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Der französische Expressionist

Die kräftige, ausdrucksstarke und farbintensive Landschaftsmalerei brachte Maurice de Vlaminck den Titel eines Wilden ein. Er gehörte neben Matisse und Derain zu denen, die konsequent mit den malerischen Konventionen brach. Im Pariser Musée du Luxembourg sind nun knapp 70 Ölgemälde versammelt, die diese Schaffensperiode widerspiegeln.

Von Björn Stüben |
    "In der Kunst haben die Theorien die gleichen Nützlichkeit wie die Verordnungen in der Medizin: um daran zu glauben, muss man krank sein." Diese Überzeugung, 1929 in seiner Autobiografie geäußert, nimmt dem 1876 in Paris geborenen Maler Maurice de Vlaminck gerne ab, wer jetzt die ihm im Musée du Luxembourg gewidmete Ausstellung auf sich wirken lässt. Von Theorie keine Spur, dafür aber eine Menge von "wildem Instinkt", so auch der Untertitel der Schau, zeigen die knapp siebzig Ölgemälde, die im Zeitraum zwischen 1900 und 1915 entstanden sind. Seit der Kunstkritiker Louis Vaucelles in Saal 7 des Herbstsalons des Jahres 1905 sich beim Blick auf die gemalten Farborgien von Matisse, Derain und de Vlaminck von "wilden Tieren" umringt sah, kennt die Kunstgeschichte den Begriff der "Fauves", die sich als Maler um Konventionen in der Kunst nicht scherten und Lokalfarbe, Schattenwurf und Perspektive endgültig über Bord warfen.

    Im Alter von 24 Jahren betritt de Vlaminck, der bis dahin als Radsportprofi und Musiklehrer sein Brot verdient hat, die Bühne der Pariser Kunstszene. Eine Zufallsbegegnung war hierfür der Auslöser. Nachdem ein Vorortzug entgleist war, lernt de Vlaminck beim Fußmarsch nach Paris den vier Jahre jüngeren André Derain kennen, der ihn davon überzeugt, wie er Maler zu werden. Doch während Derain sich in die Akademie Julien einschreibt, beschließt de Vlaminck den Weg zum Künstler als Autodidakt einzuschlagen. Er erinnert sich: "Ich hatte keine vorgefasste Idee. Maler sein ist kein Beruf, ebenso wenig wie Anarchist zu sein, Liebender, Träumer oder Boxer. Es ist ein Zufall der Natur." De Vlamincks früheste Werke sind Porträts. Das kleinformatige Ölbild "Am Thresen" aus dem Jahr 1900 zeigt eine mondgesichtige und rothaarige Lebedame mit Zigarette im Mundwinkel, eine Milieustudie mit leuchtenden Farben pastos auf die Leinwand gespachtelt.
    Immer wieder taucht das Motiv der Seine bei Chatou westlich von Paris auf, wo de Vlaminck mit Derain ein Atelier teilt. Die Entdeckung der Malerei van Goghs lässt sich in seinen Bildern an Pinselstrich und Farbkontrasten ablesen. Mit roten Strumpfbändern und Blumenhut posiert für ihn ein Mädchen des Pariser Kabaretts "Die tote Ratte". Formal orientieren sich die Porträts an den Werken von Matisse, ohne qualitativ an sie heranzureichen.

    Die leider zu eng gehängte Pariser Schau zeigt alleine 15 Bilder aus dem Jahr 1905, dem frühen Höhepunkt der Malerkarriere de Vlamincks. Seine Kunst ist jetzt gefragt, denn 1906 kauft der Kunsthändler Ambroise Vollard einen Großteil seiner Werke auf. Endlich kann de Vlaminck von seiner Kunst leben. Er sammelt afrikanische Stammeskunst von hoher Qualität, die jetzt ebenfalls in der Pariser Schau gezeigt wird. Doch was hat sie hier zu suchen? Kein einziges der Bilder de Vlamincks spiegelt auch nur in Ansätzen den Einfluss der primitiven Kunst, der etwa in Werken Picassos sofort leicht ablesbar wäre. Der große Meister der Moderne Paul Cézanne wird hingegen sofort spürbar in den Gemälden de Vlamincks, die nach der großen Cézanne-Retrospektive im Herbstsalon 1907 entstehen. Doch de Vlamincks Stillleben bleiben flach, denn es geling ihm nicht, Volumen lediglich mit Farbe zu erzeugen. Und sein Bild "Badende" von 1908 zu zeigen, hätte den Besuchern in Paris erspart werden sollen, so sehr fällt es qualitativ gegenüber den bekannten Cézanneschen Vorbildern ab. Doch am Ende der Schau überzeugt de Vlaminck mit einer Ansicht auf "Puteaux", einen der Pariser Vororte. Hier scheint er die künstlerische Lektion Cézannes mit der Freiheit der Farbgebung der Fauvisten zu verschmelzen. Feuerrote Dächer türmen sich geometrisch verschachtelt zu einer Pyramide, deren Spitze in tiefhängenden, grauen Regenwolken verschwindet.
    Vor diesem letzten Bild des Ausstellungsparcours kann sich der Besucher vom manchmal allzu plakativen Fauvismus und von einigen einfach schlechten Werken de Vlamincks erholen. Aber es drängt sich dann auch eine Frage auf: Und wie oder was hat de Vlaminck die restlichen 43 Jahre seines Lebens gemalt? Immerhin wird sein bald erscheinendes Werksverzeichnis an die 5000 Gemälde auflisten, von denen gerade einmal 200 der fauvistischen Periode zuzurechnen sind. Tatsache ist, dass sich der Revolutionär zum Traditionalisten wandelte, der sich auf seinen Landsitz zurückzog, um fortan recht konventionelle Landschaften und Stillleben zu malen. Dass er zusammen mit anderen Künstlern im November 1941 auf Einladung von Josef Goebbels im besetzten Paris den Zug bestieg, um Arno Breker einen Besuch in dessen Atelier im deutschen Reich abzustatten, brachte ihm den Vorwurf ein, ein Kollaborateur zu sein. Leider reduziert die Pariser Schau de Vlaminck auf seine glorreichen Jahre im Fahrwasser der Avantgarde. Und somit hat der Besucher wenig erfahren über de Vlaminck, dafür aber viele bunte Bilder gesehen.