Archiv


Der "Dicke Pitter" von Köln

Sie ist schwer und grau - wie eine Herde Elefanten. Im Volksmund auch "Dicker Pitter" - "Dicker Peter" - genannt, läutet die größte freischwingende Glocke der Welt seit 1923 vom Südturm des Kölner Doms. Mit ihrem tiefen Schlagton C gehört sie längst zum Inventar der Stadt.

Von Hildeburg Heider |
    Der "Dicke Pitter", die größte Glocke des Kölner Doms, ohne Klöppel, im Januar 2011.
    Der "Dicke Pitter", die größte Glocke des Kölner Doms, ohne Klöppel, im Januar 2011. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    5. Januar 2013. Kurz vor der Messe im Kölner Dom. Am Vorabend zum Dreikönigsfest wird gleich der Dicke Pitter läuten. Geführt von der ehemaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner steigt eine kleine Schar unerschrockener Glockenfans die Wendeltreppe zum Südturm hoch. Dort, in über 50 Metern Höhe, warten die Glocken auf ihren Einsatz, und wir sind fast in Tuchfühlung dabei.

    "Nehmen Sie sich bitte einen Hörschutz!"

    Dann stehen wir vor dem bronzenen Ungeheuer.

    "Die Petersglocke, Durchmesser 3 Meter 22."

    Schwer wie eine Herde Elefanten und auch so grau.

    Zuerst den Hörschutz aufgesetzt. Unten im Dom schaltet jetzt der Küster den Motor an. Zu beiden Seiten des Dicken Pitters drehen sich die Antriebsräder mit der Glockenstange. Langsam beginnt der Riese zu schwingen, fliegt auf uns zu. Aus seinem klaffenden Schlund züngelt goldgelb blitzend der Klöppel. Achtung!

    "Den Dicken Pitter haben wir zum ersten Mal gehört."

    "Und?"

    "Super! Ganz ganz toll!"

    "Was war für Sie besonders?"

    "Überraschend war der Druck im Bauch, dieser tiefe Ton. Der Baß."

    Zehn Minuten lang genießt der Dicke Pitter seinen Soloauftritt, dann winkt er seinen sieben Schwestern, die ihn rechts und links flankieren.

    "Und erst wenn der Dicke Pitter so richtig gemütlich in Schwung gekommen ist, dann kommen der Größe nach immer die größten zuerst - die anderen Glocken dazu."

    Für den mühsamen Aufstieg in die Glockenstube ist Dompropst Norbert Feldhoff nicht zu haben.

    Feldhoff:
    "Man hört Glocken ganz allgemein besser, wenn man außerhalb des Glockenstuhls ist. Dann kommt der Klang zusammen und wird dann harmonisch zusammengefügt. Ich halte es überhaupt nicht für sinnvoll, beim Läuten oben dabei zu sein."

    Frau:
    "Das ist die größte freischwingende Glocke der Welt. Irgendwie kann man ja stolz drauf sein, daß sie hier im Kölner Dom hängt, ne? Der Dicke Pitter und der Kölner Dom gehören zusammen, möchte’ ich mal sagen."

    Feldhoff:
    "Das ist was Seltenes, das ist was Schönes, und das begeistert schlicht."

    Der Herr der Kölner Glocken: Dompropst Norbert Feldhoff.

    "Und dadurch ist der Dicke Pitter zu einem Mythos geworden. Der ist berühmter als er rein physikalisch-musikalisch es vielleicht verdient hätte. Ich bin natürlich glücklich, daß er so berühmt ist. "

    Frau:
    "Unheimliche Ruhe strahlt der aus durch die ganz dumpfen Töne. "

    Schlagton C. Nachhall drei Minuten.

    "Ich will den Kölnern jetzt nicht auf die Füße treten. Das sind einfach Töne, die man als Mensch kaum noch als umfangreiche Töne fassen kann. Das ist so tief, daß man einfach nur noch Volumen hört. Natürlich nimmt einen dieser tiefe Ton noch mehr mit, weil man fast merkt, daß die Schwingung dieser Glocke den Herzfrequenzen gleichkommt und man so fast im Gleichklang mit dem Herzen da mitschwingt. Aber der Ton ist so tief, daß man nur noch sagt: ach, das ist ja Wahnsinn! "

    Der Kölner Dom
    Der "Dicke Pitter" befindet sich im Südturm des Kölner Doms, in über 50 Metern Höhe. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    In zehn Minuten gegossen, dann zwei Wochen Abkühlung
    Ich fahre mit dem Glockensachverständigen Christoph Schulz durch die sanften Hügel Thüringens zur ehemaligen Glockengießerstadt Apolda bei Erfurt. Hier wurde am 5. Mai 1923 der Dicke Pitter geboren: Meister Ulrich goß die glühende Bronze in die tönerne Form, das dauerte nur knapp zehn Minuten. Dann wurde nach zwei Wochen Abkühlung die Form zerschlagen.

    "Glocken sind Musik, Glocken verbinden, Glocken lassen aufhorchen"

    So lautet das Motto des Weltglockengeläuts von Apolda, das alle vier Jahre stattfindet. In einer Live-Schaltung erklingen einige der 20.000 in Apolda gegossenen Glocken aus allen Ecken der Welt, darunter natürlich auch der Dicke Pitter in Köln.

