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Der Fall der Rabin-Enkelin Noa Ben Artzi

13.03.2001
    Meurer: Der Fall ist, wenn er stimmt, kaum zu glauben. Die Enkelin des ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin, Noa Ben Artzi, sollte am Sonntagabend in München an einer Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten israelischer Kinder teilnehmen. Der Wirt des dafür angemieteten Lokals lud die Gäste allerdings kurzfristig aus und mehrere Zeugen berichten, der Lokalbesitzer habe gesagt, mit Juden wolle er nichts zu tun haben, eher käme ihm die DVU ins Haus. Im israelischen Rundfunk hat Frau Ben Artzi den Vorfall bestätigt. Die Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, fordert eine Untersuchung und Bestrafung des Gastwirts. Die Staatsanwaltschaft München hat Vorermittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen. Der Wirt selbst bestreitet, diese Aussagen gemacht zu haben. Am Telefon begrüße ich nun Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin (SPD). Guten Morgen Frau Däubler-Gmelin!

    Däubler-Gmelin: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Vorausgesetzt die Vorwürfe stimmen, hätte sich der Wirt strafbar gemacht?

    Däubler-Gmelin: Es wäre empörend und ungeheuerlich und ich muss wirklich sagen, es wäre eine Schande für unser Land und er müßte sich furchtbar schnell entschuldigen. Auf der zweiten Seite ist es so, dass ich es gut finde, dass die Staatsanwaltschaft sich eingeschaltet hat, weil in der Tat eine ganze Reihe von Strafvorschriften hier erfüllt sein könnten. Das reicht von beleidigen bis zum verächtlich machen im Rahmen des Volksverhetzungsparagraphen.

    Meurer: Ist der Volksverhetzungsparagraph eigentlich so gefasst, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln muss?

    Däubler-Gmelin: Nein, sie tut es ja!

    Meurer: Aber es liegt ja eine Klage der Wohltätigkeitsorganisation vor?

    Däubler-Gmelin: Das weis ich nicht. Ich bin ja über den Sachverhalt oder über den Vorwurf als solches nicht besser informiert als Sie. Sie haben gerade aber berichtet - und das ist eine Bestätigung, die ich auch bekommen habe -, dass die Münchener Staatsanwaltschaft sich hier eingeschaltet hat, und das finde ich sehr gut.

    Meurer: Der Volksverhetzungsparagraph ist ja vor einigen Jahren verändert, ausgeweitet worden. Was muss denn eigentlich vorliegen, dass sich jemand der Volksverhetzung schuldig macht?

    Däubler-Gmelin: Lassen Sie uns erst einmal mit Beleidigung anfangen. Da gibt es maximal ein Jahr Gefängnis, dass man über andere Leute eben nicht wissentlich falsche Dinge sagen kann oder auch nicht durch Gesten kund tun darf, dass man jemand verächtlich behandeln will. Bei Volksverhetzung muss man entweder zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln oder die Menschenwürde anderer angreifen, indem Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht werden oder dass man das durch entsprechende Handlungen deutlich macht. In dem Fall, den Sie so schildern, könnte es durchaus sein. Ich denke, das muss man sich auch sehr deutlich sagen für den Fall, dass man als Gastwirt so etwas tut. Übrigens drohen ihm dann, wenn es so war, auch noch ganz andere Schritte der Rechtsordnung, weil wir ja wissen, ein Gastwirt hat persönlich zuverlässig zu sein. Das sieht das Gewerberecht, also das Gaststättengesetz vor. Wenn jemand sich so verhält und wenn das so war, dann sind nicht nur ernste Zweifel an der Zuverlässigkeit da, sondern dann gibt es die Möglichkeit, auch die Erlaubnis zurückzunehmen, diese Gaststätte zu betreiben. Das wird ganz ohne Zweifel das zuständige Gewerbeaufsichtsamt und die zuständige Verwaltung in München prüfen.

    Meurer: Und mit welcher Begründung kann man die Gaststätte schließen?

    Däubler-Gmelin: Wie ich gerade sagte: Wenn Sie eine Gaststätte betreiben wollen, müssen Sie persönlich zuverlässig sein. Es ist nun völlig klar - da gibt es auch eine Verwaltungsvorschrift, die alle Länder für sich formuliert haben -, dass jemand, der willkürlich Personen wegen ihrer Hautfarbe, Rasse, Herkunft oder Nationalität vom Besuch seiner Gaststätte ausschließt, diese geforderte persönliche Zuverlässigkeit nicht hat und dass er dann diese Gaststätte nicht betreiben darf.

    Meurer: Wir erleben doch allzu oft, dass Farbige nicht in Discotheken gelassen werden und die Diskothek wird dann nicht geschlossen?

    Däubler-Gmelin: Entschuldigen Sie, genau das ist nicht korrekt, sondern nach dem, was wir heute an geltendem Recht haben, kommt es darauf an, dass diesem Vorwurf nachgegangen wird. Wenn er zutrifft, gibt es diese Möglichkeit nach dem Gaststättenrecht. Ich kann Ihnen übrigens eine ganze Reihe von Fällen nennen, wo es so war. Wir hatten leider Gottes früher durchaus immer wieder wie Sie sagen Fälle, zum Beispiel amerikanischer GI's, die farbig waren und nicht zu Discotheken zugelassen wurden.

