestellte Fallen. Paul Stevens, wird uns immer wieder vorgeführt, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ständig reflektiert er über Gut und Böse. Gleichzeitig aber versteift er sich auf eine Weltsicht, in der nicht sein kann, was nicht sein darf "Ich bin ein Zyniker in manchen Dingen," beschreibt er sich selbst, "doch ich kann niemals glauben, daß eine Person absichtlich einer anderen Schaden zufügt. Und so sind die Herzen anderer für mich unergründlich." Unergründlich bleiben sie dann auch dem Leser. Das vielgestaltige Personal des Romans präsentiert sich ihm allein aus dem Blickwinkel des Ich-Erzählers. Und aus dem wirken die Hauptfiguren des Romans entweder eindimensional oder eben unergründlich, was allein daran liegt, daß Cohen sie als konturlose Stichwortgeber mißbraucht oder ihnen eindeutige Erfahrungen zuschreibt, die aus der Kindheit datieren, das Leben der Erwachsenen aber so unverändert und massiv bestimmen, als sei die Zwischenzeit ein Erlebnisvakuum. Auch Cohens Held erleidet dieses Schicksal: Von Kopf bis Fuß, von der Adoleszenz bis ins reife Mannesalter - Paul Stevens ist und bleibt ein einfältiger Philantrop. Der Roman wimmelt von Klischees. Das ist langweilig und Matt Cohens erste Ungeschicklichkeit. Die zweite ist, daß er seine Erzählung mit banalen literarischen Zitaten bestückt. Seine unglückliche Kindheit etwa assoziiert Paul Stevens mit seinem Lieblingsdichter Dickens, weil er in dessen, wie Paul sich erinnert, "sentimentaler, verwirrender Welt, in diesen armen Seelen, die sich mühsam durchs Leben schlagen, irgendwie den Zustand seiner eigenen lächerlichen Familie erkennt". Mag sein, daß solche Hinweise die Weltsicht des Helden beleuchten. Weniger Watt hätten es aber auch getan.
Gerade mit dem mißglückten literarischen Zitat wirbt die BertelsmannTochter btb für ihr neues Hardcover-Programm. Als Stoff für fortgeschrittene Bibliophile soll Matt Cohens Roman sich verkaufen. "Ein Buch der Bücher und Beziehungen - von der Welt zeitloser Literatur und großer Gefühle", lautet die Botschaft des Klappentextes. Schon möglich, daß es btb gelingt, damit Leser für den "Buchhändler" zu gewinnen. Die Methode, mit der Cohens Mutter für die Bücher ihres Sohnes wirbt, ist sympathischer.