    Das Ende der DDR brachte auch das Ende der Glockengießer von Apolda. Heute erinnert ein Museum an diese Tradition. Die Entstehung des Dicken Pitters wird auf Schriftstücken und Fotos dokumentiert.

    "St. Peter bin ich genannt, schütze das deutsche Land, geboren aus deutschem Leid, ruf ich zur Einigkeit."

    Inschrift auf der Petersglocke.

    "Ich zu Apolda vom Meister Heinrich Ulrich gegossen. Die Mittel gaben das Deutsche Reich, der preußische Staat und vaterländisch gesinnte Bürger Köln."

    Als wir Apolda verlassen, sehen wir den Dicken Pitter auf einem Parkplatz am Stadtrand stehen. Na sowas!

    "Wir haben diese Glocke 1999 nachbilden lassen 1:1"

    Die Leiterin des Glocken-Museums Rena Erfurth.

    " …und die Glocke wurde in Verbindung mit einem Glockenfest, durch die Stadt transportiert in der ähnlichen Art und Weise wie damals die große Glocke von der Gießerei zum Bahnhof gerollt wurde."

    Das Glockenmuseum in Apolda dokumentiert die über 260 Jahre alte lokale Glockengießertradition in der thüringischen Stadt
    Das Glockenmuseum in Apolda dokumentiert die über 260 Jahre alte lokale Glockengießertradition in der thüringischen Stadt. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Die letzte Reparatur liegt erst zwei Jahre zurück
    Im November 1924 reist der Dicke Pitter mit der Eisenbahn nach Köln. Er paßt nicht durch die Domtür. Also entfernt man einen Pfeiler. Dann hebt man ihn in den Südturm. Am Heiligabend läutet er zum ersten Mal. Da reißt das Läuteseil, die Glocke verstummt. Im Jahr darauf kann’s dann endlich losgehen.

    Im Jahr 1951 erhält die Petersglocke einen Riß. Es dauert Jahre, bis sie repariert ist. Und dann das Ereignis am Dreikönigstag 2011, ein Medienspektakel:

    "Schock im Kölner Dom: Dicker Pitter verlor Klöppel. Glocke verstummt.”

    Der Klöppel donnert auf den Boden der Glockenstube.

    "Da ist sehr viel Glück dabei gewesen Da sind die Bohlen sehr dicht. Er ist an ner günstigen Stelle runtergekommen. Wenn der an ner anderen Stelle runtergefallen wär, hätte er durchschlagen können. Aber da ist Gottseidank nichts kaputtgegangen."

    Dompropst Norbert Feldhoff erinnert sich:

    "Wir waren gerade im Südturm - der Kardinal zog sich für den Gottesdienst an - und dann gabs n Knall, und dann war’s vorbei mit dem Dicken Pitter. Und der Kardinal, der wollte natürlich, daß Ostern schon der Dicke Pitter wieder läutet. Und daß das solange dauerte, das hat ihn furchtbar genervt. Und ich habe, seit der Klöppel abgestürzt ist, das nochmal erfahren, - ich sage das mal rheinisch - wie jeck die Leute hinter dieser Glocke her sind. Die ist ein Teil des Kölner Selbstbewußtseins geworden. Fragen Sie mich nicht, warum. Es ist so."

    Die Petersglocke wird nur zu hohen kirchlichen Feiertagen geläutet. Und zu besonderen Anlässen, wie bei der Wahl des neuen Papstes. Das Läuteteam im Dom zu Köln stand 2013 unter Hochspannung, denn der Dicke Pitter sollte augenblicklich auf die Papstwahl reagieren.

    "Die Nachrichten schalteten um "Der weiße Rauch ist da". Dann wollte ich nochmal telefonieren. Auf dem Petersplatz bekam man keine Verbindung mehr. Dann habe ich über Festnetz in der Sakristei angerufen, die haben aber auch die Nachrichten verfolgt und läuteten"

    Köln, 19. März 2013. Ich stehe gegenüber dem Kölner Dom und warte auf das Festgeläut zur Amtseinführung des neuen Papstes. Auf der Bank neben mir lauscht ein Ehepaar dem brausenden Vollgeläut. Aus den Stimmen seiner sieben Schwestern ragt der dröhnende Baß des Dicken Pitters.

    "Wir sind eingefleischte Fans vom Dicken Pitter."

    "Warum?"

    "Ja weil das schon von Jugend unser Ziel ist."

    "Was löst das bei Ihnen aus?"

    "Erinnerungen an die Kindheit, an die Eltern, an die Großeltern, an die schönen Stunden hier in Köln."

    "Für mich ist er ein Inbegriff von allem Schönen und was Kirche …angeht. Und dat is für mich so ein erhebendes Gefühl, diese Wuchtigkeit da zu hören. Ich liebe ihn schon seit immer. Ich bin immer hier, wenn er läutet."
    Unter dem "Dicken Pitter", der größten Glocke des Kölner Doms liegt am Freitag (07.01.2011) der abgefalene Klöppel.
    Unter dem "Dicken Pitter" lag im Januar 2011 der abgefallene Klöppel. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)