    Meurer: Spielt es für den Tatbestand der Volksverhetzung eigentlich eine Rolle, ob die entsprechenden Sätze in ganz kleinem Kreis fallen, oder muss das sozusagen auf politischer Bühne erfolgen?

    Däubler-Gmelin: Nein, das ist an sich nicht so der Punkt. Es muss natürlich schon so sein, dass es in der Öffentlichkeit zu dem kommen kann, was ich vorher sagte. Aber Herr Meurer lassen Sie mich das sagen: Beleidigung, Verächtlichmachung, Volksverhetzung auf der einen Seite und dann die klaren Vorgaben auch nach dem Gaststättengesetz in solchen Fällen müssen angewandt werden. Hierfür gibt es zuständige Behörden, und diese zuständigen Behörden müssen das klären und eingreifen.

    Meurer: Vor etwa zwei Wochen hat Ihr Kollege Otto Schily die neuen Kriminalstatistik-Zahlen vorgelegt. Danach haben die antisemitischen Straftaten in Deutschland letztes Jahr um zwei Drittel zugenommen: 68 Prozent. Haben Sie dafür eine Erklärung?

    Däubler-Gmelin: Besorgniserregend ist es! Wahrscheinlich gibt es eine Erklärung, die ganz leicht ist, dass man früher nicht so hingeschaut hat, wie das offensichtlich seit dem letzten Sommer getan wird. Ich sage Ihnen, ich halte das für gut, dass man sehr genau hinschaut, dass Polizei und Justiz ihre Verantwortung wahrnehmen und dass jetzt neben diesen zuständigen Behörden auch in der Öffentlichkeit, in der Presse, aber auch von den ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird, wir dulden das nicht, wir nehmen das nicht hin.

    Meurer: Die Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch - sie ist ja Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in München -, sagt, diese Äußerungen, wenn sie gefallen wären, würden sie nicht überraschen. Mitglieder der jüdischen Gemeinde würden seit langem mündlich und schriftlich angegriffen. Wird das in Deutschland kaum noch zur Kenntnis genommen?

    Däubler-Gmelin: Doch natürlich, Gott sei Dank! Sie haben das ja auch zur Kenntnis genommen und heute zum Gegenstand dieses Interviews gemacht. Genauso muss es ja sein. Wir haben den Anspruch, dass bei uns niemand, und zwar egal ob wegen der Herkunft, der Hautfarbe, der Rasse, der Nationalität oder sonst eines Merkmales, angepöbelt wird und schon gar nicht mit irgendwelchen Beleidigungen oder mit Gewalttaten Begegnung haben muss. Diesen Anspruch haben wir und den wollen wir in unserer Gesellschaft auch durchsetzen.

    Meurer: Trotzdem beklagen Vertreter des Judentums, in Deutschland würden die Deutschen für Hunde auf die Straße gehen, aber Übergriffe gegen jüdische Einrichtungen ließen sie seltsam unberührt. Ist da was dran?

    Däubler-Gmelin: Das habe ich eigentlich nicht gehört, weil Paul Spiegel, auch gerade Charlotte Knobloch nicht nur etwas anderes sagen, sondern ganz genau wissen, dass das nicht so ist. Was im Augenblick - und da gebe ich Ihnen völlig Recht - empörend ist, wenn dieser Vorfall sich ereignet hat, dass wir so etwas dann registrieren müssen, das heißt dass jemand, der sich so nicht verhalten darf, sich so verhält. Deswegen muss man in der Öffentlichkeit sagen, das ist empörend, das kommt nicht in Frage. Deswegen müssen die Zuständigen, die Staatsanwaltschaft und die Gewerbeaufsicht, eingreifen.

    Meurer: Was kann man Ihrer Meinung nach tun gegen den Antisemitismus in Deutschland?

    Däubler-Gmelin: Ich denke wir haben einiges schon sehr deutlich erwähnt. Lassen Sie mich noch einmal wiederholen, dass die Zuständigen eingreifen müssen. Das ist Polizei und Justiz. Das kann, wie möglicherweise in dem vorliegenden Fall, auch das Gewerberecht und die Gewerbeaufsicht, also die Kreisverwaltung sein, die hier eingreifen muss. Es sind aber natürlich auch zu den Zuständigen zu rechnen die Lehrer und die Erzieher, gerade wenn es sich um junge Leute handelt, weil hier Vorurteile durch Informationen, durch Zusammentreffen, durch miteinander leben ganz praktisch beseitigt werden müssen. Dann kommen auch die anständigen, das heißt die ganz normalen Bürgerinnen und Bürger, die sehr deutlich zum Ausdruck bringen können, dieses auch sehr häufig tun, und auch zum Ausdruck bringen müssen, dass sie das nicht wollen und dass sie das nicht dulden. Diese Koalition der Zuständigen auf der einen Seite und der Anständigen auf der anderen Seite, da bin ich ganz sicher, die schafft es, dieses Zusammenwirken, dass wir in dieser Gesellschaft leben, in der wir leben wollen, nämlich ohne diese Vorurteile und schon ganz sicher ohne solche empörenden Vorfälle und Diskriminierungen.

    Meurer: Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. - Danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio