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Der Duft der besseren Väter

Biologie. - Urin dient nicht allein dem Entsorgen von Stoffwechselprodukten, sondern etwa auch als Informationsträger. Viele Tierarten stecken damit ihre Reviere ab, und bei Mäusen beeinflusst der Duft sogar die Schwangerschaft, wie Biologen im Fachblatt "Nature" beschreiben.

Von Michael Gessat | 28.07.2008
    Wer nicht gerade Biologie studiert hat oder Mäuse hält, dem dürfte der so genannte "Bruce-Effekt" unbekannt sein. Liliana Minichiello hält beruflich Mäuse; Labormäuse genauer gesagt. Sie leitet die "Mouse Biology Unit", eine Arbeitsgruppe des "Europäischen Molekularbiologielabors" EMBL im italienischen Monterotondo. Und was es mit diesem "Bruce-Effekt" auf sich hat, beschreibt sie so:

    "Wenn eine weibliche Maus trächtig wird, und in den ersten drei Tagen der Schwangerschaft in Kontakt mit dem Uringeruch eines fremden Männchens kommt, dann führt das zum Schwangerschaftsabbruch. Das ist zunächst einmal ein Phänomen, das anschließend dem fremden Männchen eine Gelegenheit zur Paarung schafft. Es nutzt aber auch dem Weibchen, weil das damit eine spätere Kindstötung vermeidet. Das neue Männchen würde die Jungen nämlich ziemlich sicher nach der Geburt umbringen."

    Einmal kurz an fremdem Urin schnüffeln, und dann gleich die Schwangerschaft abbrechen: Dieser Automatismus scheint auf den ersten Blick keinen Sinn zu machen. Denn wer garantiert dem Weibchen, dass das fremde Männchen mehr zu bieten hat als der bis dato erfolgreiche Begatter? Die Erklärung dafür liegt im Sozialverhalten der Nager. Dominante, starke Mäuseriche setzen ihre Urin-Duftmarken über die von schwächeren Tieren. Und um das Weibchen tatsächlich zu begatten, müsste sich ein neues Männchen auch erst noch körperlich gegen das alte durchsetzen. Wenn es dann also wirklich zum Zug kommt, wird es meist stärker und gesünder sein als das vorige.

    Nach gut drei Tagen aber haben die fremden Pheromone keinen Effekt mehr auf die Schwangerschaft. Auch das macht wiederum Sinn: Zu diesem Zeitpunkt nisten sich die Embryos in der Gebärmutter ein, und fortan wäre ein Abbruch für das Tier körperlich aufwendiger oder gar gefährlich. Der Sinneswandel hin zur treu sorgenden Mutter ist ein Geruchssinns-Wandel, war Minichiellos Vermutung. Die Maus reagiert nicht mehr auf fremde Mäusemännchen, weil sie sie schlicht nicht mehr riecht:

    "Während der ersten dreieinhalb Tage der Schwangerschaft wird in einer bestimmten Hirnregion, dem so genannten Riechkolben, verstärkt der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Das höchste Niveau ist nach viereinhalb Tagen erreicht, dann bleibt die Konzentration für zwölf Tage konstant, und dann sinkt sie wieder ab. Der Dopamin-Anstieg im Riechkolben sorgt für eine sensorische Barriere: Das trächtige Weibchen kann die männlichen Pheromone im Urin nicht mehr wahrnehmen. Und das rettet ihren Nachwuchs."

    Die Dopaminproduktion wird übrigens schon allein durch die Paarung in Gang gesetzt; auch scheinschwangere Weibchen, die sich mit sterilisierten Männchen gepaart hatten, verloren nach ein paar Tagen das gesteigerte Interesse an männlichem Urinduft. Die Forscher überprüften ihre Vermutung durch eine Gegenprobe:

    "Wenn wir aber zwischen viereinhalb und sechseinhalb Tagen nach der Paarung, also in der Mitte des Dopamin-Anstiegs ein Mittel spritzten, das Dopamin blockiert, dann konnten die Weibchen wieder riechen. Und wenn wir sie dann in Kontakt mit dem Urinduft eines fremden Männchens brachten, dann verloren sie ihre Schwangerschaft. Das zeigt eindeutig: Die sensorische Barriere ist entscheidend; wenn sie sich öffnet und der Geruch durchgeht, dann senkt sich der Spiegel des wichtigen Hormons Prolaktin; und die Schwangerschaft bricht ab."

    Dopamin ist übrigens auch der Botenstoff, der im menschlichen Hirn für Glücksgefühle sorgt, beim Essen, Rauchen, Drogenkonsumieren und natürlich beim Sex. Gibt es da Zusammenhänge?

    "Es ist auf jeden Fall bekannt, dass sich auch bei schwangeren Frauen der Geruchs- und Geschmackssinn verändert. Es könnte sein, dass das Phänomen, das wir beobachtet haben, zumindest Unterschiede in der Wahrnehmungsempfindlichkeit bei Schwangeren erklärt. Aber jetzt schon zu sagen, ob das noch weitergehend mit unseren Resultaten bei den Mäusen zu tun hat oder nicht, das wäre etwas verfrüht."