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Der Cellist und die Freiheit

Der russische Cellist und Dirigent Mstislaw Rostropowitsch ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Rostropowitsch galt als einer der bedeutendsten Musiker weltweit und engagierte sich insbesondere für die Werke zeitgenössischer Komponisten.

Von Julia Smilga | 27.04.2007
    Er kannte Sibelius, Hindemith und Britten persönlich. Er studierte bei Schostakowitsch, wohnte bei Prokofjew und musizierte mit Heifetz - Mstislaw Rostropowitsch.

    Er war nicht nur einer der größten Cellisten und Dirigenten unserer Zeit. Er war eine Persönlichkeit mit großer Ausstrahlung. Sein starker Wille, seine unglaubliche Energie und außerordentliche Überzeugungskraft waren auch außerhalb des Musizierens zu spüren. Sobald der begnadete Erzähler über sich und die Zeit zu sprechen begann, hingen die Zuhörer an seinen Lippen:

    " Mein Vater, selbst ein Cellist, hatte mich oft zu Orchesterproben und auch zu Konzerten mitgenommen. Ich erinnere mich - ich war vielleicht 6-7 Jahre alt , als ich zum ersten Mal die 6. Sinfonie von Tschaikowsky hörte. Die Musik hatte mich so beeindruckt, dass ich zu weinen begann. Meine Tante, die neben mir saß, öffnete ihre Tasche und gab mir zum Trost Schokobonbons. Das gefiel mir so gut, dass ich immer weiter weinte, in der Hoffnung auf noch mehr Schokolade - und sie kam unverzüglich...."

    Der Weg des jungen Musikers war durchaus dornenreich. Krieg. Früher Tod des Vaters. Nach seinem öffentlichen Debüt 1942 wurde Mstislaw Rostropowitsch sofort als Musiker mit hohem künstlerischem Potential anerkannt. Nach Kriegsende gewann Rostropowitsch bei allen wichtigen osteuropäischen Wettbewerben erste Preise. Die Kraft und die Klangtiefe seines Cellos, die Verbindung tiefen Gefühls und meisterhafter Technik mit der Intellektualität und einem außerordentlichen Gespür für die Form war bereits damals für den jungen Cellisten kennzeichnend. Und mit seinen ersten Konzerten im Westen war bald klar, dass mit Rostropowitsch ein Nachfolger des großen Pablo Casals zu entdecken war.

    " Sein Cello spricht und schafft Sinnbilder. Es ist niemals neutral oder nüchtern. Rostropowitsch zwingt den Zuhörer, die Musik zu erfahren, als ob sie das Leben selbst wäre. Und das ist der Grund, warum die Stimme seines Cellos so mächtig ist und einen derartigen Einfluss auf die Musik des 20. Jahrhunderts nehmen konnte "

    so Alexander Ivaschkin, der Biograph des Künstlers. Fürwahr, Rostropowitsch war ein Cello-Revolutionär. Nie zuvor war das Instrument sowohl bei Komponisten als auch beim Publikum so populär und bedeutend.

    1955 heiratete Rostropowitsch Galina Wischnewskaja, die führende Sopranistin am Moskauer Bolschoj Theater. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere stehend, setzte sich Rostropowitsch 1971 für den verfemten Schriftsteller Alexander Solzhenizyn ein. Seine Furchtlosigkeit vor der sowjetischen Obrigkeit brachte den Künstler in Konflikt mit den Behörden. Während eines Auslandsaufenthalts erfuhr das Künstlerpaar Rostropowitsch-Wischnewskaja ganz zufällig aus den Fernsehnachrichten, dass Ihnen die sowjetische Staatsbürgerschaft sowie alle Auszeichnungen und Ehrentitel aberkannt worden waren.

    Mit 48 Jahren musste Rostropowitsch ein neues Leben im Ausland beginnen. Er lebte in Paris und London, war 17 Jahre lang Chefdirigent des National Symphony Orchestra in Washington. Rostropowitsch galt als flammender Propagandist und als der bedeutendeste Interpret der Musik von Schostakowitsch, Prokofjew und Britten.

    Der Fall der Berliner Mauer 1989 wurde auch zu einem Kernerlebnis im Leben des Künstlers. Zwei Tage nach dem 9. November 1989 saß Mstislaw Rostropowitsch inmitten des Trubels an der Mauer und spielte tief in sich versunken Bach - als ein persönliches Dankgebet dafür, dass die Hälften seines zwischen Ost und West geteilten Lebens wieder zusammengefügt wurden:

    " Um mich herum standen etwa 30 Menschen. Ich spielte ganz besonders fröhliche Musik von Bach: C-Dur-Suite, D-Dur-Suite und Es-Dur-Suite. Und die Menschen hörten mir zu. Dann habe ich ihnen gesagt: Wissen Sie, wir empfinden jetzt eine solche Freude. Aber denken Sie daran, dass viele Menschen mit dem Wunsch, diese Mauer zu überqueren, hier ihr Leben gelassen haben. Ich möchte jetzt zum Andenken an diese Menschen die Sarabande in D-Moll spielen.

    Und ich erinnere mich an das Gesicht eines jungen Deutschen. Er stand in der ersten Reihe; er hatte eine Brille. Und zum Ende der Sarabande habe ich gesehen, dass er geweint hat, ohne die Brille abzusetzen. Und da habe ich verstanden, dass alles was wir da machten, richtig war . Das war einer der glücklichsten Momente meines Lebens."

    Genauso wie 1989 eilte Rostropowitsch kurz entschlossen zwei Jahre später nach Moskau, als der Putsch die neuen demokratischen Freiheiten dort bedrohte. Ein ungestümer, energiegeladener und scharfsinniger Mensch - Mstislaw Rostropowitsch war ein Feuerwerk aus Emotionen, mit magnetischer Ausstrahlung und einem großen musikalischen Genie.